Die gerade angebrochene Epoche seit Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts wurde von dem niederländischen Chemiker Paul Crutzen als „Anthropozän“ bezeichnet – eine Geschichtszäsur, die für ihn durch eine ausufernde Umgestaltung der Umwelt durch den Menschen gekennzeichnet sei. Doch abgesehen davon, dass diese Bezeichnung in der Wissenschaft nicht allgemein anerkannt wird, stellt sie nur auf ein äußeres Merkmal ab. Es wäre viel richtiger, das geistige Fundament dieser Revolution zu benennen. In diesem Fall müsste man von unserer Zeit als dem Zeitalter der Wissenschaften sprechen – Scientiazän, wenn man unbedingt einen knappen Begriff dafür sucht.
Diese Epoche begann nicht erst um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts sondern setzte bereits im 17. ein. Das Zeitalter der Wissenschaften war von Anfang an demokratisch und antiautoritär. Jeder Mensch war berechtigt, die Vorgänge der Natur im Experiment zu untersuchen und eigene Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Doch sollten diese niemals als Glaubensartikel gelten, also als unanfechtbare Dogmen. Jeder durfte und konnte sie durch gegenteilige Evidenz infrage stellen. So entstand ein Korpus des Wissens und bestimmter methodischer Verfahren, womit die neue Epoche einen immer größeren Kanon „objektiven“ Wissens über die Natur erlangte. Objektiv in dem Sinne, dass dieses nicht wie Sagen oder Märchen von Menschen erfunden und in diesem Sinne subjektiv und willkürlich war sondern gefunden wurde, weil es nachweisbare Eigenschaften und Gesetze der äußeren Natur beschrieb (auch wenn die dabei benutzten Begriffe notwendig auf menschlicher Konvention beruhen).
In kürzester Zeit sollte der neue Umgang mit der Natur von Europa aus den ganzen Globus erobern. Hindus, Muslime, Konfuzianer, Schamanen und Zeugen Jehovas beschreiten zwar im Glauben jeweils ganz verschiedene Wege, aber im Gebrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse sind sie sich einig. Alle verwenden Elektrizität, Atomkraft und die ganze Palette moderner Produkte, welche ihnen die modernen Wissenschaften bescheren. Längst hat sich das prophetische Diktum des großen Physikers Ludwig Boltzmann bestätigt, als dieser vor etwas mehr als einem Jahrhundert die Wahrheit der wissenschaftlichen Weltsicht mit deren praktischem Erfolg begründet hatte.
„Nicht die Logik, nicht die Philosophie, nicht die Metaphysik entscheidet in letzter Instanz, ob etwas wahr oder falsch ist, sondern die Tat. Darum halte ich die Errungenschaften der Technik nicht für nebensächliche Abfälle der Naturwissenschaft, ich halte sie für logische Beweise. Hätten wir diese praktischen Errungenschaften nicht erzielt, so wüssten wir nicht, wie man schließen muss. Nur solche Schlüsse, welche praktischen Erfolg haben, sind richtig.“
Was ein Muslim oder ein Schamane glaubt, mag ein Christ als reinen Unsinn verwerfen – und umgekehrt. Für den Verkehr mit Geistern oder die Lehre von jungfräulicher Geburt gibt es keine Zeugnisse der uns umgebenden Wirklichkeit, die von jedermann anerkannt werden oder gar einen allgemein nachweisbaren praktischen Erfolg aufweisen. Genau diese Beweise aber hat das neue Zeitalter der Wissenschaften tausendfach aufgetürmt. Fernseher und Computer funktionieren bei Bantus, Grönländern und auf Neuguinea überall gleich verlässlich. Gibt es einen besseren Beweis für die Objektivität der Physik als die Tatsache, dass Raketen zu Mond oder Mars dort tatsächlich landen, während alle früheren Weltsysteme sich nur in fantastischen Märchen und unbeweisbaren Mythen bewegten? Diese Frage ist so banal, dass man sich beinahe schämt, sie zu stellen – gäbe es da nicht Leute wie Paul Feyerabend und seine Nachfolger, die ein beträchtliches Maß an fehlgeleitetem Scharfsinn darauf verwenden, die Evidenz zu leugnen und den gesunden Menschenverstand zu verwirren…
Allerdings waren Mythen und Märchen schön, reine Poesie im Vergleich zur nüchternen Wirklichkeit des neuen Scientiazäns, aber dieser Poesie fehlte die sie beweisende Tat. Deswegen wurde sie kraftlos und ist weitgehend untergegangen – ohnmächtige Tradition. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts verfuhr nach dem Aufruf Nietzsches, wonach wir dem Fallenden auch noch einen Stoß geben sollen. Sie wollte endgültig Schluss mit allem Glauben, allen Märchen, allem bloß Erdichteten machen. Écrasez l’infâme, war die berühmt-berüchtigte Formel, die Voltaire dafür erfand.
Doch gerade hier, an diesem Punkt müssen wir stutzig werden. Boltzmanns Diktum regt uns heute nämlich zu weiteren Schlussfolgerungen an. Schauen wir doch genau hin, was der große Physiker damals sagte. Ob etwas wahr oder falsch sei, so stellte er fest, darüber entscheide in letzter Instanz die erfolgreiche Tat – und eben kein Dekret, keine bloße Behauptung oder Glauben. Da aber stehen wir vor einem Paradox. Die durch die Tat – den Erfolg – bewiesene Wahrheit der Wissenschaften tritt uns inzwischen in ganz anderer Gestalt gegenüber, je nachdem wir den praktischen Erfolg für das Einzelne definieren oder für das Ganze.
Der Erfolg im Einzelnen ist so unleugbar groß, dass wir immer wieder Zeugen einer Art von Massenhysterie werden, wenn etwa die erste Rakete den Mars erreicht, ein neues Teleskop ins Weltall geschossen wird oder es der Medizin gelingt, einen weiteren Teil des Menschen – beliebige Gelenke, Herz, Lunge oder ein anderes Organ – kunstvoll zu ersetzen. Das sind alles bewundernswerte und von niemandem bestrittene Höchstleistungen menschlicher Erfindungskraft, die dazu führen, dass Wissenschaft heute mit einem Elan, ja einer Besessenheit betrieben wird, wie sie früher nur für Religionen kennzeichnend war.
Denn der neue Begriff einer zugleich demokratischen und antiautoritären Wahrheit erwies sich als derart mächtig, dass er der Welt innerhalb von nur drei Jahrhunderten ein radikal verändertes Antlitz gab. Das Scientiazän hat eine künstliche Zweitwirklichkeit aus Apparaten, Maschinen, materiellen und immateriellen Verkehrswegen und Energiezentren erschaffen, welche die unwüchsige erste Natur bis zur Unkenntlichkeit teilweise zerstört, teilweise umgestaltet hat und diesen Prozess weiterhin in exponentiellem Tempo weiter beschleunigt, da längst auch der Rest der Welt: Innerasien, Südamerika und der afrikanische Kontinent, sich seinem Sog nicht länger zu entziehen vermögen. Denn im Gegensatz zu allen früheren Systemen der Welterklärung ist einzig das Wissenschaftssystem unendlicher Ausdehnung fähig. Religionen bestehend aus einer Weltdeutung und den damit verbundenen Ritualen waren irgendwann abgeschlossen, manche erreichten dann ein Stadium der Versteinerung. Das moderne Wissenschaftssystem, bestehend aus Forschung und Technik, ist hingegen niemals abgeschlossen. Heute schon können wir uns eine Welt vorstellen, wo die gesamte Nahrungs- und Gebrauchsgüterproduktion vollständig automatiert sein wird und der größte Teil der Bevölkerung nur noch in Forschung und Technik tätig ist. Diesem Stadium haben sich die führenden Industriestaaten des Westens und China schon sehr weit angenähert, die übrige Welt ist dabei, den Pionieren mit einiger Verspätung zu folgen.
Den früheren religiösen Weltdeutungen ähnelt das Zeitalter der siegreichen Wissenschaften nur in dem einen, aber bezeichnenden Punkt, dass es sich wie diese Allwissenheit und Allmacht als Telos auf seine Fahne schreibt. Von Gott und seinen Stellvertretern, den Priestern, hat sich nun der Mensch selbst – homo deus – dieser berauschenden Illusion bemächtigt. Sie ist der eigentliche Motor jener quasi-religiösen Faszination, welche einen immer größeren Teil der Menschheit zu Forschern und Technikern macht. Denn das Scientiazän verspricht beides: unendliches, nie endendes Wissen und – darauf begründet – die alles überwindende Tat.
So gesehen hat Ludwig Boltzmann bis heute Recht behalten. Aber wie ist es, wenn wir den Erfolg im Hinblick auf das Ganze definieren? Dann sieht die Situation mit einem Mal völlig anders aus. Der triumphale Erfolg im Einzelnen verwandelt sich für das Ganze in einen nicht nur spektakulären sondern bedrohlichen bis apokalyptischen Misserfolg. Denn das Zeitalter der Wissenschaften weist sechs Dimensionen auf, die allen früheren Zeitaltern ganz oder weitgehend fehlten.
Da ist, erstens, das reine Wissen der Grundlagenforschung und alles darauf aufbauenden konkreten Wissens.
Zweitens, die Dimension der daraus entstandenen nützlichen Produkte, die unser Leben teilweise so bereichern, dass wir auf sie nicht mehr verzichten können und wollen.
Die dritte Dimension sind die Produkte der Zerstörung, die auf dem gleichen Wissen beruhen und die mit der gleichen Besessenheit überall auf der Welt zu apokalyptischen Waffen entwickelt werden.
Viertens haben wir es mit einer Dimension zu tun, die auf lange Sicht ebenso wirksam zerstört wie die Waffen. Es ist die Dimension des Mülls. Sämtliche Produkte enden nach mehr oder weniger kurzer Zeit als Müll. Auf den organischen Müll, wie ihn frühere Zeiten produzierten, antwortete die Natur mit einem zahllosen Heer von Organismen, die diese Abfälle sogleich zersetzten und damit einen im Prinzip ewigen Kreislauf bedienten. Auf den modernen Müll aus Elektroschrott und Hundertausenden verschiedener Kunststoffe sowie von Gasen wie CO2 ist die Natur nicht vorbereitet. Statt im Kreislauf wieder in seine Ausgangsstoffe zurückverwandelt zu werden, vergiftet dieser Müll in stetig steigender Dosierung die Oberfläche der Erde, verpestet die Meere, die Atmosphäre und den die Erde umgehenden Satellitengürtel. Sogar im menschlichen Gehirn sammelt sich immer mehr Mikroplastik an. Recycling vermag daran nur in der Theorie aber nicht praktisch etwas zu ändern, denn die Auflösung in die Ausgangsstoffe verlangt Unmengen an Energie, doch gerade daran müssen wir sparen.
Fünftens, hat nicht nur jeder Einzelne das demokratische Recht, an der Erkenntnis der Wirklichkeit mitzudenken, im kapitalistischen Wirtschaftssystem hat er überdies die Möglichkeit, an der konkreten Gestaltung der Welt konkret mitzuwirken, sei es als Chef eines Konzerns, als Erfinder, als Ingenieur und in tausenden von Berufen. Im Vergleich zur Vergangenheit, wo die Massen in sämtlichen Großkulturen oft bis zu neunzig Prozent in der Landwirtschaft tätig und nach vorgegebenem, über die Jahrhunderte meist unverändertem Muster beschäftigt waren, ist diese Situation einzigartig. Acht Milliarden Menschen sind inzwischen mehr oder weniger intensiv damit beschäftigt, das Aussehen der Erde mehr und mehr zu verändern.
Schließlich besteht die sechste Dimension aus einer spektakulären, für die Wissenschaften bezeichnenden Abwesenheit. Diese können uns zwar die Mittel zu einem besseren Leben verschaffen. Über dessen Zweck aber können sie uns nicht unterrichten, weil kein Experiment uns darüber Auskunft erteilt. Die Zwecksetzungen unseres Daseins entspringen der Freiheit des Menschen. Die Religionen hatten diese Freiheit und damit den Zweck menschlicher Existenz auf je eigene Art verstanden. Zu diesem Hauptpunkt und Angelpunkt bleibt Wissenschaft stumm.
Wenn die Tat durch Erfolg oder Misserfolg darüber entscheidet, ob etwas wahr ist oder nicht, müssen wir dem Zeitalter der Wissenschaften die größtmögliche Wahrheit im Hinblick auf ihre einzelnen glänzenden Erfindungen und Produkte zuerkennen und den größtmöglichen Misserfolg im Hinblick auf das Ganze, das sie bis heute nie in den Blick bekam und nie menschlichen Bedürfnissen entsprechend zu beherrschen verstand. Immerhin haben alle bisherigen Epochen der Menschheitsgeschichte niemals das Ganze, nämlich das Überleben des Homo faber, grundsätzlich zu gefährden vermocht. Das Scientiazän aber bedroht die Menschheit zum ersten Mal mit genau dieser Gefahr. Damit ist der Kampf zwischen den beiden Lagern, die den Erfolg des neuen Zeitalter jeder auf eigene Art definieren, jetzt schon entbrannt und vorgrammiert. Mit wachsender Heftigkeit wird er uns fortan begleiten und die Zukunft bestimmen.
Organisationen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion, Letzte Generation oder Scientist Rebellion gehen davon aus, dass unser heutiges industrielles Wirtschaftssystem so wenig nachhaltig sei, dass es über kurz oder lang den Kollaps des Ökosystems herbeiführen wird. Alle führenden Klimaexperten sind sich darin einig, dass der anthropogene Treibhauseffekt, wenn ihm nicht rechtzeitig Einhalt geboten wird, den Globus auf lange Sicht unbewohnbar für Menschen macht. Dabei hat der Protest dieser Gruppen sich in erster Linie am Klimawandel entzündet, doch reicht die menschenbewirkte Zerstörung des Ökosystems weit darüber hinaus, weil Kohlendioxid, der in die Atmosphäre entlassene Müll, nur die auffälligste Form der gegenwärtigen Zerstörung der Umwelt ist. Das Industriezeitalter hat aber eine umfassende Vermüllung bewirkt, welche inzwischen sämtliche Kontinente und Meere zu verpesten droht. Die allgegegenwärtige Vermüllung durch Mikroplastik reicht, wie schon bemerkt, sogar bis ins menschliche Gehirn.
Die Feinde des bestehenden Wirtschaftssystems sind daher durchaus im Recht, wenn sie dessen radikale Neuordnung bis hin zu seiner Abschaffung verlangen. Damit aber stehen sie in schärfster Konfrontation nicht nur zu den Regierungen der führenden Industrienationen sondern auch zu einer überwältigenden Mehrheit der dort lebenden Bevölkerungen. Denn was würde eine Abkehr vom bestehenden Wirtschaftssystem konkret bedeuten? Nehmen wir an, dass die verkauften Gebrauchsgüter eine zehnfach längere Lebensdauer bekämen, also einerseits um den Faktor zehn dauerhafter hergestellt werden und dass andererseits bloße Abwandlungen des Designs, wie sie jetzt den Absatz künstlich befördern, nicht mehr erlaubt sein würden. Das Müllproblem – einschließlich der Erzeugung von Treibhausgasen – wäre damit wesentlich entschärft, weil auf eine Zeitspanne, sagen wir, von hundert Jahren gerechnet, nur noch ein Zehntel der Produkte hergestellt werden müssten und damit auch nur der zehnte Teil von CO2 und anderem Müll in die Atmosphäre entlassen wird. Welche Folgen würden sich aus einer derartigen Maßnahme ergeben?
Sie wäre zur gleichen Zeit eine ökologische Erlösung und eine soziale Katastrophe. Ihre schonende Wirkung auf die Umwelt ist evident, ihre unausbleiblichen sozialen Auswirkungen sind es ebenso. Schon eine Verminderung des Absatzes um wenige Prozent kann einen Konzern ins Schleudern bringen, eine Reduktion der Produktion auf ein Zehntel würde eine Massenarbeitslosigkeit bewirken, wie sie in solchem Ausmaß selbst in Kriegszeiten selten ist. Export, welcher den Reichtum aller führenden Industriestaaten begründet, wäre auf Null reduziert, weil es keinen Profit mehr gäbe, um damit Forschung und Entwicklung zu finanzieren. Der Sozialstaat hätte abgedankt. Daher ist klar, was auf eine solche Maßnahme folgt. Jede Regierung, die einen derartigen Schritt auch nur anzudenken wagt, würde von einem Massenprotest hinweggefegt werden. Mario Draghi beklagt in seinem jüngst erschienenen Bericht über die wirtschaftliche Situation der EU, dass diese schon jetzt stetig an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und China zurückbleibt.
Überhaupt würde eine solche Maßnahme der Produktionsdrosselung nicht nur das Wirtschaftssystem betreffen sondern zur gleichen Zeit das wissenschaftliche Zeitalter beenden, denn dieses beruht, wie Boltzmann schon zu seiner Zeit richtig gesehen hatte, letztlich auf der Tat und dem dadurch erzielten Erfolg. Nur weil die Menschen während der vergangenen drei Jahrhunderte darauf konditioniert worden sind, ständig ältere durch die jeweils neuesten Produkte zu ersetzen, konnte ein Wissenschafts- und Produktionsapparart entstehen, der genau dieses Bedürfnis in einen Imperativ verwandelt. In Hunderttausenden von Laboren und wissenschaftlichen Instituten wird permanent daran geforscht, die jeweils neuesten Lösungen für einige reale und sehr viele fiktive Probleme zu finden. Die dadurch geforderte Waren- und Müllproduktion ist damit zu einem unentbehrlichen Teil unseres wissenschaftlichen Zeitalters geworden. Degrowth, wie sie etwa eine zehnfach längere Lebensdauer aller Gebrauchsgegenstände erfordert, würde nicht nur den Abschied von unserem bisherigen Wirtschaftssystem erzwingen sondern auch das Ende des Scientiazäns bedeuten.
Wenn zwei Kampfpositionen gleich richtig sind, aber der Sieg der einen – ein radikaler Umbau des Wirtschaftssystems – den betreffenden Staat augenblicklich in den Ruin treibt, während der Sieg der anderen – das Unterlassen aller radikalen Maßnahmen – uns „nur“ einen schrittweisen, allmählichen Gang in die Katastrophe beschert, dann ist vorauszusehen, welche Richtung die Welt während der kommenden Jahrzehnte mit größter Wahrscheinlichkeit einschlagen wird. Die führenden Industriestaaten werden zwar „grün“ predigen und auch viel Richtiges in diesem Sinn tun, aber ihren Güter- und Müllausstoß niemals freiwillig so weit reduzieren, dass ihr bisheriger Lebensstandard dadurch ernsthaft in Gefahr gerät – das würde die Bevölkerung nicht akzeptieren. Für alle Entwicklungsländer, deren materieller Lebensstandard immer noch weit unter dem westlichen liegt, gilt solcher Protest ohnehin. Indien, Zentralasien und ganz Afrika werden dem Beispiel Chinas folgen und ihre bisher weitgehend nachhaltigen Wirtschaften auf eine forcierte Güter- und Müllproduktion (einschließlich CO2) umstellen. So sieht die wahrscheinlichste Entwicklung aus – jedenfalls bis zu dem kritischen Punkte, wo die Erhitzung des Globus und die damit einhergehenden immer schwereren Unwetter nicht nur alles bisherige Wirtschaften gefährden sondern das Leben unserer Art auf einem mehr und mehr überhitzten Globus.
Allen informierten Wissenschaftlern und denkenden Menschen steht dieser Gang ins Unheil klar vor Augen. Weil die gegnerischen Kampfpositionen aber beide richtig sind, steht die Welt dieser voraussehbaren Entwicklung wie gelähmt gegenüber. Denn nicht nur das gegenwärtige Wirtschaftssystem sondern das bisher so triumphale Scientiazän steht dabei auf dem Spiel. Es sind die spektakulären Taten der Wissenschaften, die uns einerseits das kleine Paradies von einzigartigen Geräten und triumphalen Erfindungen der Medizin bescheren und andererseits die große Katastrophe von apokalyptischem Wettrüsten und erstickender Vermüllung. Bis zum heutigen Tag haben die Mittel und Instrumente über den Zweck gesiegt, den uns die Wissenschaften nicht liefern können. Der Zweck ist eine die ganze Menschheit umspannende Gesinnung, die unser Überleben auf dem einzigen von uns bewohnbaren Globus auch noch für die Zukunft ermöglichen wird. Erst wenn dieser Zweck allen bewusst wird, folgt daraus auch die richtige Tat, denn, wie Boltzmann sagt, wird die Wahrheit unseres theoretischen Wissen überhaupt erst durch die Tat bewiesen.*
*Diese Betrachtungen stelle ich in aller Ausführlichkeit und unter Verweis auf die zu diesem Thema kundigsten Autoritäten in meinem jüngsten Buch „Homo Faber“ an.