Corona-Krieg

In einem anklagenden Artikel begehrt Herr Ole Skambraks, studierter Politikwissenschaftler und Redakteur in deutschen Rundfunkanstalten, gegen den Mainstream auf. Seiner Meinung nach leben wir heute schon in einem Überwachungsstaat, wo abweichende Meinungen nicht mehr zur Sprache kommen, z.B. über Corona. Einige Passagen in seinem Schreiben haben mir zu denken gegeben, z.B.

„Warum hat Bremen mit Abstand die höchste Inzidenz (113 am 4.10.21) und gleichzeitig mit Abstand die höchste Impfquote in Deutschland (79 %).“

Das finde auch ich sehr merkwürdig. Andererseits widerspricht diese Meldung den Zahlen, die ich aus Vereinigten Staaten höre, wonach die Inzidenz dort am größten sei, wo am wenigsten geimpft worden ist (ausgenommen die Bundesstaaten, wo aufgrund einer minimalen Impfquote die Seuche zuvor am stärksten gewütet und Resistenzen erzeugt – aber natürlich auch die meisten Todesopfer unter älteren Menschen gefordert hatte).

„Dr. Kobi Haviv, Direktor des Herzog-Krankenhauses in Jerusalem, spricht davon, dass 85 % bis 90 % der schwer Erkrankten auf seiner Intensivstation doppelt geimpft sind.“ Und:

„Eine der großen Geschichten aus Israel [ist]: ‘Impfstoffe funktionieren, aber nicht gut genug‘.“

So hat es – wenn auch weit weniger drastisch – der aufmerksame Beobachter von vornherein gehört. Entscheidend ist daher, wie gut bzw. wie schlecht die Impfungen aus statistischer Sicht funktionieren. Die Balance, zwischen der es in einem solchen Fall abzuwägen gilt, ist die zwischen mehr oder weniger schweren Nebenwirkungen der Impfung auf der einen und vermiedenen schweren Erkrankungen oder Todesfällen durch die Impfung auf der anderen Seite. Wenn diese Balance eindeutig für die Impfung spricht (und diese auch wirksamer ist als alle bisher eingesetzten Medikamente), dann ist für mich das weitere Vorgehen klar entschieden. Ich billige zwar jedem das Recht zu, sich frei für oder gegen das eigene Überleben zu entscheiden, aber nicht das Recht, die übrigen Bürger für vermeidbare, überaus kostpielige Behandlungen auf Intensivstationen zahlen zu lassen oder für die noch viel größeren Kosten eines ebenso vermeidbaren wirtschaftlichen Stillstands.

„Ultrapotente Antikörper“ oder eine „Super-Immunität“ wurde bei Menschen gefunden, die sich im letzten Jahr mit SARS- CoV-2 infiziert hatten.“

Das kann schon sein, aber das ist ein geringer Trost für Menschen, die sterben, bevor sie eine Chance haben, diese Antikörper zu entwickeln.

„Immerhin hat Gesundheitsminister Jens Spahn nun angekündigt, dass auch ein Antikörpernachweis zulässig werden soll. Um offiziell als immun zu gelten, muss aber immer noch eine Impfung folgen. Wer versteht diese Logik?“

Diese Logik verstehe ich nicht und halte sein Vorgehen für unvertretbar. Ebenso wenig verstehe ich folgende Ablehnung:

„Die Abgeordnete Emanuelle Ménard hat folgenden Zusatz im Gesetzestext gefordert: Der digitale Impfpass „endet, wenn die Verbreitung des Virus keine ausreichende Gefahr mehr darstellt, um seine Anwendung zu rechtfertigen.“ Ihr Änderungsvorschlag wurde abgelehnt.“

Für mich wie auch für Herrn Skambraks, der nach Ausweis seines Lebenslaufes nicht zu den epidemiologischen Fachleuten zählt, gilt m. E. dasselbe wie für 99,99 Prozent aller übrigen Deutschen. Wir müssen uns auf das Urteil der Experten verlassen, so wie das für immer größere Bereiche unserer überkomplexen Gesellschaft gilt. Und noch schlimmer: wir müssen uns – wie in der Demokratie generell – auf das Urteil der Mehrheit unter ihnen verlassen, denn abweichende Meinungen gibt es immer und überall. Alles andere würde ich als laienhafte Anmaßung bewerten. Wenn eine Mehrheit dieser Fachleute der Meinung ist, dass durch obligatorisches Impfen viele Todesfälle vermieden werden, dann würde ich dieses Verdikt ebenfalls akzeptieren, wie es ja bei Pocken- und anderen Impfungen in der Vergangenheit ohnehin schon in vielen Staaten akzeptiert worden ist.

Ich tue das nicht, weil ich Fachleute für Halbgötter halte. Auch 90 Prozent Fachleute können sich irren, sie könnten theoretisch sogar samt und sonders von der Pharmaindustrie bestochen sein. Solange das jedoch nicht erwiesen ist, bleibt mir schlicht nichts anderes übrig, als ihnen zu vertrauen – so wie ich darauf vertraue, dass Tausende von Produkten, auf die ich mich täglich verlasse, die erwartete Funktion auch richtig ausführen. Ich bleibe also dabei, dass 99,99 Prozent der Bundesbürger sich notgedrungen auf das Fachurteil einer Expertenmehrheit verlassen müssen – und dies gilt natürlich genauso für das Vorgehen der Regierung.

In meinen Vertrauen werde ich dadurch bestärkt, dass die Rivalen des Westens, China und Russland, die sonst keine Gelegenheit versäumen uns alle möglichen Übel vorzuwerfen (umgekehrt gilt das in ziemlich dem gleichen Maße), in diesem Fall genau dasselbe propagieren: eine möglichst schnelle Durchimpfung ihrer Bevölkerungen. Haben sie sich auch von ihren Experten und ihren Pharmauntnehmen täuschen lassen?

Lassen Sie mich abschließend zum Kern der Anklage von Herrn Skambraks kommen. Deutschland sei auf dem Weg in den Überwachungsstaat, wo widersprechende Meinungen systematisch ausgeschaltet werden.

„Man darf nicht jedem Spinner eine Bühne geben“, lautet die schnelle Antwort /auf die Unterdrückung widersprechender Ansichten und Fakten/. Die false balance, der Umstand, dass seriöse wie auch unseriöse Meinungen gleichermaßen gehört werden, müsse vermieden werden. – Ein Totschlagargument, das zudem unwissenschaftlich ist.“

Ja, es ist ganz und gar unwissenschaftlich, da ist Herrn Skambraks unbedingt recht zu geben. Die Wissenschaft lebt davon, dass jeder durch Fakten gut belegte Einwand gehört wird. In der Wissenschaft gibt es keine „false balance“. Jedes Argument gilt so lange als richtig, wie es nicht widerlegt worden ist. Darauf beruht der Fortschritt der Wissenschaften.

Aber die Politik geht einen anderen Weg – muss einen anderen Weg gehen, denn ihre Aufgabe besteht darin, eine Wahl zu treffen, um zu Entscheidungen zu gelangen. In der Politik gibt es daher sehr wohl eine „false balance“. Haben wissenschaftliche Experten ein bestimmtes Vorgehen mehrheitlich als richtig abgesegnet, dann kann eine Regierung dieses Vorgehen nur dann für den Bürger akzeptabel machen, wenn nicht Tausende von Stimmen aus dem Internet oder den Medien in einem fort Zweifel an ihrem Vorgehen säen. Wie kann man von den Bürgern verlangen, dass sie sich impfen lassen, wenn die Einwände einer Minderheit ebenso laut in ihren Ohren tönen wie das Urteil ihrer Befürworter? Oder wollen wir dem Taxichauffeur, dem Gastwirt, dem Jurastudenten, den Geschäftsleuten vielleicht zumuten, dass sie alle erst einmal alle vorhandenen Quellen über Corona studieren (ohne dabei doch jemals zu Experten zu werden?).

Und liegt der Fall nicht ganz ähnlich auf so vielen anderen Gebieten? Noch einmal: der durchschnittliche Deutsche ist wie Sie und ich ein Laie auf dem Gebiet der Epidemiologie. Deswegen halte ich es für richtig, wenn wir – ebenso wie die Regierung – der Mehrheit der Experten folgen. Wir tun dies übrigens sehr wohl auf Gebieten – ich nehme an, das gilt auch für Herrn Skambrak -, auf denen wir uns durchaus ein kompetentes Urteil zutrauen, also keine Laien sind. Wollen wir, dass die Medien – Fernsehen oder Druckmedien – den radikalen Parolen der AfD genauso viel Raum einräumen wie denen von CDU oder SPD? Das wäre meiner Ansicht nach eine sehr falsche Balance!