Knollennasen – die frohe Botschaft von Frau von der Leyen

Der Anwärter kam mit der Krawatte am Rücken – und wurde von der Personalabteilung gleich mit einem Fußtritt ins Freie befördert. Natürlich sehen wir in dieser rüden Behandlung eine schreiende Ungerechtigkeit. Warum sollte einer, dem die Krawatte am Rücken hängt, deshalb nicht für den Posten eines Ingenieurs, Abteilungsleiters oder zumindest den eines Dienstboten taugen? Der zuständige Personalchef begründete seine Ablehnung auf irrationale Weise. Wenn jemand, so sagte er, die allgemein gültigen Regeln so rücksichtslos verletzt, wie könne man sich dann noch darauf verlassen, dass er beim Essen unter Kollegen oder mit einem Kunden nicht plötzlich auf den Gedanken verfällt, statt mit der Gabel im eigenen Braten stattdessen in ihrem Gesicht herumzufuchteln?

Diese hanebüchene Aussage verrät, wie unaufgeklärt große Teile unserer Gesellschaft selbst heute noch sind, denn dieser umgepolte Krawattenmann ist persönlich sicher ganz harmlos, vielleicht sogar ausgesprochen sympathisch. Was kann eine Krawatte auf dem Rücken daran schon ändern? Hier haben wir es nicht vielmehr mit kultureller Eigenwilligkeit, positiv ausgedrückt, mit besonderer geistiger Selbständigkeit zu tun? Ich persönlich wünsche mir jedenfalls mehr Menschen, die den Mut aufbringen, eine bunte Krawatte demonstrativ auf ihrem Rücken zu tragen, so wie z.B. manche Frauen jetzt schon den Mut aufbringen, das ganze Gesicht mit Ausnahme eines Augenschlitzes vor den Blicken allzu neugieriger Männer zu verbergen. Das kann man doch auch als ein Zeichen besonderer Originalität bewerten! Wenn die Leute sich schon über geistiges Außenseitertum so sehr erregen, wie schwer müssen es dann die gewöhnlichen Banausen, Angepassten und Unaufgeklärten erst haben, wenn auch Mutter Natur sich hin und wieder eine solche Kreativität erlaubt?

Zum Beispiel bei unseren Nasen. Auf einen ästhetisch gebildeten, sagen wir, einen Menschen, dessen Gemüt schon in der Jugend ganz von der erhabenen Kunst eines Leonardo oder Piero della Francesca geprägt worden ist, muss der Anblick einer kartoffelförmigen Knollennase natürlich einen elementaren Schock ausüben, selbst wenn für deren Träger die Unschuldsvermutung gilt und ansonsten nichts Belastendes vorliegt. Offenbar ist es die Natur selbst, der man in derartigen Fällen einen Streich gegen den guten Geschmack vorwerfen muss.

So ergeht es uns nicht nur bei der Knollennase, sondern auch, wenn wir statt in ein wohlgeformtes Gesicht mit anständig geformtem Riechorgan direkt in zwei herausfordernde Nasenlöcher blicken. Diese Abartigkeit wird gewöhnlich poetisch umschrieben, nämlich mit dem schönen Begriff der „Himmelfahrtsnase“. Ein nettes Wort, obwohl sich die wenigsten unter uns bei ihrem Anblick zu religiöser Schwärmerei aufgelegt fühlen. Vielmehr lässt uns der Blick in die beiden offenen Löcher gewöhnlich erstarren, es ist ja fast so, als hielte uns deren unseliger Besitzer zwei Kaminschlote oder, moderner gesagt, zwei Auspuffrohre entgegen. Der empfindsame Mensch sucht dann verzweifelt nach Trost – zum Beispiel in zwei geschwungenen Augenbrauen, in einem sinnlichen Mund oder dem tiefsinnigen Blick des betreffenden Menschen – falls dergleichen vorhanden ist. Glücklicherweise macht Mutter Natur ja den faux pas auf einem Gebiet bisweilen  mit ausgleichender Gerechtigkeit auf einem anderen wieder gut.

Wie dem auch sei, das Problem ist jedenfalls überaus ernst – wir dürfen es keineswegs unterschätzen. Wie jedermann weiß, beschäftigen Knollen- und Himmelfahrtsnasen den westlichen Teil der heutigen Menschheit bereits seit einigen Jahrzehnten. Ich möchte auch sagen, durchaus zu Recht, denn womit haben die mit diesen Gesichtserkern von der Natur Bestraften es denn verdient, dass man ihnen bis heute mit so großen Vorurteilen begegnet? Ist es nicht ungeheuerlich, dass wir der darin bekundeten Menschenverachtung selbst unter unseren Politikern begegnen?

„Eine Gleichstellung /der Träger von Himmelfahrtsnasen mit normalen Menschen/ ist mit Bayern nicht zu machen“, tönte beispielsweise der CSU-Chef Markus Söder 2008. Dieser Mann hatte sich übrigens auch dafür stark gemacht, dass das europäische Antidiskriminierungsrecht den Besitzern von Knollen-, Ballon- und Himmelfahrtsnasen weniger Schutz verleiht als anderen Gruppen – eine Ungeheuerlichkeit. Für sein politisches Überleben ist es ein Glück, dass der Mann dennoch eine gewisse Lernfähigkeit besitzt – oder sollten wir besser von Opportunismus sprechen? In der letzten Wahlkampfwoche stellte er klar, dass er die Öffnung der Ehe für Knollen- und Himmelfahrtsnasen nicht mehr rückgängig machen wolle. Er begründete dies damit, dass die Wissenschaft inzwischen robuste Beweise dafür erbringen konnte, dass diese Merkmale sich bei nachfolgenden Generationen eher selten ausmendeln. Deshalb dürfe man vertrauensvoll darauf hoffen, dass der bayerische Volkskörper, will sagen die neue Generation kraftstrotzender und fescher Mädchen und Buben, durch solche Ehen nicht ernsthaft geschädigt würde. Bayern werde der Welt auch in Zukunft die schönsten Exemplare der menschlichen Nase liefern.

So weit, so gut. Wir mussten allerdings Einwände von anderer Seite hören, diabolische Einwände, um es genau zu sagen. Aufgrund zunehmender Knappheit bei der oberirdischen Trinkwasserversorgung seien deutsche Großstädte inzwischen dazu gezwungen, auf jene begrenzten Reserven zuzugreifen, die sich in der Tiefe des Bodens befinden. Bremen holt sich seit einigen Jahren sein Trinkwasser über eine 200 Kilometer lange Fernleitung aus dem Harz. Hamburg bedient sich in der Lüneburger Heide. München plant eine Sicherung seiner Versorgung durch den Zugriff auf unterirdische Wasserreserven im Loisachtal bei Garmisch-Partenkirchen. Hier deute sich die Entstehung einer „Trinkwasser-Klassengesellschaft“ an: Arme Bürger – die des hochverschuldeten Frankfurt zum Beispiel – müssen mit mangelhaftem Trinkwasser vorliebnehmen, die Bürger reicher Kommunen werden dagegen einwandfrei versorgt – typisches Anzeichen einer beginnenden Verknappungssituation.*1* Habe der bayrische Ministerpräsident, so fragt der böswillige Kritiker, denn nichts Besseres zu tun, als sich über Nasen zu ereifern, während seine Bürger in einigen Jahren in Gefahr seien, an Wassermangel zu verdursten?

Nun ja, wie dumm und vordergründig eine solche Kritik letztlich ist, wird jedem spätestens in dem Augenblick klar, wo er mit den diskriminierten Nasen selber Kontakt aufnimmt und von ihrem Leid erfährt. Jahrhundertelang hat man (frau) sie schief oder auch gar nicht angesehen, man (frau) hat sie verspottet und an den Rand der menschlichen Gesellschaft gedrängt. Wie kann man es ihnen da verargen, dass sie endlich die Courage aufbringen, sich zu outen und sogar mit Stolz auf die eigene Besonderheit vor die Welt zu treten? Das Trinkwasser lässt sich ersetzen, zum Beispiel durch Sodawasser in jedem Supermarkt an der nächsten Straßenecke, aber die Nase versorgt uns mit Luft, die wir nirgendwo kaufen können.

Der neue Stolz unter selbstbewussten Nasen ist jeder Kritik gewachsen. „Ich bin eine Himmelfahrtsnase und will es sein“, sagt der eine, „denn Geschmack ist doch relativ.“ „Ich bin eine Kartoffel- oder Knollennase“, sagt die andere. „Wir brauchen einen ästhetischen Kanon, worin die Kartoffel endlich die längst fällige Würdigung erfährt.“ Ja, wie ernst es diesen Menschen ist und wie sehr sie in wunderbarer Selbstlosigkeit nicht nur an sich selbst sondern ebenso an alle Mitleidenden denken, wird uns in dem Augenblick bewusst, wo ihre Solidarität sich global über alle Nasen erstreckt, will sagen über sämtliche Himmelfahrts-, Knollen-, Schief-, Flach-, Stumpf- und Ballonnasen, für die nun endlich auch ein gemeinsamer Begriff, ein globales Akronym erfunden wurde: die lyrisch-melodische Buchstabenfolge HKSFSB. Hier ist, wie wir sehen, längst eine eigene Lebensform von selbstbewusst-originären Nasenpionieren entstanden. Kurz, wir haben es mit Menschen zu tun, welche sich nicht länger scheu vor uns Standardnasen verstecken, den Repräsentanten einer traurigen und einfallslosen Normalität, sondern ihr Gesichtsorgan HKSFSB mit besonderem Stolz und, ja, sogar mit besonderen Ansprüchen an ihre Mitmenschen präsentieren. Was heute noch Ausnahme sei, eine Sache von mutigen Pionieren, werde einst die vorherrschende Regel sein, weil der Geschmack eben ganz relativ ist und sich natürlich in einem fort ändert. Sie sind sicher, schwärmen die Pioniere, dass unsere Kinder und Enkel dereinst vom Homo naso-optimus schwärmen und sich schämen, wenn sie selbst keine Kartoffel- zumindest aber eine Himmelfahrtsnase besitzen.

Die Aussichten dafür sind zum ersten Mal günstig, seit sich die EU selbst an die Spitze dieser evolutionären Wende stellte. Keine Geringere als Ursula von der Leyen, die deutsche Kommissionspräsidentin, hat das unsägliche Gesetz des ungarischen Premiers Viktor Orban, mit dem dieser abweichende Nasen in seinem Land diskriminiert, als Schande geächtet. „Das Gesetz diskriminiert Menschen aufgrund ihres Riechorgans. Damit verstößt es gegen fundamentalen Werte der Europäischen Union: Menschenwürde, Gleichheit und den Respekt für Menschenrechte“, sagte die Präsidentin am Mittwochmorgen in Brüssel.

Diese offenen Worte sprechen jedem anständigen Menschen aus dem Herzen. Hier ist endlich Zivilcourage von jedem von uns gefordert. Der Kultur sollten wir danken, wenn sie innovative Menschen aufkommen lässt, welche die verdammte Krawatte endlich auch auf ihrem Rücken tragen, auf die Natur aber sollten wir stolz sein, wenn sie sich nach so vielen Jahrtausenden endlich einmal etwas anderes einfallen lässt – statt der bisherigen Massenproduktion von Standardnasen, die sie in ewigem Stumpf- und Flachsinn sozusagen auf dem genetischen Fließband erzeugte, die ganze Fülle von HKSFSB. Mit Ehrfurcht sollten wir uns vor solcher Originalität verneigen, wenn die Natur aus dem Vollen schöpft und in dreistem genetischen Spiel die fleischige Knollen-, die aufgeblasene Ballon-, die verschrumpelte Stumpf- oder die herausfordernde Himmelfahrtsnase aus ihrer Büchse zaubert. Vergesst bitte nicht: Europa ist ein Kontinent der Innovation. Darin liegt, bitte schön, unsere Stärke.

Nun, wie immer – so ist nun einmal das Leben – erheben auch in diesem Fall die ewigen Nörgler ihre misstönige Stimme. Europa, sagen die Misanthropen, erlebe gerade jetzt den schlimmsten Umbruch in seiner Geschichte. In den kommenden Jahrzehnten werden wir statt ganzer fünf nur noch einen einzigen Planeten verzehren dürfen – andernfalls wird es für unsere Kinder und Enkel kein Europa mehr geben. Nicht nur das fossile Zeitalter müssen wir beenden – das hat immerhin auch Ursula von der Leyen begriffen -, nein auch die Atomkraft wird uns nur noch für Jahrzehnte zur Verfügung stehen. Davon sagt die Kommissionspräsidentin nichts. Und was machen wir, wenn es weder Kohle, Öl, Gas noch Uran geben darf und die Erneuerbaren, selbst wenn wir die ganze Landschaft mit Windrädern pflastern, uns nur einen Bruchteil des heutigen Bedarfs an Energie zur Verfügung stellen? Auch davon sagt uns Frau von der Leyen nichts. Hält sie sich vielleicht nur deswegen an die Nasen, setzt der böswillige Kritiker seine Tirade fort, weil die luxusverwöhnten Bürger des Alten Europa von der wahren und wirklichen Not partout nichts hören wollen? Mit anderen Worten, weil Europa in einem Tiefschlaf liegt, der von der Europäischen Kommission mit Schlafmitteln aktiv befördert wird?

Der gebildete Leser kann seinen Kopf über derartige Unterstellungen natürlich nur unmutig schütteln. Das gibt mir Hoffnung, dann darin liegt der Beweis, dass er zu jenem grundanständigen Teil der Gesellschaft gehört, der sich von oberflächlichen Zweifeln nicht irritieren lässt. Nein, wir wollen und werden uns auch in Zukunft kämpferisch für die Freiheit der Nase einsetzen. Deren weitere Proliferation werden wir freudig begrüßen, denn es ist ja keineswegs ausgemacht, dass die Zahl ausgefallener und originärer Spielarten dieses Organs sich nicht noch bedeutend erhöhen wird. Es ist jedenfalls damit zu rechnen, dass es in Zukunft neben den uns schon bekannten Varianten HKSFSB auch noch die Spalt-, die Doggen-, die Streber-, die Panzer- und die Sprühnase geben wird – um nur die auffälligsten Ausformungen zu nennen. Diesem Reichtum wird sich unsere Gesellschaft natürlich auch institutionell anpassen müssen – glücklicherweise ist sie bereits im Begriff, dies zu tun. Der Wissenschaft verdanken wir jetzt schon die Einsicht, dass Frauen auf viele Krankheiten anders als Männer reagieren und ihnen daher auch andere Medikamente helfen müssen. Dieselbe Erkenntnis hat die ärztliche Kunst nun auch für die Träger von Stumpf- und Knollennasen experimentell abgesichert. So gelangte die Europäische Kommission zu der evidenten Schlussfolgerung, dass es Allgemeinärzte und spezielle Abteilungen in Hospitä­lern und Kurorten nicht nur für Frauen geben müsse, sondern natürlich auch für die Repräsentanten der verbreitetsten Nasentypen. Und wenn wir schon von speziellen Ärzten und Abteilungen reden, dürfen wir das nicht nur in physischem Sinn verstehen, auch die Psyche verlangt ihr Recht.

A propos Psyche. Auch hier wirkt die Kommission auf ihre Art segensreich. Wie lange wurde es in allen Ländern Europas widerstandslos hingenommen, dass wir die Knollennasen mit Kartoffeln verglichen haben und auf diese Weise so unermessliches Leid erzeugten! Jetzt hat die Kommission endlich ihr Machtwort gesprochen und dieses durch eine Fülle von Erlässen auch konkret untermauert. So wird etwa die Bezeichnung Kartoffel ganz gestrichen – aus dem täglichen Sprachgebrauch ebenso wie aus der gesamten Literatur bis hin zur Klassik, wo man sämtliche Stellen schwärzt, wo das unselige Wort verwendet wird. Auch in der gesprochenen Rede darf nur noch von der Patatennase die Rede sein – in Frankreich nur von der Pommesnase! – und auch nur in ehrfürchtigem Flüsterton! Stattdessen spricht man jetzt von „blühenden“, „reichen“ oder „substanziellen“ Nasen. Wir können nur hoffen, dass die längst überfällige Reinigung unserer Sprache von sämtlichen Resten des Vorurteils möglichst bald auch für die Stumpf- und die Ballonnasen eingeführt wird. Hier bleibt natürlich noch sehr viel zu tun!

Vergessen wir aber bei allen noch zu bewältigenden Aufgaben nicht, dass nur unser Europa das Privileg besitzt, inmitten einer Welt von Lug und Trug die letzte herzerwärmende Insel von Vernunft und Aufgeklärtheit zu sein. Bekanntlich hat Wladimir Putin, der rücksichtslose russische Zar, noch weniger als Orban und Söder für ausgefallene Nasen übrig. Während wir Progressisten die Bibel noch überbieten, lieben wir die uns nächsten Nasen doch mehr als uns selbst, bastelt Putin in aller Stille an mörderischen Spielzeugen herum – an überschallschnellen Raketen und an der Erweiterung seines Atombombenarsenals. Seine Absicht liegt auf der Hand: beim nächsten Clash mit dem Westen will er nicht nur uns, die Standardnasen, mit einem Knall beseitigen sondern alle ausgefallenen Luxusnasen dazu. „Ihr seid hoffnungslos dekadent“, spottet der unheimliche Herr aus dem Kreml. „Für Nasen geht ihr auf die Straße, für Nasen bildet ihr eure Sprache um, für Nasen ruiniert ihr Karrieren oder hebt Politclowns an die Spitze der Macht. Ihr seid besessen von Nasen und merkt nicht, dass ihr rittlings auf einem brodelnden Vulkan sitzt, aus dessen Kegel die ersten Flammen schlagen. Ihr seid dekadent, reif für den Untergang!“

Wie gut, dass solche Worte aus dem Mund eines Diktators stammen, so richten sie sich von selbst! Der fortschrittliche und aufgeklärte Bürger Europas weiß um seine Mission. Er will der Welt zeigen, dass die wahren Probleme unserer Zeit nicht die Vergiftung der Natur, die Klimakrise, die atomare Bedrohung oder die gärende soziale Unzufriedenheit sind. Das sind oberflächliche Erscheinungen, die wir an unsere tüchtigen Spezialisten delegieren, die im Bunde mit der Wissenschaft für jedes Problem die richtige Lösung finden – wenn nicht überhaupt schon gefunden haben. Das wirkliche, drängende Problem unserer Zeit ist die Nase. Denn eine Nase, bitte schön, die haben wir doch alle. Deren Diskriminierung hinterlässt doch die tiefsten Spuren in unserer Seele.

Nein, Frau von der Leyen sagt nichts über das Artensterben, die Vergiftung des Trinkwassers, die atomare Bedrohung, das Ende unseres Luxuslebens, wenn wir Öl, Gas und Atom aufgeben müssen und uns nur noch die Erneuerbaren einen kläglichen Ersatz unseres einstigen Luxus liefern. Sie sagt nichts davon, weil 450 Millionen Bürger des alten Europa für modische Panikmache nichts übrighaben. Sie sehnen sich stattdessen nach einer Botschaft der Liebe. Und genau diese vermag ihnen Frau von der Leyen auch zu verkünden. Wie schön diese Botschaft – sie könnte aus der Bergpredigt stammen. Sie glaube, sagt Frau von der Leyen, an eine Europäische Union, „wo wir alle sein können, wer wir sind“ und „in der wir genau die Nasen lieben können, die wir lieben wollen – ganz gleich ob Knollen-, Scharten-, Himmelfahrts- oder Tröpfelnasen..“ Wie human, wie trostreich und wie richtig!

1 Diese warnenden Zeilen über die Trinkwassersituation in Deutschland schrieb Hoimar von Ditfurth schon vor 35 Jahren!

Jenner: Ich erwarte keine Reaktionen zu diesem Essay über Nasen (außer von der falschen Seite). Das Thema wird – auf die bekannte barbarische Art – nur unter Rechtsextremen verhandelt, ansonsten ist es tabu. In unserer angeblich so freien Gesellschaft haben die meisten Leute furchtbare Angst, sich zu exponieren, selbst wenn es nur darum geht, existenziell Wichtiges von weit weniger Wichtigen, z.B. den Nasen, zu unterscheiden.

Karl-Ernst Ehwald schreibt mir folgende freundliche Zeilen:

Lieber Gero Jenner.

mit Ihrem geistreichen Essay haben Sie mir an einem trüben Regentag großes Vergnügen bereitet. Eigentlich müsste man über den eklatanten Widerspruch zwischen dem sich selbst weltweit immer mehr beschleunigendem wissenschaftlich/technischem Fortschritt und der politischen Dummheit unserer sogenannten geistigen Eliten verzweifeln. Insbesondere darüber, wie letztere offenkundig unfähig sind, die wirklich wichtigen Probleme unserer Zeit zu erkennen und sich statt dessen auf kulturellen Nebenschauplätzen austoben. Ihr Artikel 

brachte mir den schönen Vers eines Liedes von Wolf Biermann (den ich allerdings ansonsten als Mensch nicht sehr schätze) in Erinnerung:

Du, lass dich nicht verbrauchen
Gebrauche deine Zeit
Du kannst nicht untertauchen
Du brauchst uns und wir brauchen
Grad deine Heiterkeit
Grad deine Heiterkeit 

Wollen wir also nicht verzweifeln, sondern, wie Sie es uns vormachen, die Dinge mit Abstand und freundlichem Humor betrachten und auch andere Menschen ermutigen, sich gegen den idiotischen geistigen „Mainstreem“ offen zu artikulieren. Vielleicht hilft es ein bisschen dazu, dass aus dem Glaubenskrieg unserer „westlichen Wertegemeinschaft“ nicht aus Versehen ein wirklicher Krieg entsteht.

Mit besten Grüßen

Karl Ernst Ehwald, Frankfurt(Oder)

Von Autor Sanjeev Ghotge erhielt ich die Mail:

Dear Gero,

Hugely enjoyed your piece on European noses! I think you should write more often in this vein. I’m sure I would’ve enjoyed the original German version but I can’t read German. Long time since I enjoyed a tongue-in-cheek piece of political writing.

Best, Sanjeev Ghotge