(auch erschienen in Tichys Einblick, fbkfinanzwirtschaft und scharflinks)
Unseren Kindern und Enkeln eine Natur zu erhalten, die durch den ökologischen Fußabdruck unserer Generation nicht weiter und immer noch stärker belastet wird – innerhalb Europas stößt diese Forderung inzwischen auf weitgehendes Verständnis. Wenige zweifeln heute noch daran, dass ein stetig steigender Ressourcenverbrauch uns zur Besinnung zwingt, zumal die Rest- und Schadstoffe der industriellen Produktion Luft, Wasser und Boden weltweit in immer stärkerem Maße belasten.
Inzwischen verlangt eine Politik der Nachhaltigkeit aber wohl mehr als eine solche Besinnung, wir werden uns in Zukunft auch von den zweifelhaften Segnungen der Wegwerfgesellschaft verabschieden müssen. Von den Entwicklungsstaaten dürfen wir das allerdings kaum erwarten, solange sie nicht einen Bruchteil jenes Lebensstandards erreichen, der bei uns als Selbstverständlichkeit gilt. Begriffe wie ökologischer Fußabdruck, Nachhaltigkeit, Umweltschonung geraten erst dann in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, wenn die Bevölkerung ein Mindestmaß an Wohlstand errungen hat. Gewiss ist es daher kein Zufall, dass gerade Deutschland, ein reiches Land, die Weichen seiner Entwicklung in Richtung „Energiewende“ stellte (dass daraus bisher keine Erfolgsschichte wurde, sondern die Bundesrepublik gegenwärtig mehr CO2 produziert als vor der Wende, steht freilich auf einem anderen, weniger schönen Blatt).
Individueller Einsatz und institutionelle Absicherung
Keine Wende hat Aussicht auf Erfolg, wenn ihr nicht eine subjektive Bereitschaft der Bevölkerung entspricht, ihre Durchführung aktiv mitzutragen. Die subjektive Bereitschaft ihrerseits bleibt aber folgenlos, wenn sie nicht durch entsprechende institutionelle Maßnahmen von Seiten des Staats untermauert und befestigt wird. Auf der Ebene des subjektiven Bewusstseins werden Menschen angesprochen, hier entstehen Enthusiasmus, persönlicher Einsatz, manchmal auch erstaunliches Wissen, das sich in zahllosen Initiativen privater Organisationen manifestiert. Auf der Ebene der Institutionen reden dann in der Regel nur noch Fachleute mit. Denn hier sind Nüchternheit und eine Tatsachenlogik gefragt, die auf manche eher abschreckend wirkt.
Zahllose Wissenschaftler, angefangen von Herman Daly, haben sich um die Tatsachenlogik einer ökosozialen Gesellschaft bemüht. Ich möchte nur einen einzigen Aspekt beleuchten, der aber zweifellos von zentraler Bedeutung ist, obwohl gerade er den Enthusiasmus am wenigsten anzusprechen vermag: staatliche Steuerung durch Besteuerung. Ein ökologischer Staat kann nicht entstehen, wenn ein übermäßiger Ressourcenverbrauch nicht institutionell gelenkt und gedrosselt wird.
Dabei erscheint mir wichtig, das Problem zunächst nur grundsätzlich zu behandeln – als theoretische Aufgabe sozusagen, deren praktische Umsetzung wir zunächst einmal ausklammern. Ganz bewusst frage ich also nicht danach, ob im Augenblick bei irgendeiner Partei oder irgendeinem Politiker auch nur die geringste Bereitschaft zu solchem Vorgehen besteht. Wir wissen, dass es meist plötzlich auftretender Notsituationen bedarf (in der Art von Fukushima zum Beispiel), damit überhaupt erst jenes Krisenbewusstsein entsteht, das dann – manchmal sehr plötzlich – die Umsetzung theoretischer Einsichten in die politische Praxis erlaubt.
Das gegenwärtige System: sowohl unsozial wie unökologisch
Ich denke, dass dies eine gerechte Beurteilung ist. Oder sollte man anders benennen, dass der Staat diejenigen seiner Bürger mit Steuern belastet, die den Wohlstand der Allgemeinheit erhöhen, indem sie dieser die eigene Leistung geben? Oder sollte man anders bewerten, dass er die Leistung sogar umso mehr bestraft, je mehr sie ihm davon geben?
Ist es nicht ein elementares Gebot der Vernunft, dass der Staat den Verbrauch belastet, also dasjenige, was Unternehmen und Endverbraucher der Allgemeinheit nehmen, anders gesagt, was sie ihr durch den Konsum an Rohstoffen und Fertigprodukten entziehen?
Logisch war die Besteuerung von Einkommen und Leistung nie zu begründen – ihre historische Ursache lag einzig und allein in praktischen Zwängen. Bis gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts war es technisch unmöglich, den Verbrauch jedes einzelnen Bürgers zu registrieren. Dagegen war es unvergleichlich viel einfacher, Produktion und Einkommen an ihrer Quelle, nämlich in einer überschaubaren Zahl von Betriebsstätten zu erfassen. Nichts anderem als diesem historischen Zufall verdankt das geltende Steuersystem seine Entstehung und heutige Gestalt.
Dieser Zufall hat heute – zum ersten Mal in der Geschichte des Menschen – seine Geltung eingebüßt. Technisch ist es seit Beginn des neuen Jahrhunderts möglich, und noch dazu auf erstaunlich einfache Weise, das staatliche Steuersystem von Einkommen und Produktion auf den Verbrauch umzustellen und Letzteren progressiv zu erfassen.
Bisher ist das freilich nicht einmal im Ansatz geschehen. Die bestehende Mehrwertsteuer – eine Steuer auf die Leistung der Unternehmen (den von diesen erbrachten Mehrwert), welche sie an die Verbraucher weiterreichen – bietet keinen Ersatz, weil ihre ökologische Wirkung gleich null ist und sie überdies der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit widerspricht. Da sie in gleicher Höhe von jedem Konsumenten erbracht wird, belastet sie die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten auf unverhältnismäßige Weise – wie dies generell für jede Art der indirekten Besteuerung gilt. Sie verfestigt und verstärkt soziale Ungleichheit, da sie definitionsgemäß keinen Personenbezug kennt.
Armut und Reichtum, ökologische Verschwendung oder Genügsamkeit sind aber immer personenbezogen! Ein Steuersystem, das solche Extreme mildern soll, muss daher immer direkt verfahren, d.h. es kommt nie ohne Personenbezug aus.
Eine ökosoziale Neuordnung des Systems
Wie gesagt, die technischen Mittel für eine grundlegende ökosoziale Wende stehen seit Ende des vergangenen Jahrhunderts bereit. In meinem vor sechs Jahren veröffentlichten Buch Wohlstand und Armut (sowie unter: Neuer Fiskalismus) habe ich ihre Anwendung zum Zweck einer exakten Erfassung des individuellen Verbrauchs beschrieben. Neben den elektronischen Lesegeräten zur Registrierung des Konsums in sämtlichen Einkaufstätten wird ein Rechenzentrum benötigt, das als Zentraler Computer der Steuerbehörde die über das Internet automatisch gemeldeten Einkäufe physischer Personen ebenso erfasst, wie dies heute schon die Banken bei jeder Einkaufsabbuchung tun.
Statt der heute üblichen Bankomat-Karte ist der Käufer mit einer Karte von zweifacher Funktion ausgestattet, einer Bankomat-plus-Steuerkarte. Sie übermittelt dem Zentralcomputer die jeweilige Einkaufssumme zusammen mit der Identitätsnummer des Konsumenten. Bei diesem Vorgang interessiert sich die Steuerbehörde (der Zentralcomputer) bei 95% der Käufe nicht für die Art der eingekauften Objekte, sondern ausschließlich für die dabei jeweils gezahlte Summe. Alle Summen, die ein Konsument X im Laufe eines bestimmten Zeitabschnitts (eines Monats zum Beispiel) mit seiner Karte in verschiedenen Geschäften und Orten abbucht, werden im Zentralcomputer erfasst und dort automatisch addiert.
Die Berechnung der ökosozialen Endverbrauchssteuer
Liegt die vom Computer für einen bestimmten Zeitraum (z.B. einen Monat) errechnete Gesamteinkaufssumme eines Steuerpflichtigen unterhalb eines bestimmten Lebensminimums, so wird vom Zentralcomputer kein Steuerbescheid ausgestellt; entspricht die Summe dem durchschnittlichen Standardkonsum, so wird eine Standardsteuer erhoben. Summen über dem Standardkonsum werden nach einem entsprechenden Algorithmus progressiv besteuert, wobei die Steilheit der Progression nach demokratischer Festlegung und aufgrund ökologischen Rücksichten erfolgt.
Der Konsum, der unterhalb eines Minimums gar nicht besteuert wird, verteuert sich also umso mehr, je weiter er sich nach oben vom Standard entfernt. In diesem vollkommen transparenten System ist jeder Bürger genötigt, einen umso größeren Beitrag zum Wohl der Allgemeinheit zu leisten, je mehr er durch seinen individuellen Verbrauch die Natur belastet und der allgemeinen Verfügbarkeit durch seine Mitbürger entzieht.
Ein System von unüberbietbarer Transparenz und Einfachheit
Jedes gute System staatlicher Lenkung – und nichts anderes ist die Besteuerung – erstrebt einen Kompromiss zwischen zwei gegenläufigen Zielen: einerseits der Forderung der Allgemeinheit nach ökologischer und sozialer Gerechtigkeit; andererseits dem Bestreben, jeden Bürger zum vollen Einsatz seiner Kräfte für das gemeinsame Wohl anzuregen. Gerechtigkeit wird dadurch erreicht, dass ein höherer Verbrauch auch mehr kostet. Die Bestrafung der individuellen Leistung, ein groteskes Relikt der Vergangenheit, das die Leistung des Bürgers sozusagen als strafwürdig erklärt, wird ganz beseitigt.
Die Qualität eines Steuersystems bemisst sich zusätzlich daran, wie viele Menschen benötigt werden, um es zu administrieren. In dieser Hinsicht ist der „Neue Fiskalismus“ (so habe ich dieses System einer ökosozialen Besteuerung in Wohlstand und Armut genannt) von unüberbietbarer Einfachheit. Erstens, ein Zentralcomputer, zweitens, das Internet und, drittens, eine flächendeckende Ausstattung aller Einkaufsstätten mit Lesegeräten für die Bankomat-plus-Steuer-Karten der Konsumenten – diese drei Komponenten reichen aus, um einerseits die Beschäftigung in hohem Maße zu stimulieren, andererseits aber auch Tausende von Finanzämtern, Finanzbeamten und Steuerberatern zu ersetzen, die ihre Existenz allein der Unsinnigkeit unseres heutigen Systems verdanken (weshalb von dieser Seite übrigens der heftigste Widerstand zu erwarten ist).
Gläserne Konsumenten?
Widerstand ist auch von jenen zu erwarten, die sich im bisherigen System den Anforderungen des Allgemeinwohls ziemlich mühelos zu entziehen vermochten, sei es weil sie ihr Einkommen selbst deklarieren, sei es weil sie dieses auf legale oder illegale Art vor dem Fiskus verschleiern können. Was das Einkommen von Angestellten und Arbeitern betrifft, also der Bevölkerungsmehrheit, so ist es dem Staat schon seit langem auf Heller und Pfennig bekannt, der durchschnittliche Bürger ist längst gläsern geworden. Er lässt es sogar mit sich geschehen, dass die Großmärkte ihn noch zusätzlich überwachen, und zwar im Hinblick auf die konkrete Natur seiner Einkäufe. Der Übergang zu einer ökosozialen Besteuerung des Verbrauchs verschärft die Situation daher nur für eine Minderheit, die sich trotz ihres Reichtums gern vor den Pflichten gegen die Allgemeinheit drückt. In einem System der reinen Verbrauchsbesteuerung ist ein solches Ausweichen nicht länger möglich.
Immerhin wäre es der Überlegung wert, ob die staatliche Steuerbehörde nicht ebenso wie die Notenbank eine unabhängige Institution sein sollte.
Industrien und Endkonsumenten werden gleich behandelt
Abschließend sei noch bemerkt, dass für die produktiven Zellen der Gesellschaft, welche die Güter des täglichen Konsums erzeugen, also die Unternehmen, exakt die gleiche Steuerwende weg von der Leistung hin zum Verbrauch in Kraft tritt – in diesem Fall geht es natürlich um den Verbrauch an Rohstoffen und Energie. Dementsprechend muss es neben der „Endverbrauchssteuer“, welche die Endkonsumenten von Fertiggütern betrifft, eine „Erstverbrauchssteuer“ geben, die für die Unternehmen als Erstkonsumenten der für die Produktion benötigten Ressourcen gilt – eine Steuer von höchster ökologischer Relevanz. Die Erstverbrauchssteuer habe ich ebenfalls in den genannten Quellen beschrieben.
Die Bereitschaft für einen Wechsel zu größerer ökosozialer Gerechtigkeit ist in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden. Sie fehlt dagegen ganz bei Politikern und Parteien, weil diese gewöhnlich erst auf Situationen der Not reagieren. Für dieses Beharrungsvermögen hat Meinhard Miegel eine sehr realitätsnahe Erklärung gefunden. Parteien hätten ein ausdrückliches Interessen an unübersichtlichen Regeln: Nur diese erlauben ihnen, vor den Wahlen Geschenke für ihre jeweilige Klientel einzuschmuggeln, die sie gleich mühelos bei anderer Gelegenheit auch wieder stornieren können. Ein im Sinne der Bürger vollkommen transparentes System, wie das hier vorgeschlagene, würde solche Manöver sehr erschweren und so ihre Macht begrenzen. Deshalb werden gewöhnlich – und das sagte kein Geringerer als John Kenneth Galbraith, einer der größten Wirtschaftswissenschaftler der Vereinigten Staaten – auch jene von oben herab belächelt, die überhaupt Reformvorschläge vorbringen:
If a man seeks to design a better mousetrap he is the soul of enterprise; if he seeks to design a better society he is a crackpot.