In diesem 2006 erschienenen Buch habe ich die Energiewende als „nationales Projekt“ gefordert. Das wurde damals belächelt. Unter Angela Merkel wird sie heute verwirklicht. Ob die pessimistischen Prognosen über die Ausverkaufsphase stimmen, die den Erfolg des Buches damals stark beeinträchtigt haben, wird sich spätestens bis 2020 zeigen.
Für viele, und zwar immer noch die überwiegende Mehrzahl der Wirtschaftstreibenden und Politiker, gilt es als ausgemacht, dass Globalisierung eines der großen Menschheitsvorhaben sei, ein Reich-tumsprojekt. Diese Auffassung können sie mit gewichtigen Zahlen stützen. So ist die Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten fortwährend gewachsen, sie wächst immer noch. In den ehemaligen asiatischen Tigerstaaten hat sich der Reichtum nach der Asienkrise weiter vermehrt. China treibt seine Industrialisierung in geradezu Schwindel erregendem Tempo voran, gefolgt von Indien, das nun ebenfalls die Arena von Welthandel und Aufschwung betritt.
Doch nicht alle beurteilen die Globalisierung auf gleich günstige Weise. Seit Jahren stehen sich etwa Martin Wolf – Chefredakteur der Financial Times – und Bernard Cassen (Gründer von ATTAC und Chefredakteur der Monde Diplomatique) mit schroff entgegengesetzten Ansichten gegenüber.
Martin Wolf pocht darauf, dass es geradezu moralisch verwerflich sei, einen Abbruch der neoliberalen Tendenzen zu fordern, solange diese in Summe eine Vermehrung des Reichtums bewirken. Dagegen argumentiert Bernard Cassen, dass die Schatten der Globalisierung die Welt immer stärker verdunkeln. Asien und Südamerika seien von Krisen geschüttelt. In Afrika habe die Armut stark zugenommen. Auch Jean Ziegler steht auf Seiten der entschiedenen Kritiker.
Die Befürworter des neoliberalen Projekts fühlen sich dadurch wenig beeindruckt. Sie wenden ein, dass für den Fortschritt schon immer ein Preis bezahlt werden musste. Als England sich zu industrialisieren begann, bedeutete dies nicht nur die Grundlegung eines großen künftigen Reichtums, sondern zunächst einmal große Armut für die benachteiligten Schichten. Diese zeitweiligen Ungleichgewichte seien das Pfand künftigen Wohlstands.
Ich halte diese Argumente für grundlegend falsch. Warum? Dies werde ich im Folgenden zu begründen versuchen.
Damit meine Einwände verständlich werden, müssen wir uns aber zunächst einen knappen Überblick über den Prozess der Industrialisierung verschaffen. Drei aufeinander folgende Phasen lassen sich leicht unterscheiden.
Die Schwellen- oder Ausbeutungsphase
Der Beginn der Industrialisierung ist treffend mit dem Begriff der Schwellenphase bezeichnet. Man kann ihn aber auch Ausbeutungsphase nennen. Keiner hat diese erste Entwicklungsphase einer so scharfen Analyse unterzogen und sie so deutlich beschrieben wie Marx. England hat dieses Stadium gegen Ende des 18. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 19. durchschritten. Deutschland erlebte sie zeitverschoben um etwa fünfzig Jahre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Heute befinden sich China und Indien in der Schwellenphase. Es ist eine Etappe der industriellen Entwicklung, in der die Menschen zu ungeheuren Opfern bereit sind und Arbeitsbedingungen ertragen, die ihnen später völlig inakzeptabel erscheinen. In der Regel werden in dieser Zeit auch Kinder und schwangere Frauen in den Arbeitsprozess eingebunden. In China und Indien auch Gefangene und manchmal auch käuflich gehandelte Menschen, also Sklaven.
Anders als manche meinen, entspringen diese Verhältnisse nicht nur menschlicher Bosheit und Grausamkeit. Bis zu einem gewissen Grade werden Schwellenstaaten zu ihrem Handeln gezwungen. Sie wollen ja den reichen Ländern ihre technologisch weit überlegenen Waren abkaufen, um selbst industriell aufrüsten zu können. Wenn sie diesen aber im Gegenzug keine Rohstoffe anbieten können – das trifft zum Beispiel auf China und das ebenfalls rohstoffarme Indien zu – dann müssen sie ihnen Industrieprodukte niederer Technologie verkaufen. Das stößt aber auf Schwierigkeiten. Denn diese Industrieprodukte werden ja alle schon in den reichen Staaten selbst hergestellt. Mit anderen Worten, die Schwellenstaaten sehen sich von vornherein dazu gezwungen, dieselben Produkte zu sehr viel geringeren Preisen anzubieten. Nur dann haben sie eine Chance. Praktisch sind sie gezwungen, mit Billigprodukten diejenigen Industrien und Arbeitsplätze bei uns zu verdrängen, welche die gleichen Produkte zuvor bei uns hergestellt haben.
Dabei schaukelt sich dieser Prozess der Verdrängung schrittweise in die Höhe. Zuerst bieten die Nachzügler nur Schuhe, Textilien oder Feuerwerkskörper an, um im Gegenzug Flugzeuge, Eisenbahnen und Elektrizitätswerke dafür zu kaufen. Je höher sich aber ihre eigenen Industrien entwickeln, desto größere Bereiche unserer Industrien fallen dann diesem Verdrängungshandel zum Opfer. Die Verdrängung fängt bei Textilien an und endet bei der Hochtechnologie.
Für die Schwellenstaaten Frankreich und Deutschland, die in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit dem Pionier England konkurrierten, war die Lage allerdings noch vergleichsweise günstig. Sie brauchten England nicht mit Billigoffensiven zu attackieren, weil damals die kolonisierten oder gewaltsam geöffneten Märkte der Dritten Welt die Warenschwemme ganz Europas aufnehmen konnten (und mussten), wofür diese Länder dann mit Rohstoffen zahlten.
Die Verteilungs- oder Sozialstaatsphase
Die industrielle Entwicklung bleibt in der Schwellenphase nicht stehen. Mit der Zeit hat der sich industrialisierende Staat seine produktiven Kapazitäten so stark erweitert, dass die Bevölkerungsmehrheit nicht länger von Bauern gebildet wird sondern von der neu entstandenen Klasse der Arbeiter. Diese konzentrieren sich nun zu Tausenden in den Fabriken und lassen sich dementsprechend leicht mobilisieren. Das verschafft ihnen eine entsprechend größere Macht. Sie fordern eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen, eine gleichberechtigte Teilhabe am Reichtum der Gesellschaft und politische Repräsentation. Aufgrund ihrer numerischen Stärke und Organisation in Gewerkschaften sind sie zunehmend in der Lage, ihren Forderungen auch durchzusetzen.
Der Übergang in das zweite Stadium der industriellen Entwicklung, das man als Verteilungs- oder Sozialstaatphase bezeichnen kann, wurde in Deutschland von Bismarck vorweggenommen, als er die Unfall- und Krankenversicherung einführte. Er sah voraus, dass die abhängig Beschäftigten eine Macht im Staate dazustellen begannen. Ihre Loyalität dem Staat gegenüber war daher nur zu gewährleisten, wenn man ihnen wenigstens materielle (wenn auch zu seiner Zeit kaum politische) Zugeständnisse machte. Gegen Ende des Jahrhunderts bis zum Weltkrieg von 1914 hatte Deutschland den Übergang in die Sozialstaatsphase bereits vollzogen. Dass diese ihren Höhepunkt erst in den sechziger und siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erreichte, erklärt sich durch die Zäsuren der beiden dazwischen liegenden Kriege.
Derselbe Übergang von der Schwellen- zur Verteilungsphase hatte sich schon früher, etwa gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, in England ereignet und sollte sich dann sehr viel später von neuem in Japan, Taiwan und Singapur vollziehen. Wir werden sehen, dass er genauso in China stattfinden wird, sobald dort die Schwellenphase an ihr Ende gelangt.
Im günstigsten Fall werden in der Verteilungsphase sämtlichen Bevölkerungsschichten nicht nur materielle Rechte gewährt wie etwa in Singapur oder Malaysia, sondern es bildet sich ein Sozialstaat mit weit gefächerten Rechten der politischen Mitbestimmung heraus. Das war in den Nachkriegsstaaten Westeuropas der Fall. Man kann von einem Maximum an sozialer Gerechtigkeit sprechen.
Darin liegt ein markanter Gegensatz zur vorangehenden Schwellenphase. In diesem Stadium strömte vom Lande her billiger Menschennachschub in die Fabriken. Waren die einen mit den Löhnen und Arbeitsbedingungen nicht zufrieden, dann waren genug andere da, die sich zu allen Bedingungen verkauften. Fabrikbesitzer befanden sich daher in einer nahezu unangreifbaren Position. Sie konnten Löhne und Lebensbedingungen für die Ärmsten diktieren. Diese Zustände wiederholen sich gegenwärtig in China und Indien. Wer Arbeit sucht, hat praktisch keine Rechte gegenüber jenen, die Arbeit vergeben.
In der Verteilungs- oder Sozialstaatphase hat sich dieses Bild auf grundlegende Weise gewandelt. Gewaltige industrielle Komplexe sind mittlerweile aufgebaut worden. Sie suchen nach Mitarbeitern, oft müssen diese als Gastarbeiter aus dem Ausland geworben werden. Dieser Mangel verschafft den abhängig Beschäftigten eine wesentlich bessere Stellung. Die Mitbestimmung der Arbeiterschaft wird breit organisiert, die politischen Rechte werden vertieft und gefestigt.
Wie gesagt, in Deutschland und im übrigen Westeuropa hätte dieser Zustand ohne die beiden Kriege schon nach dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts einsetzen können. Tatsächlich finden wir ihn aber erst mit einem halben Jahrhundert Verspätung in den drei so genannten goldenen Nachkriegsjahrzehnten verwirklicht. Das war die heute von interessierten Kreisen so viel geschmähte Zeit des Wohlfahrtsstaates. Nicht nur in Deutschland, sondern generell kann man die Verteilungsphase als den wohl glücklichsten Zustand in der Geschichte der Industrialisierung beschreiben. Die Gesellschaft als Ganze ist reich geworden – auch wenn eine Schicht von Begünstigten den Löwenanteil dieses Reichtums auf sich vereinigt, regen sich dagegen doch keine oder nur wenige Proteste, weil es allen mit jedem Jahr besser geht. Gegen die Gefahren von Krankheit und Alter wird der einzelne auf eine Weise wie nie zuvor abgesichert. Die Härten der Arbeit sind soweit gemildert, dass keiner mehr den Unterhalt seines Lebens mit Sklavenarbeit und anschließendem Siechtum bezahlen muss.
Natürlich sind Menschen niemals zufrieden, auch das reine Glück würde ihnen vermutlich auf Dauer langweilig werden. Trotzdem haben sie in dieser Phase geahnt, dass sie einen Höhepunkt erreichten. Nur so ist zu erklären, dass sie politische Slogans wählten wie „Keine Experimente.“ Auch die linken Parteien waren in diesem Sinne konservativ. Man wollte den gewonnenen Reichtum dauerhaft sichern.
Heute wissen wir, dass diese Hoffnung sich bald zerschlagen sollte. Warum?
Eine Antwort auf diese Frage erhalten wir erst, wenn wir in unsere Betrachtung die Tatsache einbeziehen, dass kein Land den Planeten allein bewohnt. Während der eine Staat sich bereits in der Sozialstaatphase befindet, beginnt der andere gerade die Schwellenphase – und daraus ergeben sich schwer wiegende Konsequenzen.
Die Sozialstaatphase brachte der Bevölkerung insgesamt einen ungeheuren Reichtum, vor allem aber den erfolgreichsten zehn Prozent, die in Deutschland etwa über fünfzig Prozent des Vermögens verfügen. In der Schwellen- bis zur Verteilungsphase hatte diese Schicht weitgehend im eigenen Land investiert. In den achtziger Jahre, auf dem Höhepunkt der Sozialstaatsphase, aber wird sie plötzlich gewahr, dass die Märkte gesättigt sind, das Wachstum nachlässt und ihre Investitionen ihnen daher immer weniger Rendite bescheren.
Dagegen gibt es in anderen Teilen des Globus nun Schwellenländer, die ein gewaltiges Wachstum aufweisen. Wer dort investiert, verschafft sich die Chance weit größerer Profite. Mit anderen Worten, gerade für die größten Investoren lohnt es umso mehr, das eigene Geld in den schnell wachsenden Schwellenstaaten zu investieren je geringer das Wachstum zu Hause ist. So beginnt sich gegen Ende der Verteilungsphase ein breiter Investitionsstrom von heimischem Kapital in die Schwellenländer zu ergießen, Geld, das alles zuvor dem Inland zugute kam.
Ohne diesen Abfluss heimischen Kapitals ins Ausland, hätte dieses weiterhin im eigenen Land investiert werden müssen. Die negativen Folgen der Globalisierung wären dann ausgeblieben. Wir wären in eine echte Dienstleistungsphase eingetreten, in der zwar die Automation ebenfalls die Abschaffung vieler Berufe und Tätigkeiten bewirkt, da diese billiger, besser und schneller von Maschinen oder der künstlichen Intelligenz ausgeführt werden können, aber das Geld für die Dienstleistungsberufe, das heute an allen Enden fehlt, wäre vorhanden gewesen. Es hätte sich nicht nach außen verflüchtigen können.
Die Dienstleistungs- oder Ausverkaufsphase
Das dritte Stadium nach Schwellen- und Verteilungsphase hätte also in einer echten Dienstleistungsphase bestanden. Für Krankenschwestern, Pflegepersonal und Bildung wäre genug Geld vorhanden gewesen. Das Finanzkapital des eigenen Landes hätte sich notgedrungen mit jenen vergleichsweise bescheidenen Renditen zufrieden gegeben, die es im eigenen Lande erhält. Doch das Finanzkapital wollte und brauchte sich diesem Zwang nicht zu beugen. Es machte sich im Gegenteil die ihm gebotene Chance zunutze, in Schwellenländern zu investieren, wo sein Einsatz ihm vergleichsweise phantastische Gewinne beschert.
Das war das eine: Investitionen in ausländische Industrien, die nicht nur die dortigen Märkte beliefern – das würde diesen Ländern helfen, ohne für uns schädlich zu sein – sondern mit ihren Produkten die bei uns schon vorhandenen Produkte verdrängen und die heimischen Industrien vernichten.
Das andere war die ähnliche Strategie heimischer Produzenten. Sie sahen, dass sie durch Auslagerung der Produktion viel mehr Geld verdienen, weil die ausgelagerte Herstellung in Billiglohnländern weit weniger kostet und sich daher auch zu Hause weit besser verkaufen lässt. Damit verdrängten sie ihrerseits Firmen, die gleiche Güter mit heimischer Arbeit erzeugen. Konzerne, die diese Strategie befolgten, sahen sich durch die Investoren belohnt, denn in diesem Fall konnten diese auch im Inland hohe Renditen erwarten.
Beides zusammen führte zum Ausverkauf und zur schleichenden Erosion unserer industriellen Basis. Es führte dazu, dass eine Industrienation wie Deutschland (ebenso wie andere Staaten auf dem gleichen Niveau der Entwicklung) nach dem Höhepunkt der Sozialstaatsphase in eine dritte Phase gelangte. Gewöhnlich spricht man von der Dienstleistungsgesellschaft. Aber dies ist ein unzulässiger Euphemismus. Das Geld, womit die dringend benötigten Dienstleistungen bezahlt werden können, fehlte ja nun an allen Ecken und Enden. Dieses Stadium unserer Entwicklung lässt sich daher nur als Ausverkaufsphase bezeichnen.
Wie in jeder Phase des Niedergangs haben interessierte Kreise ein Interesse daran, dessen wahre Ursache zu verdunkeln. Über den Abbau der eigenen industriellen Basis wird der Schleier der Irreführung gebreitet. Viel Jubel wird angestimmt, wenn Politiker nach Indien oder China pilgern und anschließend von dort mit gefüllten Auftragsbüchern nach Hause kommen. Sie werden dabei als Helden gefeiert, nämlich als Helden der Arbeitsbeschaffung. Das wäre auch richtig, wenn der Handel immer noch so aussähe wie bis in die sechziger Jahre, als die Industrieländer in die Dritte Welt Fertigwaren verkauften und Rohstoffe dafür bezogen. Aber der Handel hat sich inzwischen grundlegend gewandelt. China kann uns keine Rohstoffe verkaufen. Das Land muss diese zum ja großen Teil selbst importieren. Daher sieht das Ergebnis dieser Handelsbeziehung in Wahrheit ganz anders aus. Natürlich werden bei uns einige Arbeitsplätze geschaffen, wenn Airbus an China ein Dutzend der neuesten Modelle verkauft. Aber dafür bezahlen uns die Chinesen mit Industrieprodukten, die wir zuvor selbst hergestellt hatten und die sie bei uns nur absetzen können, wenn sie unsere Preise weit unterbieten. So wie früher die japanische Attacke eine Industrie nach der anderen in Deutschland, in Frankreich und in den USA zerstörte, findet jetzt ein Verdrängungshandel von Seiten Chinas statt.
Dabei war die japanische oder koreanische Attacke vergleichsweise harmlos, obwohl auch schon damals einige der besten Industrien unseres Landes vernichtet wurden (Kameras, Werften etc.). Diesmal erreicht die Herausforderung ganz andere Proportionen. Wir es mit den Bevölkerungsgiganten China und Indien und einem Produktionspotential zu tun, das die Gesamtheit unserer Industrien vernichten kann, bevor die dortigen Löhne auch nur unwesentlich steigen und dadurch den Druck von den hiesigen Löhnen nehmen. Mit anderen Worten, wir haben ein Verdrängungskarussell in Bewegung gesetzt, das die Folgen aller früheren Attacken schon jetzt in den Schatten stellt.
Die anschwellende Arbeitslosigkeit ist die logische und unausweichliche Folge. Denn wir schaffen zwar eine kleine Zahl neuer Arbeitsplätze, vernichten diese aber gleichzeitig in viel größerer Menge. Die Bilanz ist notwendig negativ, da die von uns exportierte Hochtechnologie einen viel höheren Grad an Automation aufweist als die verdrängten Bereiche.
So sind wir im Begriff, unsere eigene Wirtschaft zu demontieren. Was wir auf diese Weise erreichen, ist keineswegs der Übergang zu einer Gesellschaft mit bezahlbaren Dienstleistungen, sondern zu einem galoppierenden Ausverkauf, bei dem unsere Industrien und Arbeitsplätze schrittweise verhökert werden (Deutschland – der Weltmeister im Export von Arbeitsplätzen, so war es vor einiger Zeit im Spiegel zu lesen). Wir entwickeln uns zu einer »Basarökonomie« (Hans Werner Sinn), die immer mehr andernorts hergestellte Waren nur noch unter eigenen deutschen (oder europäischen) Etiketten verkauft. Das verschafft uns zwar zunächst noch den trügerischen Vorteil, dass sich unsere Kaufkraft erhöht. Unser Wohlstand wird zu Anfang sogar gesteigert, weil die Güter der Billiglohnländer so viel billiger sind als die gleichartigen Güter, die zuvor bei uns hergestellt wurden. Aber da in diesem Prozess die eigene Basis der Produktion immer schmäler wird, höhlen wir gleichzeitig die Einkommen aus, mit denen wir die eingeführten Güter bezahlen.
Zudem wird unser technologischer Vorsprung durch das erstaunliche Aufholen Chinas und Indiens immer geringer. Der Sektor der Hochtechnologie, womit wir jetzt noch für die billigen Einfuhren aufkommen können, befindet sich seinerseits in einem Prozess relativen und beschleunigten Schrumpfens.
Man wende nicht ein, dass die Verteilung des Reichtums durch deutsche und westliche Investoren trotzdem ethisch geboten war. Gewiss, unsere Investoren haben mit der Gründung von Fabriken in Asien dazu beigetragen, dass nun auch Chinesen und Inder Autos, Kühlschränke und Fernseher kaufen können. Aber daran haben sie wenig verdient, die Menschen dort sind ja immer noch arm und manche außerordentlich arm, vergleicht man ihren Lebensstandard mit unserem eigenen. Die Investoren haben vor allem daran verdient, dass sie in den dortigen Fabriken Waren für den europäischen Markt herstellen ließen, also die hiesigen Produkte durch Billiggüter verdrängten. Das war kein Akt der Hilfe für arme Länder, sondern ein Akt der Bereicherung auf Kosten des eigenen Landes. Dadurch wird hier bei uns der größte Schaden angerichtet.
Eine grundlegend neue Situation
Das ist das eine. Eine Schicht von reichen Investoren, die nur zehn Prozent der Bevölkerung bilden, aber in Deutschland über mehr als 50 Prozent der Vermögen verfügen, hat dem Land durch ihr Verhalten geschadet. Man könnte meinen, dass wir diesem Übel dadurch begegnen könnten, dass diese Schicht politisch zur Ordnung gerufen wird. Doch so einfach liegen die Dinge nicht (auch dann nicht, wenn ein solcher Ordnungsruf einfach und möglich wäre).
Und damit komme ich zu einem zweiten Bereich, der heute die Misere der Dienstleistungsphase, die in Wirklichkeit eine Ausverkaufsphase ist, viel stärker beherrscht als das Verhalten einer einzelnen Schicht.
Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts leben wir in einer Zeit der sich rapid verknappenden Rohstoffe, vor allem das lebenswichtige Öl ist von dieser Verknappung betroffen. Einige Experten, darunter Colin Campbell, sind der Auffassung, dass wir die Halbzeit des Verbrauchs, bei der wir die leichter zu fördernde erste Hälfte bereits abgebaut haben (Peak Oil), bis spätestens 2010 erreicht haben werden. Dann wird die Ölförderung mit jedem Tag teurer, da sich der weltweite Bedarf vor allem aufgrund des anschnellenden Konsums der asiatischen Schwellenländer unaufhörlich vermehrt. Für sämtliche Industriestaaten der Welt hat das natürlich zur Folge, dass sie mit immer mehr Gütern für das Öl zahlen müssen. Derjenige, der bei gleicher Qualität die billigsten Güter bietet, wird den Zuschlag erhalten. Warum sollen die Rohstoffländer, also Saudis, Russen, Iraner etc. teuer einkaufen, wenn sie es in Indien oder China so viel billiger haben können?
Der Anschlag auf Löhne und Lebensstandard, der noch vor einiger Zeit hauptsächlich von den Profitinteressen der Investoren ausging, verlagert sich damit auf eine andere Ebene. Deutschland muss auf lange Sicht so billig wie die billigsten Anbieter liefern, sonst wird es die lebenswichtigen Rohstoffe nicht mehr beziehen können. Wenn eine Milliarde Chinesen und eine weitere Milliarde Inder – ein Drittel der Menschheit – den Anbietern von Gas und Öl die gleiche Qualität zu geringeren Preisen anbieten, sind die alten Industriestaaten aus dem Rennen. Als Hochlohnländer können wir in dieser Konkurrenz nicht bestehen- oder aber wir müssen unseren Lebensstandard bis auf das Niveau dieser Billiganbieter absenken. Mit anderen Worten, wir stehen am Anfang eines Wettrennens um versiegende Rohstoffe, das zur gleichen Zeit ein Wettrennen der Demontage unseres bisherigen Reichtums ist.
Die Gefahr, die uns hier droht, wird in den westlichen Staaten sehr wohl erkannt. Nur zu deutlich sind sich führende Kreise der USA bewusst, dass sich die Rostgürtel aus verfallenden Industrien in ihrem Land krebsartig vermehren. Aber sie können sich nicht dazu durchringen, eine andere Wirtschaftspolitik einzuschlagen. Einerseits, weil sie den neoliberalistischen Freihandel selbst noch bis vor kurzem mit allen Mitteln des internationalen Drucks und der ideologischen Überredung durchgesetzt haben (obwohl sie seit dem Bürgerkrieg bis Ende der zwanziger Jahre eines der am stärksten auf Protektionismus eingeschworenen Länder waren), andererseits weil ihre eigene Wirtschaftselite nach wie vor von der Auslagerung und der Investition vor allem in China ungeheure Gewinne bezieht. Dieser private Gewinn einer Minderheit und deren Interessen geben nach wie vor die politische Richtung des Landes vor, nicht der Verlust, der daraus für die Mehrheit erwächst.
Die USA glauben aber einen Ausweg gefunden zu haben, nämlich die militärische Option. Wenn sie als Supermacht die Kontrolle über die Rohstoffvorkommen und die sie verwaltenden Regierungen ausüben, scheint ihnen dies eine ausreichende Garantie zu sein, um die eigene Versorgung auf Dauer zu garantieren. Die Europäer sind auf dem besten Weg, sich ihrerseits auf diese Politik der Militarisierung einzulassen. Sie läuft darauf hinaus, dass sich westliche Staaten bei der Sicherung ihrer Rohstoffversorgung nicht länger auf ihre schwindende ökonomische Wettbewerbsfähigkeit verlassen, sondern bereit sind, sie auf dem gesamten Globus militärisch zu garantieren. Das hat natürlich zur Folge, dass die konkurrierenden Rohstoffempfänger, vor allem China, ebenfalls in beschleunigtem Tempo rüsten. Und die Rohstofflieferanten, Saudi-Arabien und Iran schließen sich ihnen an. Sie wissen, dass sie, wie jetzt schon der Irak, in diesem Szenario die künftigen Opfer sein werden. Die Welt, die zur Zeit Gorbatschows kurzfristig in eine Abrüstungsphase getreten war, verwandelt sich seit Beginn des neuen Jahrhunderts wieder zu einem Pulverfass.
Das ist eine brandgefährliche Politik, die letztlich nichts bringen wird, weil keine Militärmacht der Welt die leer gepumpten Lagerstätten wieder auffüllen kann. Das einzige, was sie mit großer Wahrscheinlichkeit erreicht, ist ein Kampf aller gegen alle, wenn in den kommenden Jahrzehnten die Versorgung mit Energie zunehmend teurer und aufgrund der Unruhe im Nahen Osten auch immer unsicherer wird.
Die Energiewende
Aus dieser bedrohlichen Zwangslage gibt es sehr wohl einen Ausweg – eine entschiedene und möglichst bald erfolgende Beendigung der Abhängigkeit und damit die Umstellung auf erneuerbare Energien. Diese Lossagung von fossiler und nuklearer Energieversorgung ist kein Hirngespinst, obwohl interessierte Kreise sie mit Beharrlichkeit so hinzustellen versuchen. Es wurde ausreichend gezeigt, dass selbst in Deutschland mit seiner vergleichsweise schwachen Sonneneinstrahlung drei Viertel des jetzigen Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen abgedeckt werden können. Für Österreich sind die Bedingungen noch günstiger. Allerdings ist für diese Umstellung keine Zeit zu verlieren. Der Ausblick auf kommende Ressourcenkriege ist so beängstigend, dass ein nationales Projekt, mit dem wir sie zur höchsten Priorität erklären, das Gebot der Stunde ist.
Dieses Projekt ist auch geeignet, die Weichen in Richtung auf eine andere Politik als die des gegenwärtigen Ausverkaufs zu stellen. Davon handelt mein Buch, die »Energiewende«.