„Das Auto der Zukunft hat ein Problem: Es gibt keinen Tank, nur einen sperrigen Stromspeicher, der einige Doppelzentner wiegt und gerade mal so viel Energie bunkert wie ein paar Petroleumflaschen. Das Auto der Zukunft hat auch keinen Tankstutzen. Es zieht seine Nahrung aus einem Kabel. Und das geht etwa so schnell wie die Befüllung eines Kanisters mit einer Arztspritze“.
So Christian Wüst in seinem Artikel über ‚Strom-Illusionen’ – Illusionen, wie sie in China und inzwischen auch in Deutschland das politische Leitbild prägen.*1* Das Elektroauto soll und wird Massengefährt der Zukunft sein – angesichts des Klimawandels wurde aus dieser Forderung ein kategorischer Imperativ. Ein kollektiver Wunsch ist hier Vater der Gedanken, wobei man allerdings einräumen muss, dass die daraus bislang hervorgegangenen Kinder reichlich kläglich anmuten.
„Der SPIEGEL unternahm im Februar einen Praxistest mit dem E-Mobil Zoe von Renault. Bei Tempo 130 war an die im Normzyklus ermittelte Reichweite von 400 Kilometern nicht mehr zu denken. Übrig blieben etwa 150 Kilometer.“
Man hofft, dass Hoffnung sich zur selbsterfüllenden Prophetie entwickelt, so wie sie die permanente industrielle Revolution seit mehr als zwei Jahrhunderten beflügelt: Wird nur die nötige Forschung betrieben, glaubt man jedem Problem gewachsen zu sein. Weltweit investieren Autofirmen Milliardensummen, um den Übergang vom fossilen ins elektrische Zeitalter einzuleiten – natürlich unter Nutzung der Solarenergie. Es gibt da aber einen Haken: Keine noch so große Forschungsanstrengung vermag sich über die Gesetze der Natur hinwegzusetzen:
„Motorisierter Individualverkehr ist Energieverschwendung, auch ohne Benzin und Diesel. Ein Rechenbeispiel: 28 Starkstrom-Tanker à la Tesla an den künftigen 350-kW-Säulen würden das Stromnetz so stark belasten wie ein ICE mit 830 Passagieren bei voller Fahrt. Mehr noch: Eine vollständige Umstellung auf Elektro-Pkw würde den Strombedarf in der Bundesrepublik um rund ein Viertel erhöhen.“
Wird der Klimawandel auf diese Art wirklich aufgehalten oder auch nur vermindert? Angesichts des indirekten Energieeinsatzes für die Erzeugung der Batterien erscheint auch diese Hoffnung an den Haaren herbeigezerrt:
„Eine Studie des schwedischen Umweltinstituts IVL enthüllte kürzlich, was Fachleuten grundsätzlich bekannt ist, aber gern verschwiegen wird: Batteriezellen sind nicht nur extrem schwer und teuer, ihre Herstellung verschlingt auch Unmengen an Energie. Für die Produktion eines 100-kWh-Akkus nennt die Untersuchung eine Klimabelastung von 15 bis 20 Tonnen Kohlendioxid. Ein sparsamer Kleinwagen mit Benzin- oder Dieselmotor müsste bis zu 200 000 Kilometer fahren, um so viel Klimagas in die Luft zu blasen. Die Studie lässt zwar leider eine Lücke: Sie nennt nicht den Energieverbrauch für die Herstellung eines konventionellen Antriebsstrangs. Dass der aber deutlich niedriger ist, bestreitet kein Fachmann.“
Andererseits würde wohl auch kein Fachmann bestreiten, dass es sehr wohl eine Lösung gibt, die sowohl perfekte Mobilität garantiert wie eine Minimierung der Umweltbelastung. Das öffentliche Verkehrssystem sollte, wie dies in der Schweiz schon seit Jahren geschieht, zu einem möglichst dichten Netz ausgebaut werden. An sämtlichen Terminals (wie auch sonst im ganzen Land) müssten von Autopiloten gesteuerte, per Handy jederzeit abrufbare Elektroautos bereitgestellt werden, deren Abrechnung digital erfolgt. Würde man dann noch durch gestaffelte Tarife dafür sorgen, dass Einzelfahrten bis zum nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsmittel billig, darüber hinaus jedoch teuer werden, dann brauchte man nur noch steuerliche Maßnahmen zu setzen, damit der Flugverkehr nur ab bestimmten Entfernungen in Anspruch genommen wird – auf diese Weise ließe sich die direkte ebenso wie die indirekte Energiebilanz des Verkehrs auf ein Bruchteil ihres bisherigen Werts reduzieren. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beim Transfer zwischen beliebigen Orten würde vermutlich nicht einmal geschmälert, da Staus der Vergangenheit angehören und Unfälle sich wesentlich reduzieren ließen.
Gegen eine solche Lösung, welche der Vernunft, dem einzelnen Bürger, dem Staat insgesamt und vor allem der Umwelt dient und damit dem kollektiven Überleben in einer immer stärker gefährdeten Welt, spricht nur eines: die Interessen der gerade jetzt lebenden Generation. Zunächst die der Autoindustrie – und Letztere ist bekanntlich sehr mächtig. Es sind ja keineswegs nur die als Kapitalisten geschmähten Konzernherren, die sich mit aller Macht gegen eine solche Revolution wehren, sondern eine große in diesen Industrien beschäftigte Arbeiterschaft – da sind dann auch sofort die Interessen von Wirtschaft und Politik involviert.
Und nicht nur das. Um das Statussymbol Auto tanzt die Bevölkerung insgesamt wie um das goldene Kalb. Der Bürger erwartet, dass Kauf und Betrieb möglichst wenig kosten. Das eigene Fahrzeug verkörpert für ihn nicht weniger als individuelle Mobilität: Freiheit auf vier Rädern. Nur ist jetzt leider das ‚Malheur’ passiert – so jedenfalls aus Sicht der Autoindustrie – , dass die Menschen auch gerne grün denken und grün handeln wollen – und das stellt die Hersteller vor eine Quadratur des Zirkels. Die von Christian Wüst im Spiegel beschriebene Situation kennen sie natürlich aus dem ff. Die einfachste Lösung des Problems, die radikale Reduzierung des Individualverkehrs zugunsten des öffentlichen Transports, kommt für sie nicht in Frage, sie würde ihren Verkaufsinteressen zu sehr widersprechen, also müssen sie so tun, als erlaubten ihre Produkte ohnehin einen grünen Betrieb: Sie tricksen nach allen Regeln der kriminellen Kunst (Stichwort: Diesel-Skandal), um weiterhin das goldene Kalb – die Freiheit auf vier Rädern – billig und scheinbar grün zu verkaufen …
Dieser innere Konflikt, der sozusagen uns selbst, nämlich Staat und Bürger, spaltet, ist bezeichnend für viele unserer heutigen Probleme. Wir kennen die Lösungen – oft sind sie sogar überraschend einfach -, aber sie durchzusetzen bereitet kaum überwindbare Mühen, weil sich überaus mächtige Gegenwartsinteressen den ohnmächtigen Interessen zukünftiger Generationen entgegenstemmen.
1 Alle vier Zitate sind dem Artikel ‚Strom-Illusionen’ von Christian Wüst (Der Spiegel 34/2017) entnommen.