Der Run auf die Banken

Was der Krebs für den gesunden Körper, das ist der Bankenrun für den Kapitalismus: eine Krankheit zum Tode. Wo immer von dieser Gefahr die Rede ist, blinken sofort sämtliche Warnsignale des ökonomischen Systems. Denn der Bürger wird an seinem verwundbarsten Punkt getroffen. Er zittert um sein Geld und seine materielle Existenz. Dasselbe System, das ihm bis dahin einen stetig wachsenden Wohlstand versprach, bedroht ihn von einem Tag auf den anderen mit einem Totalverlust. Da ist es nur ein geringer Trost, dass die Krise sich manchmal noch abwenden lässt, solange sie nur einzelne Banken trifft. Denn für diese Abwendung einer drohenden Gefahr wird der Bürger mit seinen Steuergeldern zur Kasse gebeten. Der Staat rettet die Banken – und damit die Einlagen eines Teils seiner Bürger – indem er den Rest der Bevölkerung dafür zahlen lässt.

Etwas ist faul an diesem System! Ist es möglich, die monetäre Gefahr zu bändigen, eine Gefahr, die umso bedrohlicher ist, als sich ein echter Run auf die Banken stets zu einer für die Gesellschaft lebensbedrohlichen sozialen und politischen Krise verschärft?

Die Aufspaltung des Bankensystems

Ich glaube, dass eine sinnvolle institutionelle Reform den Run auf die Banken weitgehend zu überwinden vermag. Diese Reform betrifft die Geschäftsbank, die in ihrer heutigen Gestalt eine Fehlgeburt ist, da sie drei unterschiedliche und voneinander unabhängige Funktionen unter ein und demselben Dach vereint. Erstens dient sie als Verwalter von jederzeit abrufbaren Giroeinlagen, sie dient zweitens der Veranlagung von Spargeldern und erfüllt schließlich noch die Aufgabe, Notenbankgeld gegen erstklassige Sicherheiten in die Wirtschaft zu schleusen (siehe Artikel: Die drei Funktionen einer Geschäftsbank). Sobald man diese unabhängigen Funktionen institutionell voneinander trennt, gehen daraus die folgenden drei Geldinstitute hervor:

Giralbanken

Sparbanken (Sparkassen)

Wertpapierbanken

Wertpapierbanken sollten bloße Filialen der Zentralbank sein, als solche einzig für den Zweck eingerichtet, das von dieser geschaffene Geld gegen notenbankfähige Sicherheiten (wozu auch sichere Fremdwährungen zählen) in die Wirtschaft zu schleusen, und zwar immer – aber auch ausschließlich – dann, wenn ein Zuwachs an volkswirtschaftlicher Leistung einen solchen Geldzufluss rechtfertigt. Weder an die neuen Giral- noch an die neuen Sparbanken darf die Notenbank Geld verleihen. (1) Offenkundig können Wertpapierbanken grundsätzlich nicht zu den Zielen für einen Bankenrun gehören.

Sparbanken würden ausschließlich fristengebundene Gelder entgegennehmen, wobei diese Fristen sich von einem Jahr bis zu beliebiger Länge erstrecken. Auch sie kommen nicht als Zielorte für einen Bankenrun in Frage. Hat nämlich ein Sparer sein Geld auf zehn Jahre bei einer solchen Sparbank angelegt, so weiß er von vornherein, dass er dieses eben prinzipiell erst nach zehn Jahren wiedersieht. Außerdem sammelt sich in Sparbanken nur ein geringer Teil des umlaufenden Geldes. Selbst bei einer außerordentlich hohen Sparquote von zehn Prozent würden sich die übrigen 90 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens außerhalb dieser Sparbanken befinden. (2)

Giralbanken

Diese neunzig Prozent bilden das eigentliche Gefahrenpotential. Sie sind es, die in Krisenzeiten den Run auf die Banken auslösen, denn der größte Teil dieses Geldes sammelt sich auf Giralkonten an. Ein erster Schritt zur Vermeidung einer Bedrohung, die immer wieder das Bankensystem erschüttert und von da aus auf Politik und Gesellschaft übergreift, würde demnach darin liegen, Giralbanken strikt von Wertpapier- und Sparbanken zu trennen, sie also als dritte, von den beiden letzteren völlig unabhängige Institution zu etablieren.

Die Giralbank als Schließfach

Zweifellos die einfachste Art, auch diese Banken vor einem möglichen Run zu schützen, würde darin bestehen, sie schlicht in Schließfächer umzuwandeln. Sie würden das Geld ihrer Kunden also grundsätzlich nur aufbewahren und Überweisungsaufträge durchführen, aber es unter keinen Umständen für Kreditzwecke verwenden oder es an andere Institutionen (wie Hedgefonds oder Investmentbanken) verleihen. (3) Da der Kontoinhaber in diesem Fall absolut sicher ist, sein Geld jederzeit in voller Höhe von der Giralbank ausbezahlt zu bekommen, ist ein Run auf die Bank undenkbar, eine staatliche Einlagensicherung und damit die Haftung der Allgemeinheit erübrigen sich. Diese Lösung für eines der bedrohlichsten Phänomene des gegenwärtigen Geldsystems entspricht den Vorschlägen des ehemaligen US-amerikanischen Ökonomen Irving Fisher (100% Money) und besitzt eine entfernte Ähnlichkeit mit ähnlichen Gedanken zu einem Vollgeld, wie sie in Deutschland Joseph Huber vertritt. (4)

Nachteile der reinen Schließfachlösung

Der Vorteil dieser Lösung ist offensichtlich. Er besteht darin, den Run auf die Banken prinzipiell zu beseitigen. Ihre Nachteile sind von zweierlei Art. Erstens muss die Giralbank für diese Absicherung und ihre Überweisungsdienste Gebühren erheben. Eine Gratiskontenführung ist also ausgeschlossen. Ebenso wie jeder Bürger mit seinen Steuern einen Apparat von Justiz und Polizei aufrecht erhält, der seinen Besitz vor dem Zugriff von Räubern und Betrügern schützt, wird er natürlich auch zur Kasse gebeten, damit die Giralbank sein Geld vor Diebstahl oder Missbrauch bewahrt. Bedeutsamer ist jedoch ein zweiter Einwand. Von diesem System geht eine deflationäre Tendenz aus, da ein wesentlicher Teil des umlaufenden Geldes (bis zu neunzig Prozent bei einer Sparquote von zehn Prozent) eben nicht länger umläuft, sondern sozusagen auf Eis gelegt werden würde. Da der Güterumlauf ohne einen entsprechenden Umlauf des Geldes nicht denkbar ist, geht von einem solchen System zwangsläufig eine stark dämpfende Wirkung auf die Realwirtschaft aus. (5)

Giralbanken von verschiedener Bonität

Dieses Übel lässt sich durch eine Unterscheidung verschiedener Güteklassen von Giralbanken beheben. Solchen, die ausschließlich als Schließfächer mit Überweisungsfunktion tätig sein dürfen, stehen andere gegenüber, die sehr wohl auch Kredite vergeben. Nur die ersten garantieren die Einlagen zu hundert Prozent, erheben aber entsprechende Gebühren. Die zweiten dagegen dürfen dem Publikum gegenüber keine Einlagengarantie abgeben, und im Konkursfall ist jede Hilfe von Seiten der Allgemeinheit vertragsgemäß ausgeschlossen. Bei Giralbanken minderer Bonität muss der Bürger also von vornherein mit einem Risiko rechnen, das im Extrem bis zu einem Totalverlust reichen kann. Im Gegenzug entfallen die Kontogebühren, im besten Fall wird er sogar mit Zinsen belohnt, weil die Bank statistisch davon ausgehen kann, dass im Normalfall immer nur ein Bruchteil der eingelegten Gelder tatsächlich auch abgerufen wird. Die Existenz von Giralbanken minderer Bonität setzt die Gefahr deflationärer Tendenzen auf ein Minimum herab.

Nur ein Bruchteil der Banken ist von einem Run betroffen

Fassen wir zusammen: In einem System der streng getrennten Bankfunktionen – das zudem die staatliche Aufsicht wesentlich erleichtert – bleibt der größte Teil des Bankensystems von einer Krise unberührt. Bankrettungen durch Staat und Allgemeinheit gehören der Vergangenheit an. Und natürlich ist auch die Giralbank als Schließfach ungefährdet. Nur ein Bruchteil des Bankensystems, bestehend aus den Giralbanken minderer Bonität, bleibt weiterhin von einem Run bedroht. Sobald sich eine Krise ankündigt, wird der Bürger sein Geld rechtzeitig auf ein Konto bei einer Schließfachbank übertragen. Hat er dies allerdings nicht rechtzeitig genug getan und bricht die Krise dann über Nacht herein, so wird er seine Bank stürmen, aber ohne das Bankensystem insgesamt zu gefährden. Andererseits wird ein großer Teil der Girokonten in Zeiten des Aufschwungs auf Giralbanken minderer Bonität übertragen, weil deren Sicherheit dann nicht in Frage steht. Ein solches verzweigtes System von Giralbanken unterschiedlicher Bonität halte ich volkswirtschaftlich für besser als ein System, das ganz auf Giralbanken als bloßen Schließfächern gründet. Es gilt die Nachteile der Deflation gegen die eines begrenzten Bankenruns abzuwägen.

1 Sparbanken sind dadurch zu seriösem Geschäftsgebaren gezwungen. Sie werden sorgfältig darauf achten, von ihren Kreditnehmern stets gute Sicherheiten zu fordern, um bei Uneinbringbarkeit der Kredite auf diese zugreifen zu können. Bei unseriösem Geschäftsgebaren gehen sie in Konkurs. Giralbanken mit 100% Reservehaltung benötigen grundsätzlich kein Notenbankgeld. Giralbanken von minderer Bonität können sich dieses allenfalls kurzfristig von anderen Giral- oder Sparbanken leihen (sofern diese willens sind, es ihnen für höhere Zinsen zur Verfügung zu stellen, als sie von Kreditnehmern erhalten würden) oder sie gehen gleichfalls in den Konkurs. Spezielle Banken zur Förderung von technologischen Neuerungen, die Kredite ohne vorhandene Sicherheit vergeben, sind dadurch natürlich nicht ausgeschlossen, aber Risiko wie Profit liegen ganz in privater Hand oder werden vom Staat in begrenztem Umfang gefördert.

2 So wie heute Verbraucherzentralen das Preis-Leistungsverhältnis der wichtigsten marktgängigen Güter bewerten, müssten unabhängige Rating-Agenturen die Sparbanken überwachen. Solche, die einseitig in einen Immobilienboom investieren, werden mit geringerer Bonität eingestuft als andere, die ihr Kredit Portfolio diversifizieren und entsprechend geringere Zinsen auszahlen.

3 Ich rede hier ausschließlich über die traditionellen und seriösen Funktionen einer Geschäftsbank, nicht über Vermögensakkumulation durch Spekulation, Kursmanipulation, Hedging etc. Hier handelt es sich um parasitäre Eingriffe in die realwirtschaftliche Arbeit der Mehrheit im Dienste einer reichen Minderheit.

4 Prof. Joseph Huber begründet sein Vollgeldsystem mit der oben als inexistent und logisch absurd widerlegten multiplen Kreditgeldschöpfung. Hierzu sein Artikel Reform der Geldschöpfung. Diese gedankliche Verirrung ist nicht dazu angetan, Vertrauen in seine Vorschläge zu erwecken.

5 Es ist dieselbe die Realwirtschaft schädigende Wirkung, die generell mit dem Horten von Geld verbunden ist. Das persönliche Horten (unter der Matratze, wie man einmal sagte) ist zwar unwahrscheinlich, da man dann alle Überweisungen in bar vornehmen müsste, was jedenfalls noch teurer kommt als die Gebühren einer Giralbank. Doch wenn diese das Geld zu 100% aufbewahrt, handelt es sich ebenfalls um eine Hortung von Geld.