Selbstkorrektur zwei Tage nach der Veröffentlichung. Die Forderung nach Bezahlung in Rubel hätte einen Lieferstop für Gas bewirken und die im Folgenden genannten zerstörerischen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen haben können. Putin hat aber eine Hintertür offengelassen (siehe unten Fußnote *0*). Ich lösche den Artikel trotzdem nicht, weil er die fatale Abhängigkeit Europas von fremden Ressourcen zeigt und die daraus resultierenden möglichen Konsequenzen.
Am 28. März ließ der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow spöttisch verlauten, dass Russland sein Gas und Öl leider nicht in karitativer Absicht an Europa verschenken könne. Wenn die Russland unfreundlich gesonnenen Staaten – also alle, die gegen sein Land Sanktionen verhängten – nicht in Rubel für Gas (und später wohl auch für das Öl) bezahlen, dann sehe sich die russische Föderation leider gezwungen, den Gashahn zum ersten April zuzudrehen. Damit ist neben dem militärischen Krieg die zweite Front eines Finanzkriegs eröffnet. Peskow wiederholte da nur, was Wladimir Putin schon am 23. März verkündet hatte.
Die G7-Staaten haben diese Forderung umgehend zurückgewiesen. Sie werden ihre Rechnungen nach wie vor nur in Dollar begleichen, da dies in den bestehenden Verträgen so und nicht anders festgelegt sei. Der wahre Grund ist wohl ein anderer. Auf keinen Fall würden die USA es dulden, dass die Weltleitwährung, der Dollar, geschwächt wird. Eher würden sie ihren Bündnispartnern den Schutz durch die NATO aufkündigen.
Fazit: wenn nicht einer der beiden Partner zurückweicht – und ich sehe nicht, wie das möglich ist – wird es in Europa schon in zwei Tagen, nämlich ab dem ersten April, auf jeden Fall aber im Laufe des kommenden Monats kein russisches Gas und bald wohl auch kein Öl mehr geben. Von allem, was dann geschehen wird, hat uns die Pandemie, die uns schwer genug heimgesucht hat, nur eine schwache Ahnung vermittelt. Diese Krise wird ganz Europa viel stärker treffen. Reihenweise werden Unternehmen Konkurs anmelden, die Arbeitslosigkeit wird sprunghaft in die Höhe schnellen. Und kein staatliches Hilfsprogramm wird dieses Desaster aufhalten können.
Aber Putin blufft doch nur, wir wissen doch, dass er ein notorischer Lügner ist! Hatten er selbst, sein treuer Außenminister Lawrow und die zur Linientreue abgerichteten russischen Medien der ganzen Welt nicht einen ganzen Monat lang vorgelogen, dass die Massierung der Truppen in Belarus und an der Ostgrenze der Ukraine allein zu Übungszwecken stattfinde, Russland hege keinerlei Aggressionsabsichten – und hatten die braven Putinversteher nicht ebenso den Kopf über westliche Panikmache geschüttelt und dem Kreml-Zar aufs Wort geglaubt? Nur die US-Amerikaner, die selbst einige Übung im Lügen haben, wussten bescheid.*1* Ja, Putin lügt ungeniert, wenn er damit russischen Interessen dient, andererseits lügt er aber auf keinen Fall, wenn die Wahrheit seinen Interessen und der eigenen Stellung nützlich ist. Im Westen fing man an, über den russischen Goliath zu lachen, der den ukrainischen David doch an wenigen Tagen überrennen wollte, nur um nach zwei Monaten festzustellen, dass der verachtete Feind seinen Vormarsch zum Stehen brachte und jetzt sogar schon von Sieg zu schwärmen beginnt. Die Welt lachte, während Russland sich durch einen Mann gedemütigt sah, der noch vor kurzem als Clown auf dem Sessel eines Präsidenten galt, aber dann in der Zeit größter Not und zu allgemeiner Überraschung zum großen Staatsmann und Freiheitskämpfer aufrückte, ein Mann, der Parlamente in aller Welt zu Ovationen begeistert. Wolodymyr Zelensky hat seiner Nation ein Gesicht, ein erstaunliches, sympathisches, Begeisterung auslösendes Gesicht gegeben. Selten ist ein Politiker, den man noch vor einem Jahr als ehemaligen Komiker allenfalls belächelt hatte – sofern das Ausland ihn überhaupt mit Namen kannte – in so kurzer Zeit zu einem weltbekannten Star aufgerückt, dem eine Mehrheit der Staaten bereitwillig gegen den russischen Überfall helfen möchte.
Der Westen lächelte und triumphierte über das Straucheln Goliaths – aber Wladimir Putin könnte sehr wohl als letzter lachen. Bis heute scheinen Regierungen und Medien für diese Möglichkeit immer noch blind zu sein. In der deutschen Regierung denken der Kanzler Olaf Scholz und sein Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck vor aller Öffentlichkeit darüber nach, dass sie sich um der Ukraine willen natürlich sehr gern zu dem letzten Schritt entschließen würden, auf russisches Öl und Gas ganz zu verzichten. Nur würde man dann auch einen gewaltigen eigenen Schaden riskieren. Daher müsse man von diesem an sich gebotenen Schritt leider – vorerst! – noch Abstand nehmen. Nun, das sind wirklich sehr schwierige Überlegungen, von denen Putin am 23. dieses Monats die deutsche Regierung und ganz Europa mit einem einzigen Machtwort erlöste. Europa braucht sich nicht schweren Herzen zu diesem Verzicht zu entschließen, Russland ergreift von sich aus die Initiative. Was in der nächsten Zeit geschieht, wird beispiellos in der Geschichte des alten Kontinents sein.
Warum sind die Medien – in diesem Fall gebrauche ich ausnahmsweise einmal den Begriff von den Mainstreammedien, was ich sonst ungern tue, da diese meist seriöser und besser informiert sind als ihre Gegner – warum waren und sind die Medien immer noch blind für das kommende Desaster? Weil sie sich offenbar nicht vorstellen können, dass der russische Staat sich in das eigene Fleisch schneiden wird, indem er von sich aus auf beinahe die Hälfte seiner Einnahmen verzichtet. Doch dieses Urteil verrät eine erstaunlich geringe Kenntnis der russischen Psyche. Das russische Volk bildete schon immer eine Leidensgemeinschaft, wohingegen die Europäer sich zu Spaßgesellschaften entwickelt haben – das ist ein entscheidender Unterschied. Die einen sind Verzicht bis hin zu den schwersten Opfern gewohnt, wir dagegen können und wollen nicht einmal unseren Auto- und Flugverkehr reduzieren. Und die russische Wirtschaft wird ja auch ohne europäische Devisen keineswegs völlig zusammenbrechen. Der Export von Gas und Öl nach Indien, China und in andere „befreundete“ Staaten lässt sich rasch steigern und wird diesen Ländern größeren Wohlstand bescheren; nur Europa sitzt auf dem Trockenen, die europäische Wirtschaft wird mit großer Wahrscheinlichkeit einen Zusammenbruch erleben wie nur am Ende der Zwanziger Jahre zur Zeit der großen Depression.
Und Putin, der Zyniker, wird dann als letzter lachen und seinen Spott über Europa ergießen. Wolltet ihr nicht das Klima retten – möglichst gestern statt heute? Eure Freitagskinder werden mich dafür loben, dass ich ihnen besser helfe als die zögerliche Europäische Kommission. Zwar werden viele dieser Kinder nun bald in arbeitslosen Familien leben und keine Zukunft mehr haben. Da ich euch aber künftig mit meinen Gas- und Öllieferungen verschone, ist euer CO2-Ausstoß nun über Nacht beinahe auf Null reduziert! Dank Wladimir Putin seid ihr zu einem Vorbild für die Welt geworden!
Wird man dann noch an die Ukraine und ihre Helden denken? Wenn auf europäischen Straßen nur noch die reiche Oberschicht mit dem Auto fährt, werden die Europäer dann noch den Rest ihres knappen und vielfach verteuerten Öls für Fahrzeuge in die Ukraine opfern, um sie mit dem dringend benötigten Nachschub an Waffen zu beliefern? Ich fürchte, dass die Hilfe dann schnell erlahmt. Ohne diesen Nachschub hält die Ukraine aber bestenfalls noch einen Monat durch, danach wird sie kapitulieren, und zwar zu den Bedingungen Russlands. Der russische Bär oder sagen wir besser, der in Russland neuerlich erstandene Hitler-Goliath wird, wie schon lange angekündigt, das ukrainische Brudervolk „befreien“, nachdem dieses „denazifiziert“ worden ist, also gereinigt von den Einflüssen des „kollektiven Westens“, der wie es im russischen Fernsehen unisono heißt, eine gegen den russischen Menschen gerichtete Nazidoktrin übernommen hat. Während ich in den hiesigen Nachrichten höre, dass Russland nach der Verhandlungsrunde in Istanbul offenbar zu Zugeständnissen bereit sei, wird im russischen Staatsfernsehen (z.B. in der populären Talkshow Большая игра, das Große Spiel) das genaue Gegenteil gesagt. Da ist – wie zu Hitlers Zeiten – nur von уничтожа́ть “ausmerzen“ die Rede. Nichts anderes als die vollständige Kapitulation der Ukraine und ihres verbrecherischen Regimes komme für Russland in Frage. Durch den angekündigten Gas- und Ölstop rückt diese Perspektive auf einmal in greifbare Nähe. Die Fabrikanlagen zur Produktion eigener Waffen und die Öldepots der Ukraine wurden von russischen Raketen vorsorglich beinahe zur Gänze zerschossen. Und den Nachschub aus Europa wird es schon bald nicht mehr geben. Selbst die überzeugtesten Freiheitskämpfer können aber nicht mit bloßen Händen gegen einen Bären kämpfen. Die bedingungslose Kapitulation der Helden von Kiew ist nur eine Frage der Zeit.
Und die triumphal beschworene Einheit des Westens? Wird sie auch dann noch bestehen, wenn die europäische Wirtschaft einschließlich der deutschen Industriemacht um ihr Überleben kämpft? Kurzfristig – d.h. innerhalb der kommenden drei Jahre – können weder die Amerikaner noch die übrige Welt den russischen Energieausfall ersetzen. Ich wage es nicht zu denken, aber ich halte es für wahrscheinlich, dass man die Ukraine schon bald aufgeben und schnell vergessen wird. Vorher allerdings werden die Russen die Großmütigen spielen (denn auch diese Rolle weiß Putin gekonnt aufzuführen). Sobald die Ukraine bedingungslos kapituliert, wird er sie vermutlich nicht zur Gänze schlucken sondern in der Mitte teilen: in einen westlichen Teil, den er räumen lässt, und einen östlichen, den er am Ende dem eigenen Staatsgebiet einverleibt. Und wir im Westen werden die Annexion kleinlaut abnicken, nur damit russisches Öl und Gas von neuem strömen, denn andernfalls wird es aus mit dem Spaß und unserem Wohlstand sein – und vermutlich auch mit dem inneren Zusammenhalt der EU. Warum ich dies schreibe, obwohl ich doch nur selten zu aktuellen Anlässen Stellung nehme? Weil ich bis zuletzt inständig hoffe, dass dies alles nicht eintreten wird!
*0* Die Forderung nach Bezahlung in russischen Rubeln lässt eine strenge und eine weiche Variante zu. Die weiche Variante verlangt lediglich, dass der Käufer von Gas bei der russischen Zentralbank Euro oder Dollar in Rubel einlöst, um das Gas dann damit zu bezahlen. De facto läuft das für europäische Staaten auf eine Fortsetzung der bisherigen Geschäfte hinaus, da sie den Eurobetrag statt an den Lieferanten Gasprom nun eben an die russische Zentralbank überweisen, welche die Devisen dann in Rubel umtauscht und an Gasprom weiterleitet. Auf diese Weise wird der Rubel gestützt und für die Europäer ist es business as usual. Mit ca. einer Milliarde pro Tag für den Kauf von Gas und Öl zusammen, subventioniert Europa damit den Krieg in der Ukraine.
Die harte Variante, zu der sich der russische Staat jederzeit entschließen könnte, geht einen entscheidenden Schritt weiter. Sie verbietet den Ankauf von Rubeln bei der russischen Zentralbank. Ein westlicher Staat, der von Russland Gas beziehen will, müsste durch den Export seiner Güter nach Russland ausreichend Rubel erwirtschaftet haben, um weiterhin Gas beziehen zu können. Damit würden alle Sanktionen gegen Russland effektiv unterlaufen, und der Rubel würde zu einem bedeutenden Zahlungsmittel aufrücken. Da der Export nach Russland aufgrund der Sanktionen weitgehend brachliegt, würden europäische Staaten kaum über das erforderliche Volumen an Rubeln verfügen. In meinem Artikel ging ich davon aus, dass diese, die harte, Variante zum Zuge käme. Dann, aber auch nur dann, wären die vorausgesagten Folgen eingetreten.
*1* Die Amerikaner haben die sowjetischen Labore für Chemiewaffen in der Ukraine übernommen, wie die Vizeaußenministerin Victoria Nuland selbst zugegeben hatte. Danach wurde diese Tatsache aber gegen alle Evidenz verschwiegen.
Dr. Johannes Rauter, Ökonom, schrieb den folgenden Kommentar:
Sehr geehrter Herr Jenner,
dass die Russische Invasion und deren dumme Begründung im 21. Jahrhundert völlig inakzeptabel, atavistisch ist und auf das Russische System, das rein emotionsgetrieben handelt, das allerschlechteste Licht wirft, das steht
für mich außer Frage…
GJ: Es geht Russland um die Stärkung des eigenen Lagers und die Schwächung des Westens (das trifft spiegelbildlich natürlich ebenso auf die Vereinigten Staaten zu). Dieses böse Spiel wurde bis dahin in der Dritten Welt inszeniert, jetzt nähert es sich unseren Grenzen.
Sie haben ein erschütterndes Szenario gezeichnet. Vor allem hat mich beeindruckt,
dass nach Ihrer Kenntnis die Istanbul-Gespräche in Russland völlig anders
verstanden worden sind als die westliche Presse sie interpretiert.
Das Szenario, dass Putin den Gashahn für drei Monate zudrehen könnte,
das scheint Ihnen nicht ausgeschlossen, ja wahrscheinlich?
GJ: Nicht nur für drei Monate sondern so lange wie Europa nicht in Rubeln bezahlt, also auf theoretisch unbegrenzte Zeit, denn die Vereinigten Staaten werden eine Schwächung des Dollar keinesfalls akzeptieren.
Doch dagegen gibt es einen Verbündeten: China wird nicht zulassen,
dass sein großer Absatz-Markt EU, in den es immerhin in 2021 noch
Waren lt eurostat comext von 525 Milliarden € abgesetzt hat, schwer
geschädigt wird.
GJ: Sie haben recht. China sitzt zwischen zwei Stühlen, aber das Verhältnis zwischen Putin und Xi ist inzwischen so eng, dass man eher Europa als die Russen verprellt. Das wird gerade heute wieder zwischen Lawrow und Wangyi in Peking bekräftig. Und last not least möchte China genauso wie Russland die Vorherrschaft des Dollar brechen. Da ziehen beide an einem Strang.
Der Held in Kiew. Da stellen sich trotzdem Fragen. Warum ist der Status
der Neutralität so inakzeptabel, dass dafür Tausende Menschen sterben mussten?
Warum muss die Ukraine in die EU – die keines der Aufnahmekriterien erfüllt –
und kann nicht – wie die Türkei – mit entsprechenden Verträgen mit der
EU lediglich assoziiert sein? Warum ist im Donbass eine Autonomie wie in
Südtirol nicht möglich?
GJ: Auch da gebe ich Ihnen recht. Der Krieg wäre sicher vermieden worden, hätte die Ukraine sich nicht so entschlossen an die Seite des Westens gestellt.
Wurde das wirklich v o r dem Krieg mit Russland besprochen? Und Bereitwilligkeit gezeigt, für solche Lösungen? Gibt es einen Nachweis für solche Gespräche? Wenn nein, dann stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Ukrainischen Führung. Muss erst ein Viertel des Landes in Schutt und Asche gelegt werden um zu diesen durchaus vertretbaren Lösungen zu kommen? Von den Toten ganz zu schweigen.
GJ: Die Ukraine war immer schon ein Grenzland, an dem Ost und West um die Wette zerrten. Das ist die schlimmste Situation, in der sich ein Staat befinden kann, weil dadurch auch alle Arten von Extremismus gefördert werden. Aber eines sollte man nicht vergessen. Putin hat nie ein Hehl aus seinem Bestreben gemacht, den Zusammenbruch der Sowjetunion durch Aufnahme der „slawischen Brüder“ wieder rückgängig zu machen.
Sollte Russland aber solche Gespräche rundweg abgelehnt haben, dann würde das
Vorgehen der Ukrainischen Führung eine andere Qualität haben.
Herr Jenner , kennen Sie die Fakten dazu? Das zu wissen ist entscheidend für die
Bewertung der Beteiligen an diesen furchtbaren Vorgängen, denke ich.
Wäre es nicht an der Zeit, neben Waffenlieferungen von Seiten der USA
Druck auf die Ukraine auszuüben, die Neutralität, bezüglich der EU
einen „Türkei-Status“ und für den Donbass eine Südtirol-Lösung zu
akzeptieren oder eine Volksabstimmung unter UN-Aufsicht?
GJ: Die Neutralität wird von der Ukraine doch längst angeboten.
Mit freundlichem Gruß
Johannes Rauter
Noch einmal Johannes Rauter:
Sehr geehrter Herr Jenner,
danke dass Sie so ausführlich kommentiert haben.
Alles ok bis auf den letzten Punkt: die Ukraine hat erst
jetzt und nicht v o r der Schlächterei Neutralität angeboten.
GJ: Das ist richtig.
Rubelzwang: in der SZ wurde am 25. März 22 darauf
genau Bezug genommen und es ist wirklich nicht klar, warum dies
– außer Prestige-Gesichtspunkten und „pacta sunt servanda“ – von
Bedeutung sein sollte, Gazprom muss ohnehin – wie dort steht –
80% seiner Deviseneinnahmen sofort bei der ZB in Rubel tauschen.
Wozu also die ganze Aufregung frage ich mich als Volkswirt.
Das der Rubel-Kurs etwas steigt, na und. Deshalb womöglich
einen kompletten Stopp der Gaszufuhr in Kauf zu nehmen hielt ich,
basierend auf meinen Informationen für abenteuerlich.
Aber ich werde wohl nicht alle Informationen haben.
Ich frage mich auch, warum die RF nicht in Form einer Forderungs-
abtretung (Forderungen aus Gasrechnungen an die EU z.B.) z.B.
an Indien, die Sanktionen unterläuft.
GJ: Die Weltmachtstellung der USA ist nicht nur militärisch begründet, sie beruht überdies wesentlich darauf, dass der Dollar Weltleitwährung bleibt, denn dann findet der Welthandel in dieser Währung statt, und sämtliche Staaten kaufen – zusätzlich zu dem normalen Handel – Dollar gegen Waren ein, die sie – kostenlos – den Amerikaner liefern, die dafür im Gegenzug nur Papier drucken müssen. Daher scheuen Russland und China keine Mühe, die Stellung der Weltleitwährung zu unterlaufen, denn das bietet – zumindest China – die Chance, irgendwann mit dem Yüan den Dollar zu verdrängen und selbst die ungeheuren Vorteile der Weltleitwährung auszuschöpfen. Es geht also um weit mehr als um bloßes Prestige!
Im Jahr verkaufte die RF an die EU für 60 Mrd: Mineral fuels, lubricants and related materials. Das war der größte Brocken. Ansonsten beläuft sich der Außenhandel Lt. eurostat der EU (28) mit der RF auf gerade mal 6%-7% des Russischen BIP.
GJ: Der Anteil der Energieexporte an den gesamten Warenexporterlösen Russlands liegt bei rund zwei Dritteln. Zu den föderalen Staatseinnahmen trägt die Energiewirtschaft etwa die Hälfte bei. Für Russland hat eine Reduktion der Energieexporte daher schon bedeutsame Folgen. Der Schaden eines Energieembargos für Europa beruht darauf, dass wir selbst kaum noch über Reserven (außer Kohle) verfügen und diese kurzfristig auch nicht anderweitig einkaufen können.
Interessant auch, dass immer über ein komplettes Zudrehen des
Gashahnes geredet wird, nicht aber ein stufenweises. Der größte Brocken den die EU an die RF liefert war 2020: Machinery and transport equipment 36 Mrd., gefolgt von Chemicals and related products, n.e.s. für 17 Mrd. Das könnten auch China und Indien liefern.
GJ: Genau, deswegen wird Russland am Ende weniger leiden als Europa, das von Energieimporten bisher existenziell abhängig ist.
Beste Grüße
Johannes Rauter
Ingenieur Karl Ernst Ehwald schreibt:
Lieber Gero Jenner,
ihrer nüchternen Analyse habe ich nichts hinzuzufügen, als die Hoffnung, dass es trotz allem nicht aus Versehen zum 3. Weltkrieg kommt.
Karl Ernst aus Frankfurt (Oder)
GJ: Ja, ich vertraue auf die Vernunft insoweit, als selbst jene Politiker, die sich gegenseitig als (Kriegs-)Verbrecher titulieren, den letzten aller Kriege nicht bewusst herbeiführen werden. Versehen, vor allem technisches Versehen, bildet die eigentliche Gefahr.
Adalbert Gail, Professor für Indologie, schreibt Folgendes:
Lieber Herr Jenner, ich hoffe, dass Sie mit ihrem apoklyptischen Scenario
nicht recht behalten. Der Westen muss den längeren Atem haben und er wird
ihn haben. Gruß Adalbert Gail
Prof. Michael Kilian, Anwalt und Verfassungsrechtler:
Lieber Herr Jenner,
danke für die weitere Zusendung.
Nur kurz zwei Apercus:
– Der Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft nach dem Zweiter Weltkrieg ist auch dem sog. Osthandel zu verdanken (Berthold Beitz). Die SU war ein sicher liefernder und zahlender (Gold) Vertragspartner. Die USA sahen dies nie gern, ich erinnere mich an ein US-Röhrenembargo in den sechziger Jahren gegenüber der SU zu Lasten der führenden deutschen Röhrenkonzerne (Mannesmann, Krupp).
– Deutschland verlor den ersten wie den zweiten Weltkrieg primar wegen Rohstoffmangels. Deshalb die andauernde, enge Anbindung des deutschen Handels an das führende Rohstoffland Europas (und wohl auch der Welt). Dies war volkswirtschaftlich keineswegs verfehlt, da die SU (und danach Rußland) ein verläßlicher Handelspartner war (s.o.). Strategisches Denken ist Deutschland nach dem II. WK untersagt gewesen, sieht man von der europäischen Einigung ab.
Viele Grüße, Michael Kilian
Meine Replik:
Lieber Herr Kilian, damit umreißen Sie in wenigen Worten die schwierige Situation eines Landes, dass seinen Rohstoffen, nämlich der Kohle, den Aufstieg verdankt und jetzt den Niedergang riskiert, weil diese Rohstoffe im eigenen Land nicht mehr vorhanden sind oder – wie die Kohle – nicht mehr genutzt werden sollen (und angesichts des Klimawandels auch nicht mehr genutzt werden dürften). Doch darüber werde ich wohl in dem nächsten Beitrag reden.