Deutschland ist ein wohlhabendes Land. Auf der Skala des höchsten durchschnittlichen Prokopfreichtums reiht es sich unter die zwanzig reichsten Industrieländer ein. Auch wenn es inzwischen eine zahlenmäßig keineswegs mehr unbedeutende Armut gibt, ist unser Problem dennoch eher der Überfluss, nicht wie in der Vergangenheit der Mangel. Denn dieser Überfluss beruht auf unersetzbaren Schätzen der Erde, vor allem dem Öl. Unsere ganze Wirtschaft steht mit den Füßen im Öl. Die meisten Kunststoffe, wie sie für Computer, Handys, Kleidung, Teppiche oder Pipelines Verwendung finden, werden aus Öl hergestellt. Und was unser tägliches Brot angeht, so ist der Ausdruck keineswegs fehl gegriffen, dass wir schon seit Jahrzehnten dabei sind, »Öl zu essen«. Die Ertragssteigerungen um nahezu 250%, die seit den 60er Jahren der »grünen Revolution« zu danken sind, beruhen hauptsächlich auf Öl. Pestizide, Kunstdünger und Diesel für Bewässerung und Traktoren – all dies hätte es ohne Öl und Erdgas nie gegeben. Würde die Ölversorgung plötzlich zusammenbrechen oder – was letztlich dasselbe ist – die Preise für Öl steil in die Höhe klimmen, wäre die Versorgung der sechs Milliarden Menschen mit Nahrung von heute auf morgen nicht länger gewährleistet.
Ölknappheit steht aber unmittelbar bevor. Wenn es stimmt, was das renommierte »Oil Depletion Analysis Centre« in London sagt (im Gegensatz zu den stets beschwichtigenden Verlautbarungen von Regierung und Ölkonzernen), dann wird der Höhepunkt der Ölförderung (peak oil) bereits in vier Jahren, also 2011, überschritten sein. Das Zeitalter des billigen und bald auch das des ausreichend zur Verfügung stehenden Öls gehört dann endgültig der Vergangenheit an.
Auch unser Verhältnis zum armen Süden, speziell zum afrikanischen Kontinent, wird durch das Öl beherrscht. Dank des weltweit vor allem für die Industrieländer aus der Erde gesogenen Öls produzieren die USA und Europa weit mehr Getreide, Gemüse, Fleisch oder Fisch als ihre eigenen Bürger verzehren können. Wir produzieren Berge von überflüssiger Nahrung. Dieser Überfluss wird vor allem nach Afrika und Lateinamerika exportiert. Im Senegal, in Mali, Kenia, Burkina Faso quellen die Verkaufsstände der Märkte von europäischen und US-amerikanischen Waren über: Hühnchen aus ganz Europa, Milchpulver aus Frankreich, Zwiebeln aus den Niederlanden, Tomaten aus Italien. Dank der Subventionen europäischer und US-amerikanischer Steuerzahler werden sie dort unten um vieles billiger verkauft als die afrikanischen Produzenten sie herstellen können. Die Folge: die Hühnerzüchter, die Getreide-, Tomaten- und Zwiebelbauern und die Fischer in diesen Ländern verlassen ihre Felder und Arbeitsplätze. Sie werden in Massen arbeitslos. Noch vor wenigen Jahren hatten sich afrikanische Länder mit der Abschottung ihrer Märkte gegen Billigprodukte aus dem Norden gewehrt. Auf diese Weise gelang es ihnen, den Lebensunterhalt der eigenen Bevölkerung zu sichern. Nahrung kauften die Menschen von ihren eigenen Bauern und Fischern. Damit ist es vorbei, seit der IWF die Vergabe von Krediten an die Öffnung der Märkte knüpfte.
Afrika ist zum Armenhaus geworden, aber haben wir von dieser Politik profitiert? Über ihre unglaubliche Kurzsichtigkeit belehren uns Tag für Tag die Nachrichten aus Fernsehen und Radio. Wir überschwemmen die Länder Afrikas mit unschlagbar billigen Produkten. Als Antwort darauf überschwemmen sie Europa mit ihren Menschen: mit all den Hoffnungslosen und Entwurzelten, die nicht vor Diktatoren sondern schlicht vor dem Hunger fliehen.
Die afrikanische Massenflucht hat gerade erst begonnen. Unser Überfluss ist nicht nur für die Menschen dort unten ein unlösbares Problem. Sehr bald könnte das Problem auch für uns selbst unlösbar werden.