Was spricht eigentlich dagegen,
dass wir endlich den Mut aufbringen, unser Wirtschaftssystem in seiner gegenwärtigen Verfassung als nicht-nachhaltig und daher sozial und ökologisch zerstörerisch zu bezeichnen?
Im Spiegel vom 22. August 2011 haben Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo-Instituts, und Henrik Enderlein, Ökonomieprofessor an der Hertie School of Governance in Berlin, über die Zukunft Europas, speziell über den Sinn der Einführung von Eurobonds und den möglichen Austritts Griechenlands aus dem Euroraum, diskutiert. Enderlein sprach sich für Eurobonds und gegen eine Rückkehr Griechenlands zur Drachme aus, Sinn vertrat die entgegengesetzte Position. Ein klarer Sieger in diesem Wettstreit der Standpunkte war nicht auszumachen, auch wenn die Bereitschaft den schwächeren Staaten bis zur Selbstaufgabe zu helfen, die Position von Enderlein zumindest bei oberflächlicher Betrachtung sympathischer machte. Für mich lag aber der entscheidende Punkt weniger in dem, was von den beiden Herren gesagt worden ist, als vielmehr darin, was sie verschwiegen haben. Ungesagt blieb, dass auch die Entwicklung Deutschlands weder sozial noch ökologisch nachhaltig ist. Deutschland müsste dauerhaft ein Wachstum über der Zinsrate erzielen, um nicht am Ende selbst ins Visier der Märkte zu geraten. Nur unter dieser Bedingung kann es den errungenen Wohlstand bewahren, ohne seinen Schuldenberg weiter anschwellen zu lassen. Ein solches Wachstum ist aber ökonomisch so gut wie ausgeschlossen – die Schwellenstaaten sind in rapider industrieller Aufrüstung begriffen. Der außereuropäische Export wird sich daher in bisheriger Stärke kaum noch über längere Zeit aufrechterhalten lassen.
Viel schwerer wiegt allerdings ein weiterer Umstand, der bei den meisten Ökonomen als fachfremde Nebensache unberücksichtigt bleibt. Ein derartiges Wachstum ist in einer gesättigten Volkswirtschaft ökologisch nicht einmal wünschenswert. Drastischer formuliert: Es ist Gift für den Planeten. In ihrer Fokussierung auf die gerade anstehenden Probleme haben die beiden Herren den für die Zukunft entscheidenden Punkt unberücksichtigt gelassen. Das gegenwärtige System bedarf einer grundlegenden Korrektur. Es ist weder sozial noch ökologisch überlebensfähig. Ist es nicht an der Zeit, die Diskussion in diesem Sinne aufzugreifen und weiterzuführen?
Was spricht eigentlich dagegen,
dass diejenigen für die Krise zahlen, die Sie verursacht haben?
Im Falle der Banken-, der Immobilienkrise und der Lehman-Pleite trägt eindeutig die Finanzwirtschaft die Verantwortung für die Krise, aber bei den Staatsschulden, die jetzt den Euro zermürben, sind es die angeblichen Sachwalter des Allgemeinwohls. Es sind Politiker, die unter dem Beifall des Wählervolkes an dieses ihre generösen Geschenke verteilten. Das war ihnen möglich, weil die kommenden Generationen auch in einer Demokratie kein Stimmrecht besitzen. Wie geht man in diesem Fall vor? Gibt es Eingriffe in das System, mit denen man diesem Übel abhelfen könnte?
Ein solcher Eingriff scheint mir durchaus möglich. Er würde darin bestehen, dass diejenigen, deren Einkommen und Vermögen auch den üppigsten Konsum weit übersteigen, dieses für sie überflüssige Geld (zumindest teilweise) an die Allgemeinheit in Gestalt von Steuern abtreten, statt dass sie es an den Staat verleihen, so dass die nächste Generation es mit Zinsen zurückzahlen muss. Die Schuldenkrise hat einen Grundfehler des Systems bloß gelegt: Statt dass der durch Reichtum besonders begünstigte Bevölkerungsteil einen angemessenen Beitrag zum Allgemeinwohl liefert, wird ihm im Gegenteil die Möglichkeit eingeräumt, das Allgemeinwohl zu schädigen!
Wie aber stellt man fest, ob jemand über Mittel verfügt, die auch einen Luxuskonsum weit übersteigen? Gegenwärtig ist das in keinem Land der Europäischen Union wirklich möglich. Gerade der reichste Teil der Bevölkerung tritt nicht als größter Steuerzahler in Erscheinung, sondern als größter Steuerempfänger, nämlich in der Rolle Gläubigers, für dessen Ansprüche der Staat mit Steuermitteln in Haftung genommen wird. In dieser Eigenschaft sind unsere privilegiertesten Mitbürger gerade dabei, mit ihren Forderungen die Europäische Union in den Abgrund zu reißen. Seit Ende der 80er Jahre sind die Gläubiger immer stärker, und ist der Staat immer schwächer geworden. Vermögens-, Erbschafts- und andere Steuern wurden in verschiedenen Ländern der Union sukzessive beseitigt oder ihre tatsächliche Last eingeschränkt. Wer sein Vermögen selbst deklariert, hat unter fachkundiger Anleitung einer ganzen Heerschar von Steuerberatern wenig Mühe, es bis auf einen geradezu Mitleid erheischenden Restbestand ganz wegzuerklären – sofern er es nicht überhaupt rechtzeitig in Liechtenstein oder der Schweiz in Sicherheit bringt.
Was spricht also dagegen, diesem Zustand eines tief reichenden sozialen Ungleichgewichts ein Ende zu setzen, und zwar auch im Interesse der bisherigen Profiteure, denn eine sich verschärfende Krise bedroht ja letztlich den Wohlstand der ganzen Bevölkerung? Diese Frage ist aufs engste mit einer zweiten verbunden, auch wenn das nicht auf den ersten Blick sichtbar ist.
Was spricht eigentlich dagegen,
dass die guten Vorsätze der vergangenen Jahre endlich in die Tat umgesetzt werden? War da nicht von einer Entlastung der Arbeit und einer entsprechenden Belastung knapper und ökologisch wertvoller Rohstoffe die Rede?
Jeder Staatsbürger wird bei uns für einen klugen Gedanken oder einen produktiven Handgriff bestraft. Schreibe ich ein Buch, mache ich eine Erfindung, baue ich für eine Firma ein Haus oder fertige für sie Produkte, so hält der Staat seine Hand auf. Er belastet die Kreativität (die Leistung), und zwar umso mehr diese sich entfaltet. Mit anderen Worten, er behandelt Kreativität wie einen Sündenfall.
Die Offensichtlichkeit dieses Unfugs hat freilich bisher nur sehr wenige Ökonomen (unter ihnen allerdings einen der größten, nämlich John Stuart Mill) zu einem Aufschrei bewogen. Es genügt, dass ein Unsinn alltäglich ist und tief genug in den Institutionen verwurzelt, um alles Nachdenken darüber zu lähmen. Dabei gibt es für denkende Menschen sehr wohl eine gerechte und unmittelbar einleuchtende Lösung. Wir, die Allgemeinheit (der Staat), dürfen den Einzelnen nicht im Hinblick auf das belasten, was er uns gibt, sondern nur im Hinblick darauf, was er uns nimmt. So gesehen, gibt es überhaupt nur eine einzige gerechte Art der Besteuerung – und diese betrifft den Konsum.
Wie gesagt, als nebelhafte Vorstellung steht dieser Gedanke schon seit Jahren im Raum: die Arbeit entlasten, die knappen und ökologisch wertvollen Rohstoffe und überhaupt den Zugriff auf Gemeingüter belasten. So sieht eine Wirtschaft aus, welche die Kreativität fördert und zum Schutz der Natur aufruft.
So sieht auch eine Gesellschaft aus, welche Arm und Reich in sozial gerechter Art unterscheidet. Wer sich gerade noch das tägliche Brot, also das Lebensnotwendige, leisten kann, den werden wir – die Allgemeinheit – nicht zur Kasse bitten. Wer täglich in den besten Restaurants speist und sich womöglich das dritte Auto und eine weitere Villa leistet, soll hingegen mit wachsendem Konsum auch progressive Abgaben leisten. Je größer der Teil an Gemeinressourcen, den er für sich in Beschlag nimmt und so der Verfügung durch andere entzieht, umso größer auch der von ihm geforderte Beitrag – bis seinem Verbrauch eine absolute Grenze gesetzt wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die soziale Vernunft es für zulässig hält, dass ein Einzelner mehr als zwei oder drei Villen, zwei oder drei Autos besitzt, schließlich kann er ja auch nicht drei oder vier Steaks pro Tag verzehren.
Was spricht also dagegen, dass man endlich aufhört, die Kreativität zu bestrafen? Weder Einzelne noch Unternehmen (als Gemeinschaften von Einzelnen) sollten für ihre Kreativität büßen müssen, sondern sie sollten allein für ihren Verbrauch von Gemeingütern, d.h. von Rohstoffen, Energie, Land, Immobilien etc. vom Staat zur Kasse gebeten werden, und zwar je nach Umfang dieses Verbrauchs.
In der Theorie spricht eigentlich nichts, in der Praxis leider einiges gegen eine derartige Wende: z.B. die ideologische Vergiftung unserer Hirne, die einem sozial gesonnenen Linken zwar durchaus gestattet, die steuerliche Entlastung des von Marx zu einer Art von Heiligen verklärten Arbeiters (Proletariers) gutzuheißen, aber eine gleiche Entlastung des als prinzipiell bösartig beurteilten Unternehmers als einen Affront auffasst und geradezu als einen Beweis, dass jemand, der solche Vorschläge auch nur aufs Tapet bringt, sozusagen das Visier fallen lässt und sich als rechter Reaktionär deklariert. Für diese unselige ideologische Vergiftung zeichnet Marx bis heute verantwortlich. Eine rationale und nüchterne Diskussion über die anstehenden Probleme wird dadurch immer noch sehr stark erschwert. Hier sollte ein radikales Umdenken einsetzen: Unternehmen sind Orte der kreativen Arbeit. Sie sind die Quelle des Wohlstands. Besteuert werden sollten sie nur im Hinblick auf das, was sie der Allgemeinheit an Gemeingütern entziehen.
Aber nicht nur alte ideologische Denkmuster stehen einem Umdenken im Wege. John Stuart Mills Vorschlag war theoretisch befriedigend, aber für die Realität taugte er nicht. Bis gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts wäre eine durchgängige Besteuerung des Verbrauchs praktisch undurchführbar gewesen, denn die moderne Mehrwertsteuer, von der in diesem Zusammenhang stets die Rede ist, kommt dafür gerade nicht in Frage. Die Mehrwertsteuer wird nach der Leistung (Kreativität) von Unternehmen berechnet und dann von den letzteren auf den Endkonsumenten übergewälzt. Sie ist sowohl antisozial wie antiökologisch, da sie keine progressive Besteuerung des individuellen Verbrauchs ermöglicht. Erst seit etwas mehr als einem Jahrzehnt ist die Einführung einer reinen Besteuerung des Verbrauchs aufgrund elektronischer Datenerfassung technisch möglich. Heute spricht in Wahrheit nichts mehr dagegen, dass wir die Kreativität – das kostbarste Gut jeden Staates – von allen Abgaben entlasten, statt sie wie bisher zu bestrafen. Wie dies geschehen könnte, habe ich in „Wohlstand und Armut“ und auf meiner Website unter „Neuer Fiskalismus“ beschrieben.
Was spricht eigentlich dagegen,
dass individuelles Eigentum ausschließlich dem persönlichen Verbrauch, aber nicht der Akkumulation von Macht dienen darf?
Eine ausschließliche Besteuerung des Verbrauchs würde das Problem der sozialen und ökologischen Perspektivlosigkeit des gegenwärtigen Wirtschaftssystems wesentlich mildern. Die Arbeit wäre mit einem Schlag von allen Abgaben entlastet, eine außerordentliche Belebung der Realwirtschaft die zu erwartende Folge. Nachhaltig wäre das System allerdings immer noch nicht. Das hängt damit zusammen, dass mit wachsendem Wohlstand einer Gesellschaft ein schrumpfender Anteil von Geld die Bedürfnisse des persönlichen Konsums befriedigt, ein wachsender Anteil dagegen das Bedürfnis nach persönlicher Absicherung und schließlich nach persönlicher Macht.
Das ist eine unheimliche, von der ökonomischen Wissenschaft ganz verschwiegene und dennoch für jeden nüchternen Beobachter evidente Erscheinung. Unternehmer, Manager, Bankherren und Hedgefonds-Mogule werden nicht deshalb zu Millionären und Milliardären, weil sie damit ein übermenschliches Konsumbedürfnis befriedigen wollen. Sie essen nicht etwa zehn Steaks pro Tag, leben in zehn Villen zugleich und fahren zehn Autos. Sie häufen Vermögen an, um aufgrund ihrer ökonomischen Stellung Macht über ihre Mitmenschen, führende Politiker und sogar über Staaten und Staatenbünde zu gewinnen. Es ist wohl keineswegs übertrieben, in der Gesamtheit der Gläubiger eines der gegenwärtig bedeutendsten und gefährlichsten Zentren der Macht zu sehen. Diese durch gemeinsame Interessen zusammengeschweißte private Machtinstitution mit den Rating-Agenturen als Sprachrohr ist stark genug, um die USA und Europa politisch, sozial und ökologisch in den Abgrund zu reißen.
Es handelt sich um Macht außerhalb der demokratischen Institutionen. Hier ist nicht die Rede von der legitimen Macht von Menschen, die ein politisches Amt bekleiden, einen Konzern leiten, an der Spitze einer Gewerkschaft stehen. Im Guten wie im Bösen beeinflussen ihre Entscheidungen das Leben vieler anderer Menschen. Macht an der Spitze eines Staates oder eines Betriebes ist hier eine Funktion, die dem Einzelnen nur auf Zeit und Abruf gewährt sein sollte, aber in einer Demokratie darf sie niemals ein persönliches Anrecht begründen.
Die Rede ist von einer illegitimen privaten Macht. Sie liegt der gegenwärtigen Krise zugrunde und hat sie überhaupt erst hervorgerufen. Es ist eine Macht, die aus der Verfügung über großes individuelles Eigentum entsteht. Die „Internationale der Gläubiger“ besteht größtenteils aus privaten Institutionen (Hedgefonds, Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds, Geschäftsbanken etc.), hinter denen sich Individuen verbergen, deren Streben nach mehr und mehr Geld auf einem im Prinzip grenzenlosen Bedürfnis nach Machterwerb und Machtdemonstration beruht. Kaum jemand scheint bemerkt zu haben, dass Eigentum hier in eine gefährliche Rolle gerät. Sie ist weder von der Wissenschaft noch von der Verfassung europäischer Staaten, etwa dem deutschen Grundgesetz, vorgesehen.
Was spricht eigentlich dagegen, dass man diesem Zustand ein Ende setzt? Sollte es nicht eine logisch unabweisbare Forderung sein, diese tiefer liegende Ursache für die gegenwärtige soziale und ökologische Perspektivlosigkeit dadurch zu überwinden, dass man Macht und Eigentum strikt voneinander trennt? Das auf Einkommen und Vermögen beruhende Eigentum sollte ausschließlich dem Konsum dienen können. Macht sollte nur dort ausgeübt werden, wo sie legitimiert ist, nämlich in politischen Ämtern, an der Spitze von Konzernen etc.
Was spricht also dagegen? Manches spricht in der Tat dagegen. Auch hier zum Beispiel unsere ideologische Voreingenommenheit. Jeder, der einen solchen Vorschlag in die Debatte wirft, muss mit heftigster Abwehr rechnen, nur erfolgt diese jetzt nicht von linker, sondern von rechter Seite. Man wird ihn umgehend kommunistischer Gelüste verdächtigen. Hatte nicht Marx zu einer „Expropriierung der Expropriateure“ aufgerufen? Hatte er nicht das Eigentum (an den Produktionsmitteln) abschaffen wollen? Gewiss. Und wie falsch, wie verhängnisvoll seine Forderungen waren, haben die ehemaligen Staaten jenseits des eisernen Vorhangs zur Genüge bewiesen. Die Kommunisten sind nie zu der Einsicht durchgedrungen, dass nicht die Freiheit des Eigentums, sondern der Missbrauch dieser Freiheit das große Problem ist. Die Befreiung des Einzelnen aus der Vormundschaft eines Staates, der bis ins 17. und 18. Jahrhundert die Wirtschaft in allen Bereichen streng reglementierte, war (wie schon im klassischen Griechenland) ein historischer Durchbruch. Jeder durfte und sollte am wirtschaftlichen Geschehen nach eigenem Wissen und Können teilhaben können – ein radikaler Gegensatz zu den alten Feudalregimes und ihren modernen Nachfolgern im ehemaligen Ostblock, wo der Einzelne zur Marionette wird, der seine Aufgaben von oben zugewiesen bekommt. Es sollte eigentlich keiner weiteren Begründung bedürfen, dass der neuzeitliche Durchbruch zu Wohlstand, angefangen beim Pionier der industriellen Entwicklung England, bis hin zu China, allein der Ablösung von zentralistischen Feudalregimes durch individuelle Initiative zu danken ist. Maos Kollektivismus hat die Armut nicht überwunden, das gelang erst Deng Xiao Ping, der mit seinem Aufruf zur Entfaltung der individuellen Kräfte das Land über Nacht grundlegend verwandelte.
Doch es genügt nicht, mit dem rechten Lager ein Loblied auf das Eigentum anzustimmen und die Freiheit, die es dem einzelnen verschafft. Denn das linke Lager ist ebenso im Recht, wenn es die Gefahren dieser Freiheit beschwört. Mit der Gewährung von Freiheit setzte stets auch deren Missbrauch ein. Anders als unter dem Feudalherrscher oder seinem modernen Gegenstück, einem gleich mächtigen Politbüro, gibt es nämlich in einer Eigentumsgesellschaft (dem „Kapitalismus) für Privatpersonen keine Hemmungen mehr, sich Eigentum in unbegrenzter Menge zu verschaffen und eben damit eine für die Allgemeinheit bedrohliche Macht auszuüben. Das hat Marx für das England der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieben, und das könnte ein wiedergeborener Marx unserer Tage für das heutige China, zwanzig Jahre nach Deng Xiao Ping, ebenso konstatieren. Was unser altes Europa betrifft, so hat die Konzentration der Vermögen auch in Deutschland beängstigende Ausmaße erreicht. Zehn Prozent der Bevölkerung verfügen über mehr als sechzig Prozent der Vermögen. Dieses Eigentum ist Macht, und zwar eine vom Grundgesetz nicht gedeckte, nicht vorgesehene, für Gesellschaft und Demokratie verderbliche Macht. Die Eigentumsgesellschaft schafft Reichtum – so viel Reichtum wie niemals zuvor in der Geschichte des Menschen. Doch spätestens in dem Augenblick, wo eine gesättigte Wirtschaft nur noch magere Zuwächse verspricht, wandert ein immer größerer Teil dieses Reichtums in die Finanzwirtschaft und setzt dort ein Karussell in Bewegung, das in einem Nullsummenspiel den besten und mächtigsten Spielern immer größere Gewinne, den schlechteren die entsprechenden Verluste beschert und der Realwirtschaft der zunehmenden Krisenanfälligkeit dieses Spiels aussetzt.
Marx und seine Nachfolger sahen keine andere Möglichkeit, als die Aufhebung des Eigentums zu verlangen, womit dann schlagartig auch die Finanzwirtschaft ihre Funktion einbüßt. Mit der Abschaffung des Eigentums geht zwangsläufig aber auch die Abschaffung der individuellen Freiheit einher. Das war vor eineinhalb Jahrhunderten ein Schritt in die falsche Richtung, und er ist es bis heute geblieben. Es hat keinen Sinn, den Missbrauch der Freiheit abzustellen, wenn man damit zugleich auch diese selbst entsorgt!
Wir haben es hier mit dem Dilemma der Freiheit zu tun. Dieses ist eine typische Erscheinung jeder Eigentumsgesellschaft ist (in jeder von ihnen kommt es mit der Zeit zu einer immer größeren Akkumulation der Vermögen und dann zu Kriegen oder Zusammenbrüchen, die eine Art von Reset des Systems bewirken).
Was spricht eigentlich dagegen,
dass wir die ökonomische Freiheit der Einzelnen bewahren, aber ihren Missbrauch – und zwar in der Real-, der Geld- und der Finanzwirtschaft gleichermaßen – dadurch eindämmen, dass wir die persönliche Bereicherung an dem Punkt begrenzen, wo Eigentum nicht mehr dem Konsum dient, sondern einzig dem Machterwerb und der Machtdemonstration? Besteht nicht im Grunde die Herausforderung der Krise (soweit sie nicht ökologischer Natur ist) genau darin, dass wir den Missbrauch der Freiheit begrenzen – ohne diese selbst in Frage zu stellen? Eine Konsumsteuer im üblichen Sinn kommt dafür nicht in Frage, weil Eigentum als Machtmittel ja gerade keiner Verwendung im üblichen Konsum zugeführt wird (und der Staat den Investitionsgüterkonsum nur im Hinblick auf den Verbrauch an Gemeingütern belasten sollte).
Es gibt jedoch sehr wohl eine Lösung für dieses Problem. Ich sehe sie darin, alles über den unmittelbaren Konsum hinausgehende Einkommen und Vermögen als „aufgeschobenen Konsum“ zu behandeln und dementsprechend so einzuschränken, dass es seine Rolle auch wirklich nur im zukünftigen Konsum erfüllt, aber nicht als Machtmittel taugt. Solange ein Firmenchef das Betriebsvermögen verwaltet, erfüllt er eine legitime Funktion für die Gesellschaft, ganz gleich wie groß dieser Betrieb und das darin gebundene und verwaltete Vermögen auch sein mag. Auch die Übertragung dieses Betriebsvermögens in andere Hände sollte steuerfrei bleiben, da derartige Steuern nur die Kreativität (die Leistung) belasten. In dem Augenblick aber, wo der Inhaber seine Firma verkauft, ändert das Vermögen schlagartig seinen Charakter. Es dient nicht länger der Allgemeinheit, sondern ausschließlich einer Privatperson, die jetzt keine Leistung mehr dafür erbringt, sondern im Gegenteil nur noch von der Leistung anderer zehrt. Wenn man verhindern will, dass sich das Vermögen jetzt in ein illegitimes privates Machtinstrument verwandelt, dann liegt seine einzige Rechtfertigung – aber auch seine Notwendigkeit – in den Erfordernissen eines aufgeschobenen Konsums: nämlich der Zeit, wo jemand aufgrund von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit nicht mehr von der eigenen Arbeit leben kann. Diese Eigenvorsorge darf der Staat getrost in großzügiger Weise bemessen. Abgesehen von einem eigengenutzten Vermögen an Wohnraum, Grundstück und Fahrzeug, das der Staat bei minimaler Größe überhaupt nicht, aber dann progressiv mit wachsendem Umfang besteuert, könnte er als maximalen jährlichen Konsumbedarf einer Einzelperson etwa 200 000 Euro festschreiben und dafür einen maximalen Zeitraum von zehn Jahren ansetzen. Das würde in etwa der Zeit entsprechen, die der einzelne noch als Pensionist leben wird. Mit anderen Worten: Der Staat hat den Luxuskonsum durchaus nicht beschnitten, sondern nur das Vermögen als Quelle privater Machtausübung: Der maximale Umfang eines individuellen Vermögens wäre damit auf etwa zwei Millionen Euro begrenzt.
Was spricht eigentlich dagegen, dass wir hier genauso vorgehen, wie es bei Mann und Frau doch schon längst üblich ist? Seit die Frau in den Arbeitsprozess genauso eingegliedert ist wie der Mann, wird von ihr erwartet, dass sie von ihrem eigenen Einkommen und nicht von dem ihres Mannes lebt. Dieselbe Regel sollte allgemein für jeden Staatsbürger gelten. Niemand sollte von der Leistung anderer leben dürfen, sondern ausschließlich von der eigenen Kreativität. Dadurch wird die Akkumulation von Rendite tragendem im Gegensatz zu eigengenutztem Vermögen jenseits einer Obergrenze von vornherein ausgeschlossen.
Mit der Besteuerung des aktuellen und des aufgeschobenen Konsums setzen wir eine wundersame Revolution in Bewegung. Der Wirtschaft geht es mit einem Schlag weit besser als je zuvor. Sie ist von allen Steuern entlastet, ausgenommen jenen, die ihren Ressourcenverbrauch betreffen. Kreativität und Arbeit sind von allen Abgaben befreit – das wirksamste Mittel zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Der Staat aber kann mit der neuen Vermögenssteuer (Steuer auf den aufgeschobenen Konsum) seine Schuldenlast reduzieren. Mit dieser Notoperation am zuckenden Herzen des sozialen Körpers entkommt er der Schuldenfalle, der er auf anderem Wege nicht mehr zu entgehen vermag. Man vergesse nicht, dass der gesamte Schuldenberg Deutschlands (Staats- und Unternehmensschulden zusammen) inzwischen eine Höhe von etwa acht Billionen Euro oder den vierfachen Wert des BIP erreicht und dass die ihm entsprechenden Guthaben zu etwa 60% (4,8 Billionen) den oberen zehn Prozent der Deutschen gehören, die Staatsschulden sich aber auf 80% des BIP (also weniger als 2 Billionen) belaufen. Ohne eine schrittweise Reduktion dieser Guthaben sind die ihnen entsprechenden Schulden nicht mehr zu beseitigen. Hierzu vgl. Eigentum – ein Irrtum im deutschen Grundgesetz?
Das ist mehr als eine Reform, es ist eine Revolution, die das Lebensniveau der Bevölkerungsmehrheit wesentlich steigert, aber ohne das Konsumniveau der Privilegierten zu schmälern. Diese verzichten lediglich auf Vermögen als Machtfaktor. Im Gegensatz zu allen bisherigen Enteignungen (vor allem der von Marx propagierten), bei denen ganze Bevölkerungsschichten ins Verderben gestürzt worden sind, wird bei dieser niemandem reales Leid zugefügt. Die Wirtschaft wird in dem Sinne umgebaut, dass ein Missstand beseitigt wird, den weder das Grundgesetz noch die herrschende Wirtschaftstheorie vorsieht oder gar billigt. Diese Reform wird in meiner Arbeit Wohlstand und Armut ebenso wie unter dem Eintrag „Neuer Fiskalismus“ auf meiner Website näher beschrieben.
Wenn im Grunde niemand unter einer solchen Reform wirklich leidet, sondern Staat und Gesellschaft enorm von ihr profitieren, was spricht dann dagegen, dass wir sie realisieren? Dagegen spricht, wie immer, die Trägheit der Institutionen, aber vor allem die Ideologie. Den einen geht die Reform unerhört weit, den anderen nicht weit genug. Die einen möchten das Eigentum am liebsten ganz abschaffen, die anderen erheben ein furchtbares Geschrei gegen die „Enteignung“. Ich gehe davon aus, dass menschliches Eigentumsstreben ebenso die schlechtesten wie die besten Kräfte des Menschen hervortreibt. Grenzenlose Gier und grenzenloses Machtstreben auf der einen Seite, ein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung durch eine auf die Dinge gerichtete Kreativität auf der anderen. Beides ist eng miteinander verwoben. Wer nach Art der kommunistischen Ideologie die Gier gewaltsam auslöschen und einen radikal neuen Menschen verwirklichen will, der hat den alten immer erst ausrotten müssen. Das war und ist ein mörderischer Irrweg.
Andererseits darf man dem Streben nach persönlichem Eigentum auch keine schrankenlose Entfaltung gewähren, wie das der Neoliberalismus fordert. Zwischen den Extremen kommt nur ein mittlerer Weg in Frage – auch wenn die Vernunft in unserem ideologisch vergifteten Klima dabei nur allzu leicht zwischen die Fronten gerät. Die Ent-Lastung aller kreativen Kräfte einschließlich der Unternehmen ist Anathema für die Betonköpfe unter den Linken, aber sie ist ein notwendiger Reformschritt. Andererseits fordert die Beschränkung des individuellen (nicht des funktional legitimen Betriebs-) Eigentums auf den Konsum natürlich die Unbelehrbaren unter den Rechten heraus. Zu Recht sehen sie hierin den stärksten Eingriff in das Privateigentum seit Karl Marx. Aber sie sollten bedenken, dass das Ziel in genau entgegengesetzter Richtung liegt. Es geht um die Erhaltung der Eigentumsgesellschaft, nicht um ihre Zerstörung. Die Neoliberalen haben immer noch nicht begriffen, dass illegitime Macht zur akuten Bedrohung wird.
Als wären die Protestrufe von den Rändern des politischen Spektrums noch nicht genug, ist selbst von wohlmeinenden Zeitgenossen auch noch der resignierte Refrain zu hören: Wie sollen solche Vorschläge jemals verwirklicht werden, wenn doch schon viele ganz harmlose Reformen scheitern? Wie recht sie doch haben! Solange Hans-Werner Sinn und Henrik Enderlein noch die Illusion aufrecht erhalten, dass es nur einiger weniger Drehungen an ökonomischen Stellschrauben bedarf, um die Krise zu überwinden, ist der Zeitpunkt für einen Neubeginn nicht gekommen.
Doch niemand weiß, in welche Abgründe uns die Krise noch führen wird. Vermutlich werden wir bald schon gezwungen sein, nach echten Alternativen statt bloß nach Mausefallen zu suchen. Wie sagte doch Kenneth Galbraith, einer der erfrischend ideologiefernen Ökonomen? If a man seeks to design a better mousetrap he is the soul of enterprise; if he seeks to design a better society he is a crackpot.