Der Aufstieg des fernöstlichen Lands ist nicht mehr aufzuhalten – auch wenn die Vereinigten Staaten dies derzeit mit den Mitteln des Handelskrieges versuchen. Es nützt ihnen wenig, zumal sie der Weltöffentlichkeit unter der derzeitigen Regierung als der rücksichtslos-polternde Grobian im Porzellanladen der internationalen Diplomatie erscheinen. Wie haben sich doch innerhalb eines einzigen Jahrzehnts die Fronten verschoben! Laut trompetet der amerikanische Präsident die neue Botschaft „America First“ in die Welt. Das heißt nichts anderes als: „Wir erlauben uns nationalen Egoismus im Alleingang, was immer die übrige Welt sich dabei auch denken mag.“ Indes hört die Welt aus China ganz sanfte Töne, geradezu einen lockenden Sirenengesang: „Wir stärken die eigene Wirtschaft, gewiss, aber wir tun es, um dabei der restlichen Welt als Lokomotive zu dienen. Ohne uns wäre das Wirtschaftswachstum auf dem Globus um vieles geringer!“
Aus US-Amerika hört die Welt seit Donald Trump
auch immer massivere Drohungen. Bevor der amerikanische Präsident mit Kim Jong Un, einem gegenüber dem eigenen Volk äußerst brutalen, aber schlauen Diktator, eine Art von Männerfreundschaft schloss, von der schlecht zu sagen ist, ob sie für den Vertreter einer demokratischen Nation eher rührend als peinlich ist, schien es einen Augenblick so, als würden die USA militärisch gegen Nordkorea losschlagen. In Venezuela sind sie dazu ohnehin bereit, aber erreichen durch eine törichte Politik das genaue Gegenteil ihrer Absicht. Denn das von Maduro völlig zerrüttete Land hätte sich dieses Präsidenten ohnehin entledigt (immerhin hatten zwei Drittel der Venezolaner laut einer Umfrage des Verteidigungsministeriums von 2016 seine Absetzung damals befürwortet, am Ende des Jahres waren es sogar 80%!). Jetzt aber wird die Nation aufgrund der permanenten Drohungen vonseiten der USA unter Maduro überhaupt erst zusammengeschweißt. Ebenso plump verfährt Trump gegenüber Iran, wo er das von Obama sorgfältig gekittete Porzellan einfach zerschlagen hat. Ohne Absprache mit den beiden Atomgroßmächten Russland und China, ja, im Gegensatz zu Putin und Xi stets bereit, auch die Verbündeten öffentlich zu demütigen, tritt der neue amerikanische Präsident der bestürzten Welt mit dem Gehabe eines unberechenbaren Halbstarken entgegen, der nur eine einzige Maxime kennt: Viel Feind, viel Ehr.
Natürlich gilt die Losung „Unser Land zuallererst“
überall auf der Welt. Das ist ein selbstverständlicher Teil der Realpolitik und besonders auch für China und seinen Aufstieg bezeichnend. Gleichgültig, ob wir dessen Annektionspolitik in Tibet oder Xinjiang betrachten oder seine Einkreisung Taiwans, es geht um nationale Machtinteressen, die man mit eiserner Konsequenz verficht – genau wie das alle andere Staaten nahezu durchwegs taten und weiterhin tun. Nur macht jedes Land daraus ein zweifaches Übel, wenn es den nationalen Egoismus zusätzlich und demonstrativ in die Welt posaunt. Wer seine wenig lauteren Absichten hinter schönen Worten verbirgt, verrät damit immerhin die bessere Einsicht, dass er Egoismus nicht an und für sich für rühmlich hält. Genau deswegen will er ihn ja hinter schönen Worten verbergen. Wer hingegen nach Art von Präsident Trump den Egoismus in eine Tugend verkehrt, der stößt die Welt mit dieser Art dummer Ehrlichkeit auf doppelte Art vor den Kopf. Haben die USA, ein Land, dass immer noch die am reichsten strömende Quelle des Geistes ist, weil es an den weltbesten Universitäten immer noch die besten Forscher hervorbringt, hat dieses Land eine solche Regierung verdient? Ja, vielleicht schon. Es rächt sich jetzt, dass die USA den Geist im Ausland einkaufen und die Elementarbildung im eigenen Land sträflich vernachlässigen. Donald Trump repräsentiert in seiner Person die schlecht oder ungebildeten Massen. In unserer Zeit kann keine Demokratie mit einer ungebildeten Bevölkerung überleben.
China hat dreitausend Jahre Zivilisation hinter sich
die grobe Prahlerei des amerikanischen Präsidenten muss dort ebenso lächerlich wie peinlich erscheinen – zumindest aber als unverzeihliche Dummheit. Die Chinesen selbst sind Meister des schönen Scheins, hinter dem sie ihre Absichten und die keineswegs erfreuliche Wirklichkeit ihres Landes geschickt verbergen. Nach außen errichtet China eine Fassade der Friedlichkeit, es gibt vor, auf der Seite der Armen und Unterentwickelten zu stehen. Es brüstet sich zudem mit einer offenen und grünen Wirtschaft, die es auch noch als kommunistisch bezeichnet, genauer gesagt als einen „Sozialismus chinesischer Prägung“. Seine Führung gibt vor, im Auftrag des Volkes zu handeln.
Nichts von alledem ist wahr – und doch darf man behaupten, dass China derzeit den erfolgreichsten Staat der Welt verkörpert und in diesem Sinne sehr wohl im Auftrag und mit Zustimmung seiner Menschen handelt, denn der Erfolg ist ein Elixier, das wie eine Droge wirkt und alle Bedenken verblassen lässt.
Es stimmt, dass China bisher nur in den Küstenregionen
und in wenigen Knotenpunkten des Hinterlands denselben materiellen Lebensstandard wie die Länder des Westens erreichte. Aber angesichts eines Wachstums von über sechs Prozent schreitet die Vermehrung des nationalen Reichtums in Riesenschritten voran, es ist nur eine Frage der Zeit, bis China die Staaten des Westens, allen voran die USA, überholt haben wird, denn Letztere verschulden sich mit jedem Jahr etwas mehr – sie werden ärmer -, während China zu ihrem wichtigsten Gläubiger wurde und mit jedem Jahr reicher wird.
Inzwischen hat der zunehmende Wohlstand eine breite Mittelschicht ins Leben gerufen. Millionen von Menschen sind einer Jahrtausende währenden Armut innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten entkommen – ein Wunder, das erst die industrielle Revolution und ihr gewaltiger (vor allem fossiler) Energieverzehr zu bewirken vermochte. Mit strategischer Beharrlichkeit und unter größten Opfern hat China diesen Pfad beschritten, der zunächst ja bedeutete, dass man die Drecksarbeit der industriellen Produktion aus den Staaten des Westens ins eigene Land übernahm, und zwar ohne dabei auf Mensch und Natur Rücksicht zu nehmen, denn das hätte die Produktion verteuert und den Aufstieg entsprechend verzögert. Westliche Investoren kamen ja nicht aus Menschenliebe, sondern auf der Suche nach einem möglichst hohen Profit. Zu minimalen Kosten ließen sie in China zunächst jene Waren erzeugen, die sie dann mit sattem Gewinn in ihren Heimatländern verkauften; erst später, als die chinesische Bevölkerung selbst bereits über ein Mindestmaß an Kaufkraft verfügte, ging es ihnen auch um den dortigen Markt – aber man sollte es nochmals ganz deutlich sagen: Irgendwelche Sympathie mit den leidenden Massen oder die Absicht, das Land zu entwickeln, hat Kapitalisten niemals ins Land gezogen (wodurch übrigens das berühmte Verdikt von Adam Smith bestätigt wird, wonach wir weniger vom Wohlwollen eines Wirtschaftssubjekts zu erwarten haben als von dessen wohlverstandenem Interesse).
Die Chinesen ihrerseits wollten den Massen Einkommen und Arbeit bieten
und – mindestens ebenso wichtig – die industriellen Produktionsverfahren so schnell wie möglich so weit kopieren, dass sie eine nationale Produktion aufbauen konnten. Das ist ihnen auf erstaunliche Weise gelungen. Dennoch: die Kosten dieses Parforce-Marathons vom Agrarland zur Industriegroßmacht erwiesen sich als überaus hoch. Bis heute leidet das Land unter den ökologischen Verwüstungen einer brachialen Instant-Industrialisierung. Luft, Wasser und Erde wurden landesweit vergiftet.
In ihrem Bestreben, dem eigenen Land die verlorene Größe zurückzugeben, ohne dabei Misstrauen zu erwecken, pflegt die Regierung dem Ausland gegenüber die Kunst der Untertreibung. Sich selbst bezeichnet China nach wie vor als Entwicklungsland. Das mindert Misstrauen und Widerstand der übrigen Welt und bietet die Möglichkeit, als Ratgeber für andere Entwicklungsländer aufzutreten. Es ist ein Glanz- und Herzstück chinesischer Diplomatie, sich gegenüber dem Ausland ganz bewusst klein zu machen und eine Fassade der Bescheidenheit aufzurichten. Welch Unterschied zu der unter Trump bis zur Peinlichkeit gesteigerten Prahlerei, die den Verdacht erweckt, dass eine Großmacht dadurch den eigenen Abstieg kaschieren will! China betont bei jeder Gelegenheit, keine Hegemonialmacht wie die Vereinigten Staaten zu sein, die der übrigen Welt den eigenen Willen aufzwingt.
Doch man täusche sich nicht!
In Wahrheit ist das nicht mehr als ein Feigenblatt, hinter dem sich eiserne Machtpolitik verbirgt. Tibet wurde im Handstreich dem Reich einverleibt, der sanfte und kompromissbereite Dalai Lama wird bis heute als Teufel in Menschengestalt denunziert. In Xinjiang, dem Land der Uiguren, wird mit äußerster Rücksichtslosigkeit eine Politik der ethnischen Säuberung betrieben; Zehntausende Menschen sind dort in Konzentrationslagern eingesperrt. Schon vorher hat die Zentralregierung eine Politik der Massenimmigration von Han-Chinesen betrieben, welche die Uiguren zu einer Minderheit im eigenen Land schrumpfen ließ. Denn um keinen Preis will China auf die reichen Ressourcen Xinjiangs verzichten, für dieses Ziel nimmt Peking den systematischen Kampf gegen die muslimische Provinz in Kauf. Auch im südchinesischen Meer handelt China so wie vor ihm jede andere aufstrebende Macht: Es expandiert auf Kosten seiner schwächeren Nachbarn. Wir im Westen haben freilich kein Recht, das Reich der Mitte deswegen sonderlich zu kritisieren. Solange die ehemals großen Mächte Europas selbst über die entsprechende Macht verfügten, haben sie eine mindestens ebenso rücksichtslose Politik in großem Maßstab mehrere Jahrhunderte lang betrieben.
Was seine Wirtschaft betrifft
bezeichnet China diese neuerdings gern als besonders offen, vor allem um sich selbst dadurch vom Protektionismus eines Donald Trump abzugrenzen. Aber die Geschichte hält auch hier eine eindeutige Lehre bereit: Alle Staaten sind protektionistisch oder bestehen umgekehrt auf größtmöglicher Handelsfreiheit, je nachdem ob ihnen eine solche Politik nützt oder schadet. Die Vereinigten Staaten schützten die eigenen Industrien bis in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit hohen Zöllen gegen die europäische (vor allem englische) Konkurrenz. Japan tat dies bis in die siebziger Jahre, China noch bis vor wenigen Jahren. Jeder aufholende Staat hat gegen die überlegene Konkurrenz ausländischer Staaten, wenn diese mit entwickelten Industrien sowohl billiger wie auch in weit höherer Qualität produzieren, nur dann eine Chance, wenn er seine Grenzen mit hohen Zöllen abschottet oder durch entsprechende Anreize dafür sorgt, dass ausländische Investoren und Kapital im eigenen Land produzieren.
Die Situation ändert sich erst dann auf grundlegende Art, wenn die Industrien eines Landes in Qualität und Preis durch auswärtige Konkurrenz nicht länger zu schlagen sind. Jeder industriell führende Staat besteht auf der Freiheit des Handels, weil der eigene Export seinen Wohlstand nun außerordentlich vermehrt, während er die auswärtigen Waren nicht länger zu fürchten braucht. Das ändert jedoch gar nichts daran, dass Protektionismus sich in zwei Stadien der Entwicklung als entscheidend für die Erlangung oder umgekehrt für den Erhalt von Wohlstand erweist: Erstens, am Beginn der Industrialisierung, um dieser überhaupt eine Chance gegenüber weit überlegenen Konkurrenten zu bieten, und, zweitens, im Stadium einer gealterten industriellen Volkswirtschaft, wenn diese dem Ansturm von Billiganbietern nicht länger gewachsen ist.
Letztere Situation haben die Vereinigten Staaten
im Vergleich zu China erreicht. Und Europa könnte sich bald in derselben Lage befinden. Mit seiner Riesenbevölkerung, seiner macht- und zielbewussten Regierung wäre das Reich der Mitte schon jetzt in der Lage, als Werkbank der Welt die globale industrielle Produktion völlig ins eigene Land zu ziehen, sofern andere Staaten keine Politik zum Schutz der eigenen industriellen Produktion betreiben. Denn man hänge nicht etwa dem Irrglauben an, als könne die Welt zweigeteilt werden: hier die Dienstleistungen, die Forschung und die geistige Innovation, dort die Maschinen, Fabriken und die industrielle Produktion. Der Kopf der Forschung kommt nicht ohne den Körper aus, der für das Machen sorgt. Dienstleistungen und Forschung müssen auf einer industriellen Basis aufruhen sowie dem damit verbundenen konkreten Können und Wissen der Ingenieure.
Die in schnellem Tempo aufstrebende Weltmacht China
wird mit ihrer expansiven Industrie- und Handelspolitik künftig über Krieg und Frieden entscheiden. Mit ihrer Neuen Seidenstraße (One Road, one Belt) hat das Land seinen Drang nach Expansion für alle sichtbar gemacht. Die Vereinigten Staaten sind davon weniger betroffen, denn sie ziehen der weiteren De-industrialisierung ihres Landes inzwischen Grenzen – hier weiß Trump beide großen Parteien und die Bevölkerung hinter sich (wenn auch nicht die mächtigen Investoren). Allerdings haben sie sich viel zu spät zu diesem Schritt entschlossen, denn inzwischen nutzt die Auslagerung ja nicht mehr nur dem oberen ein Prozent der Investoren, die sie seit den achtziger Jahren mit großem Profit betreiben, sondern die Massen sind abhängig von dem viel billigeren chinesischen Import – auf den Regalen von Discountern wie etwa Walmart nahmen schon 2008 die Waren aus chinesischer Produktion ganze 90% der Fläche ein (Ian Morris 2010, Pos. 8557).
Aber wie ist es mit Europa?
Seit Trump auf seine Art die Notbremse zog, muss China nach einem Ausweg suchen, um seine gewaltige Überproduktion abzusetzen. Anders gesagt, bemüht es sich seitdem mit verdoppeltem Einsatz, den europäischen Markt zu erobern – und Europa kann sich gegen die Attacke viel schlechter wehren. Es leidet nicht nur darunter, dass es statt mit einer einzigen Stimme immer mit 28 oder jetzt mit 27 spricht, sondern auch weil Deutschlands mächtige Exporteure, allen voran die Autofirmen, in Fernost inzwischen mehr Kunden haben als im eignen Land. Sie würden sich jedem Versuch, es den Amerikanern gleichzutun, mit aller Entschiedenheit widersetzen. Die Industrie- und Handelspolitik Europas wird – noch – von den deutschen Autofirmen bestimmt.
Andererseits sitzt China heute schon unsichtbar
wenn auch unüberhörbar mit am Tisch, wenn über Europas Zukunft entschieden wird. Die Schwäche einiger EU-Mitgliedsländer nützt das fernöstliche Land mit großer Geschicklichkeit aus, indem es ihnen günstige Kredite gewährt, für die es dann im Gegenzug eine Förderung seiner Interessen verlangt. Länder wie Ungarn, Griechenland, Italien und Großbritannien, die von chinesischem Geld profitieren, werden sich hüten, Maßnahmen zuzustimmen, die China vor den Kopf stoßen könnten. Bei jeder Entscheidung, welche die Einstimmigkeit aller Mitgliedsländer im Europäischen Rat erfordert, bringt China auf diese Art seine Macht hinter den Kulissen ins Spiel. Donald Trump ist undiplomatisch genug, um aus seiner Abneigung gegen ein Vereintes Europa kein Hehl zu machen. Die Chinesen gehen auch in diesem Fall weit raffinierter vor. Nach außen beteuern sie wie ein Mantra ihre Unterstützung der europäischen Einheit, in Wahrheit demontieren sie diese, weil sie einzelne Mitgliedsstaaten von ihrem Geld abhängig machen. Denn natürlich ist ihnen deutlich bewusst, dass nur ein wirklich Vereintes Europa ihnen einen wirksamen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Die Lehre, die Europa aus dieser Gefahr ziehen sollte, scheint evident. Solange es in seiner Außen- und Handelspolitik das Prinzip der Einstimmigkeit nicht durch Mehrheitsentscheidungen ersetzt, wird es dem auswärtigen Druck nicht gewachsen sein!
Wir sollten rechtzeitig begreifen, dass die Chinesen langfristig planen
Sie haben den längeren Atem. Schon bald werden sie Elektroautos en masse produzieren und Deutschlands stolze, einst führende Automarken vom Markt verdrängen. Vermutlich schon in zwei Jahren werden sie Langstreckenflieger weltweit vermarkten, die in der Qualität gleich, aber um vieles billiger sind als die Produkte von Boeing und Airbus. Begrüßt wird eine solche Entwicklung nur von der orthodoxen Wirtschaftstheorie, weil diese glaubt, dass der Kunde seine Produkte grundsätzlich dort kaufen sollte, wo diese bei gleicher Qualität am billigsten erzeugt werden können. Diese Sicht ist aber von gefährlicher Einseitigkeit, weil sie zwei außerökonomische Faktoren ganz übersieht: einerseits die Verschiebung in der Natur der gehandelten Güter und andererseits die politische Dimension.
China ist wie Japan ein Land mit wenig eigenen Rohstoffen einschließlich Ackerflächen
aber mit einer hochgradig disziplinierten, überaus fleißigen, inzwischen sehr gut ausgebildeten und überdurchschnittlich intelligenten Bevölkerung. Was das Land braucht, sind importierte Nahrung und Rohstoffe, was es der Welt bieten kann, ist die eigene Arbeit in Gestalt von industriellen Fertigprodukten. Für China ist es daher am günstigsten, aus aller Welt erstere zu beziehen und letztere zu exportieren. Zwangsläufig führt dies zu einer Verschiebung der Macht. Die Exporteure von Wein, Soja, Mais, Öl oder Kupfer haben in der Regel weniger Macht als die Hersteller von Flugzeugen, Autos und Raketen. In der Vergangenheit erwarb und befestigte Europa seine Vormachtstellung auf genau diese Weise. Sie beruhte in erster Linie darauf, dass es Industrieprodukte herstellte und in alle Welt verkaufte und im Gegenzug von diesen die zu ihrer Herstellung notwendigen Rohstoffe importierte. Die Verschiebung in der Natur gehandelter Güter erhellt die eminente politische Dimension des Handels – ein Faktum, welches die orthodoxe Volkswirtschaft gern übersieht.
Die Chinesen werden nicht müde
ihre Exportoffensive als ein Geschenk an die Welt zu verkaufen: alle würden davon profitieren. Das ist – wie die Chinesen selbst natürlich am besten wissen – schlicht eine Unwahrheit. In einer Welt, wo die effektive Macht immer noch auf Kanonen beruht, profitiert in Wirklichkeit nur der Exporteur von Industrieprodukten, weil auch die Forschung unmittelbar mit der Produktion verbunden bleibt. Je mehr der Export eines Staates sich dagegen zu Rohprodukten oder Nahrungsmitteln verlagert, umso weniger Macht kann er auf die Waagschale legen. Genau das erklärt die Nervosität der Vereinigten Staaten, seitdem sie ihre einst weltbeherrschende industrielle Basis weitgehend an das Ausland verloren haben. Um ihren Wohlstand: den American Way of Life, weiterhin abzusichern, verlassen sie sich daher mehr und mehr auf jenen Bereich, der ihnen von ihrer einstigen Größe geblieben ist: die militärische Übermacht. Doch sind sie angesichts ihrer exorbitanten Verschuldung immer weniger in der Lage, diese weiterhin zu bezahlen. Daher der steigende Druck auf die Verbündeten, ihre Militärausgaben zu erhöhen und mehr Waren aus den USA zu importieren.
Fassade und Wirklichkeit klaffen nicht nur weit auseinander
was die Absichten Chinas betrifft, sondern stehen sich auch im eigenen Land schroff gegenüber. Das Reich der Mitte deklariert sich als kommunistisches Land, generiert aber mehr und mehr Milliardäre. Seit Deng Xiao Ping seinen Landsleuten zurief, dass Reichtum gewiss keine Sünde sei, wurde das Ideal Maos von materieller Gleichheit in aller Stille entsorgt. China praktiziert den Kapitalismus in neoliberaler Form, aber mit größtem Erfolg für die eigene Bevölkerung, denn es hat auf diese Weise große Bevölkerungsteile aus uralter Armut erlöst. Solange das Land diesen Erfolg fortzusetzen vermag, nimmt man die Milliardäre in Kauf. Der Kommunismus dient dabei als willkommene Fassade, hinter der sich ökonomischer Pragmatismus verbirgt, dessen positive Wirkungen nicht zu leugnen sind, denn im Lande herrscht eine Aufbruchsstimmung, wie der Westen sie längst nicht mehr kennt.
Gewiss, noch gibt es tausend Argumente und Schattenseiten
um den Aufstieg der fernöstlichen Macht zu bekritteln. Die Stadt Peking stinkt – wie viele andere chinesische Städte übrigens genauso; die Industrialisierung hat Mensch und Natur tiefe Wunden geschlagen. Doch überall, wo eine Gesellschaft sich im Eiltempo industrialisiert, gehört die Verpestung von Luft, Wasser und Erde zu den Kinderkrankheiten. Vieles spricht dafür, dass China dem japanischen Vorbild folgen wird und sein neuer Reichtum ihm schon bald ermöglicht, die sichtbaren Folgen der Naturzerstörung in wenigen Jahrzehnten weitgehend zu beseitigen. Schon jetzt gehört China zu den ganz wenigen Staaten, wo der Wald durch intensive Aufforstung vermehrt, statt wie andernorts mehr und mehr reduziert wird.
Reichtum ist die beste Medizin, um die Wunden zu heilen
welche Armut bis dahin geschlagen hatte. Das zeigt sich schon daran, dass er der Kreativität zu erstaunlicher Entfaltung verhilft. Mit Bewunderung erlebt man schon seit einiger Zeit, dass China, auch, wo es Schönheit erschafft, auf eine mehr als zweitausend Jahre währende Tradition zurückgreift. So hässlich die im Eiltempo für die Massen aufgezogenen Großstädte sind, so brillant und teilweise großartig sind die Zentren der Repräsentation: Stadien, Kongresshallen usw. Sie zeigen, wie China sich seine Zukunft vorstellt, wenn es diese nach eigener Vorstellung zu verwirklichen vermag.
Nur in einer – allerdings für die Zukunft entscheidenden – Hinsicht dürfte sein Aufstieg der Welt
die größten Probleme bereiten. China hat den ökologischen Fußabdruck im eigenen Land dramatisch vergrößert und ist im Begriff, das auch überall sonst auf der Welt zu tun, wo immer es seinen Einfluss geltend macht. Da nützt es nichts, dass man auch in dieser Hinsicht eine Politik der schönen Fassade betreibt. Glaubt man den Chinesen, so ist dort inzwischen die ganze Produktion auf grün umgepolt. Zu Recht wird zwar hervorgehoben, dass China die größten Solaranlagen und Windparks der Welt besitzt, nur wird dabei wohlweislich verschwiegen, dass das Land zur gleichen Zeit auch die meisten Atom- und sogar die meisten Kohlekraftwerke erbaut. Während die Rettung des Planeten eine Politik erfordert, die den Ressourcenverbrauch sowie die davon ausgehende Vergiftung (Klimawandel) radikal beschränkt, läuft Chinas Politik auf das gerade Gegenteil hinaus.
Auch hier steht der Westen allerdings keineswegs besser da
Wenn wir – wie wir es eigentlich tun müssten -, unsere CO2-Bilanz um den Anteil erweitern, der in China für die Waren anfällt, die wir dort einkaufen, dann kämen wir bei uns auf einen bedeutend höheren ökologischen Fußabdruck und müssten uns überhaupt fragen, ob die Auslagerung unserer Produktion einen Sinn ergab, denn hier hätten wir vermutlich bessere Umweltbedingungen eingehalten.
Anders gesagt, war Auslagerung der industriellen Produktion aus ökologischer Sicht von Anfang an eine Fehlentwicklung. Ökonomisch gesprochen war sie beides zugleich: Gewinn wie Verlust. Sie war ein Gewinn für ursprünglich unterentwickelte Staaten, deren Reichtum sie vermehrte oder überhaupt erst erschuf. Sie war ein Verlust für schon entwickelte Staaten, wenn sie deren Reichtum verminderte.
Auch das Bekenntnis zum Volk
das auf den jährlich mit großem Aufwand inszenierten „Volkskongressen“ beschworen wird, ist eine Politik der Fassade. Tatsächlich wird der Bürger auf Schritt und Tritt überwacht; wer sich dem Regime auf offene Art widersetzt, verschwindet in Arbeitslagern. Von Freiheit in westlichem Sinn kann keine Rede sein. Die klügsten Analysen auf politischem, ökonomischem, sozialem Gebiet stammen nach wie vor aus den Staaten des Westens, allen voran aus den Vereinigten Staaten, welche sich immer noch rühmen können, die weltweit führenden Universitäten zu besitzen.
Aber man mache sich nichts vor! Die Kanalisierung aller intellektuellen Energien in den industriellen Aufbau des Landes und einer ihm dienenden Forschung verschafft der chinesischen Intelligenz genügend Gelegenheit zur aktiven Mitarbeit. Im Gegensatz zu früher ziehen es mehr und mehr chinesische Studenten daher auch vor, nach dem Abschluss ihrer Ausbildung in einem westlichen Land (wie beispielsweise den USA) nach China zurückzukehren. Statt ihr Wissen und Können den Vereinigten Staaten zur Verfügung zu stellen, tragen sie es in ihr Heimatland. Das geringere Maß an Freiheit scheint ihnen da kaum etwas auszumachen. Das wird so lange nicht als unerträgliche Beengung empfunden wie der Aufstieg des Landes unangefochten ist und es seine Menschen mit Stolz erfüllt, auf immer mehr Gebieten an die Weltspitze aufzurücken. Der Patriotismus der Chinesen ist verständlich – unter Xi ist daraus bereits ein kämpferischer Nationalismus geworden.
Denn dass es einer immer größeren Zahl an Chinesen zunehmend besser geht
und sie mit berechtigtem Stolz auf die eigenen Leistungen blicken, ist unbestreitbar. Das selbstbewusste Auftreten einer wachsenden Zahl chinesischer Touristen im Ausland legt davon ebenso Zeugnis ab wie der unglaubliche, bei uns ganz undenkbare, aber zweifellos beeindruckende Pomp, den Peking auf so meisterhafte Art bei den Empfängen ausländischer Staatsoberhäupter oder auf internationalen Ausstellungen zu inszenieren versteht. Auf Anhieb begreift da jeder, dass der chinesische Präsident nicht etwa ein Sozialist in Arbeitskluft ist, sondern der moderne Repräsentant einer mehr als zweitausendjährigen Tradition. Ausländische Staatsoberhäupter pflegten früher dem chinesischen Kaiser ihre Huldigung als gnädig beschenkte Vasallen zu erweisen. Dieses Ritual wiederholt sich in unserer Zeit. Selbst die Premiers und Präsidenten Europas überbieten sich inzwischen in unterwürfiger Haltung, wenn sie nach Peking pilgern, um dem eigenen Land chinesische Investitionen zu sichern, denn China verfügt ja mittlerweile über die weltweit größten Devisenreserven und ist der größte Gläubiger auf dem Planeten. Schon jetzt ist Beijing die heimliche Hauptstadt der Welt. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es Washington ablöst und zur offiziellen wird.