Entgegnungen auf Entgegnungen

Korb der Erwiderungen, flüchtig geschrieben und nicht für jedermann von Interesse

eMail-Korrespondenz mit Ralph Boes (die letzten Mails kommen zuerst):

Am 08.10.2011 um 09:38 schrieb Dr. Gero Jenner:

Sehr geehrter Herr Boes,

ich halte Sie für einen ehrlichen jungen Mann – intelligent sind Sie sicherlich. Anders als wohl die meisten Mitläufer in Ihrer Bewegung tragen Sie keine Scheuklappen, sondern sind durchaus bereit, sich mit abweichenden Meinungen auseinander zu setzen. Aber wie weit geht diese Ehrlichkeit? Zu meinem letzten Artikel (Uns geht die Arbeit aus) gibt es ja wohl nur zwei mögliche Reaktionen. Entweder Sie wissen es besser als ich – und die Tag um Tag anschwellende Zahl der Demonstranten vor Wall Street – und können mit Bravour beweisen, dass der Jenner Blödsinn sagt und Götz Werner im Gegenteil im Recht ist, weil es auf keinen Fall die oberen zehn Prozent sind, die uns um Arbeit und Einkommen bringen, sondern natürlich der Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch die Maschine. Oder Sie sind ehrlich genug, den anderen und sich selbst die Augen zu öffnen, indem Sie den Artikel auf Ihrem Forum veröffentlichen.

Nun, ich bin ziemlich sicher, dass Sie das bestimmt nicht tun werden. Sie wissen, dass Ihnen dann ein Sturm des Protestes von Seiten Ihrer Glaubensbrüder entgegenschlägt. Sie haben Ihr Pöstchen in der Bewegung, Ihre Stellung, Sie sind sozusagen der Hofphilosoph – das alles sind Vorzüge, denen man die Wahrheit zur Not gerne opfert. Oder irre ich mich?

Mit vielen Grüßen aus der herbstlichen Steiermark

Gero Jenner

  Dr. Gero Jenner <info@gerojenner.com>

Betreff: Re: Bruchlandung

Datum: 01. Oktober 2011 09:49:22 MESZ

An: Ralph Boes <ralphboes@freenet.de>

Sehr geehrter Herr Boes,

lassen Sie mich noch einige versöhnliche Worte hinzufügen, denn ich glaube, wir würden uns in einem Gespräch unter vier Augen durchaus verstehen. Ich habe nichts gegen Visionen – im Gegenteil, aller Fortschritt des Menschen heute und in der Vergangenheit lebt von ihnen. In einem kleinen Erzählband „Die Messingstadt“ habe ich selbst einmal eine ganze Reihe phantastischer Visionen in kleine Geschichten gegossen. Aber Visionen dürfen keine Entschuldigung für krauses oder denk- und faktenresistentes Fabulieren werden.

Eine der verbreitesten Visionen überhaupt ist der Traum vom Fliegen. Ich glaube, jeder Mensch hat in seinem Leben solche Träume. Man könnte also meinen, dass wir uns in einer Bewegung zusammentun sollten, damit uns, sofern wir das nur mit aller Kraft wollen, irgendwann Flügel wachsen. Sicher würde irgendein indischer Guru wie Mahesh Yogi behaupten würde, dass die ersten Federn uns mit Sicherheit sprießen werden, wenn in einer Stadt mindestens zehn Prozent der Bewegung angehören.

Würden Sie Menschen phantasielos nennen, die den Yogi gnadenlos verspotten? Würden Sie ihnen vorwerfen, sie seien unfähig sich in die tiefsten Bedürfnisse ihrer Mitmenschen hineinversetzen, weil sie sich über solche Träume lustig machen? Ich meinesteils glaube nicht, dass der Fehler hier bei den Spöttern liegt.

Denn wer Träume im Auge hat und zugleich die physischen Voraussetzungen, mit denen sie erfüllt werden können, der glaubt nicht an sprießende Federn, sondern erfindet Flugzeuge. Das allerdings, so werden Sie mir wohl zugeben müssen, ist ungleich schwieriger. Man muss dann nämlich beides zugleich sein: ein Visionär und jemand, der Jahre lang die Physik studiert hat und sich in den Gesetzen der Aerodyanamik auskennt.

Um also zusammenzufassen, was ich meine: Ich mache mich über Herr Werner nicht deswegen lustig, weil er ein Visionär ist, sondern weil er an das Sprießen eines Federkleids glaubt.

Alles Gute

Gero Jenner

Am 01.10.2011 um 00:24 schrieb Ralph Boes:

Lieber Herr Jenner – ich war ja schon knapp davor, mich aus Ihrem Verteiler herausnehmen zu lassen, weil ich mich sehr geärgert habe, wie Sie Götz Werner verdammen.  Beim Lesen ihres letzten Artikels war ich aber wieder hingerissen.

Ich kann mir jetzt allerdings genauer erklären, was uns trennt:

Sie sind ein hervorragender Analytiker und haben eine große Gabe, die Dinge wahrheitsgemäß und einleuchtend darzustellen –

Sie sind aber nicht im selben Sinne „Visionär“: Sie haben nicht in derselben Weise wie die analytischen ihre „Phantasiekräfte“ ausgebildet.

Deshalb sehen sie z.B. Götz Werner verzerrt, missverstehen ihn und unterstellen ihm Lüge, wo er nur eine – vielleicht wünschbare – Zukunft beschreibt … Ein Infrarot-teleskop und ein normales Teleskop geben einem ebenfalls verschiedene Eindrücke, ohne dass eines von beiden lügt.

Es sind nur verschiedenartige Blickweisen, die Sie beide innehaben. Für einen Unternehmer ist dieses Visionärstalent von großer Wichtigkeit, für einen Wissenschaftler, dessen Aufgabe im analysieren besteht, nicht in demselben Maße. Die Unterschiedlichkeit ihrer Blickweisen führt meiner Meinung nach unausweichlich in Konflikt, jedenfalls dann, wenn nicht genügend Klarheit über die Verschiedenartigkeiten besteht.

Mit freundlichem GRruß,

Ralph Boes

—– Original Message —–

From: Dr. Gero Jenner

To: Ralph Boes

Sent: Friday, September 30, 2011 6:03 PM

Subject: Re: Bruchlandung

Selbstverständlich!

Am 30.09.2011 um 17:49 schrieb Ralph Boes:

Sehr geehrter Herr Dr. Jenner –

 

Darf ich den Aufsatz auf unserer Webseite:

http://www.buergerinitiative-grundeinkommen.de/aktuelles.htm

veröffentlichen?

 

Mit freundlichem Gruß,

Ralph Boes

 

—– Original Message —–

From: Dr. Gero Jenner

Sent: Friday, September 30, 2011 2:00 PM

Subject: Bruchlandung

Schuldenbruchlandung – ein Kontinent steuert ins Chaos

von Gero Jenner (30.9.2011. Aktualisiertes Original unter:

http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Bruchlandung.html)

Zunächst einmal: Schulden sind ein für den Normalbürger kaum noch verständliches Problem. Alle Welt redet darüber, dass Griechenland, Portugal und Irland dramatisch verschuldet seien und auch Spanien und Italien als gefährdet gälten. Doch warum brauchen die USA, vor kurzem noch nahe an der Zahlungsunfähigkeit, sich keine der erdrückenden ……

1) EMail-Korrespondenz mit Herrn Mario Ribrezzo in zeitlicher Umkehrung:

Am 03.07.2011 um 19:59 schrieb gero jenner:

Sehr geehrter Herr Ribrezzo,

Sie stellen mich vor ein Problem. Da ich auf alles, was Sie an Fragen anschneiden, in meinem Buch – direkt oder indirekt – eigentlich schon geantwortet habe, läuft unser Gespräch für mich auf einen wiederholenden Privatdialog hinaus, dessen Ergebnis Sie dann vermutlich gleich ins Internet stellen. Doch werde ich Ihnen dieses Mal noch gerne antworten und unseren Dialog auf meiner Website unter der Überschrift „Entgegnung auf Entgegnungen“ meinerseits ins Netz transferieren, allerdings in zeitlicher Umkehrung, d.h. ich beginne mit meiner Antwort.

Erstens, möchte ich den Sozialstaat nicht knapp halten, sondern wünsche mir eine reiche Gesellschaft, die ihn so üppig ausstatten kann, wie dies nur möglich ist, ohne die Bereitschaft jener zu lähmen, die die dafür nötigen Mittel erarbeiten müssen.

Zweitens. Ich bin grundsätzlich gegen jede Art der Überwachung und fühle mich mit Bertrand Russell am wohlsten in einem freiheitlich-demokratischen und in diesem Sinne liberalen Staat, der darauf weitgehend verzichtet. Aber Armut und Reichtum sind nun einmal personenbezogen. Wenn man die Auswüchse des Reichtums beschneiden, die Last der Armut lindern will, dann bedarf es einer gewissen Überwachung in beiden Bereichen. Im Hinblick auf die unteren 90 Prozent der Bevölkerung ist die Überwachung – das wird heute kurioserweise so gut wie nie ausgesprochen und noch seltener kritisiert – nahezu perfekt und schlechterdings allgegenwärtig. Der Staat weiß auf Heller und Pfennig über die Einkommen der abhängig arbeitenden Bevölkerungsmehrheit bescheid. Insofern wird durch eine Besteuerung des Konsums also überhaupt keine Änderung bewirkt. In anderer Hinsicht aber schon, denn die oberen zehn Prozent sind ungerechterweise von der Überwachung bisher ausgekommen, bzw. wissen sich ihr ziemlich mühelos zu entziehen (selbstdeklarierte Einkommen entsprechen selten der Wahrheit). Wollen Sie wirklich die Privilegien einer Minderheit verteidigen? Hier stellt eine richtig konzipierte Konsumsteuer Gleichheit und damit Gerechtigkeit her – nicht mehr und nicht weniger.

Drittens, meine Argumentation läuft doch gerade darauf hinaus, dem Staat für seine Aufgaben für das Gemeinwohl mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Insofern entspricht es also ganz meinen eigenen Absichten, den Konsum zur Finanzierung des Staates heranzuziehen.

Viertens, werden die Beamten von einer Konsumsteuer genauso erfasst wie der Rest der Bevölkerung.

Fünftens, spreche ich mich in meiner Aussendung (siehe Website Gero Jenner: Europa – ein Kartenhaus? Teil II) dezidiert für eine Besteuerung von außereuropäischen Importgütern aus – und begehe damit aus der Sicht des herrschenden Neoliberalismus eine Todsünde und Ketzerei.

Sechstens, bin ich natürlich nicht für Armenspeisung und Armenasyle, sehr wohl aber gegen Missbrauch von Steuermitteln (d.h. von Ihrem und meinem Geld!) gleichgültig, von welcher Seite dieser Missbrauch erfolgt. Wenn man gegen die Diktatur des großen Reichtums einschreiten will (der Plutokratie, wie Noam Chomsky es nennt), dann muss man sich eben auch gegen Schwarzarbeit und Parasitentum wenden und nicht – mit manchen ideologischen Schönfärbern – so tun, als genüge es arm zu sein, um zum Heiligen aufzurücken. Ich habe die Schwarzarbeit immer mit dem Argument entschuldigt, dass man es dem in Armut und Prekariat abgedrängten Teil der Bevölkerung kaum verübeln kann, wenn er es den Großen nachtut und seinerseits auf Betrug sinnt, aber in einer gerechten Gesellschaft sollte weder das eine noch das andere möglich sein.

Siebtens, Vor-Ort-Produktion ist ein Ideal für große Wirtschaftsräume. Sie kommt natürlich nicht für Liechtenstein und selbst nicht für Deutschland in Frage. Sie ist aber sehr wohl in einem wirtschaftlichen Großraum wie der Europäischen Union durchführbar und würde heißen, dass wir in einem beginnenden Zeitalter der Nachhaltigkeit nicht länger auf fremde Ressourcen zugreifen, nicht länger andere für uns arbeiten lassen (und unsere eigenen Leute in die Arbeitslosigkeit schicken), nicht länger unseren Müll in Länder der dritten Welt verfrachten, sondern das eigene Haus möglichst mit eigenen Mitteln instand halten und betreiben – so wie es noch bis vor zweihundert Jahren überall auf der Welt die Regel war.

All das findet sich in Wohlstand und Armut und wird von mir auch in meinen übrigen Büchern seit Jahren vertreten. Ich würde mich freuen, wenn es mir gelingt, auch Sie, Herr Ribrezzo, von diesem Standpunkt zu überzeugen.

Ihr Gero Jenner

Am 03.07.2011 um 13:28 schrieb mario ribezzo:

Lieber Autor,

zum neuen Fiskalismus: Sie wollen dort ja den Sozialstaat sehr knapp halten. Sie gehen davon aus, dass der Konsum über eine Chipkarte zu überwachen ist, dann soll die Behörde prüfen, ob weniger konsumiert wird, dann soll eine finanzielle Hilfe übergeben werden. Ich halte nichts davon, dass der Konsum des Bürgers so überwacht wird. Wäre es nicht sinnvoller, wenn generell der Konsum zur Finanzierung des Staates herangezogen wird, aber in dem Sinne, dass die Produkt teurer werden, wenn sie von Firmen entweder von außerhalb der EU oder von Firmen mit wenig Beschäftigten hergestellt werden! Ich empfehle wirklich die Lektüre des neuen Buchs von Konrad Stopp( eigene Homepage) und von Jörg Gastman, aber auch von Manfred Julius Müller. Joachim Jahnke, dessen Seite Sie verwenden , arbeitet toll mit Statistiken, aber er ist gegen die Konsumsteuer! Habe ich Ihr Buch richtig gelesen, sind Sie für Armenspeisung und Armenasyle- sollte nicht jeder selbst entscheiden, wofür er Sozialgelder ausgibt?

Mit den besten Grüßen!

Mario Ribezzo

Ps.: Wie stellen Sie sich die Vor-Ort-Produktion vor?

Von: Dr. Gero Jenner <info@gerojenner.com>

Betreff: Re: ihre bücher

An: „mario ribezzo“ <mribezzo@yahoo.de>

Datum: Samstag, 2. Juli, 2011 15:32 Uhr

Sehr geehrter Herr Ribezzo,

haben sie Wohlstand und Armut wirklich gelesen? Da geht es um die Zinsproblematik und sehr viel mehr. im letzten Kapitel übrigens um eine Steuerfinanzierung des Staates, wie sie auf so umfassende Art bisher nicht einmal angedacht worden ist. Auf meiner Homepage wird dazu übrigens eine Zusammenfassung unter „Neuer Fiskalismus“ präsentiert. Bitte schreiben Sie mir, wenn Ihnen das noch zu wenig ist!

Mit freundlichen Grüßen

Gero Jenner

Am 02.07.2011 um 13:43 schrieb mario ribezzo:

Lieber Autor,

ich kenne einige Ihrer Bücher und wollte dies gerne einmal loben! Nur mit dem Modell , welches Sie in Ihrem neuen Buch ansprechen ,haben ich Probleme!

1. Sie sprechen mir aus der Seele. Beamte etc. andere Privilegierte haben einen großen Schutz vor der Globalisierung, für Arbeiter gilt dieser nicht!

2. Mindestens 30% Zinsanteil befinden sich in den Produkten, da muss etwas passieren.

3. Mit immer weniger Personal wird immer mehr hergestellt, eigentlich ein Segen! In Zeiten wie diesen, Sie sprechen vom Punkt x, ist die Rendite eines Arbeitsplatzes nicht mehr hoch genug, so kommt es zum Abbau! Normalerweise sollte weniger gearbeitet werden, was in der Globalisierung aber kaum möglich ist! Wie ein Automatisierungsexperte in seinem Buch schreibt( Bruno Itschner), wird die Automatisierung eher zulegen, die neu-entehenden Arbeitsplätze, Arbeit ist ja nicht statisch, sind von der Qualität nachweislich schlechter!

4. Wie wollen Sie Vor-Ort-Produktion durchsetzen? Kennen Sie das Bandbreitenmodell der DDP?-Jörg Gastmann! Länder wie Griechenland verlieren mehr an die Asiaten als an die BRD!

5. Was halten Sie generell von einer Steuerfinanzierung sozialer Leistungen, um auch Beamte etc. zu beteiligen?

6. In der Brd werden selbst Behinderte in Arbeit geprügelt, man traut sich halt oben nicht heran, muss unten Krümmel suchen!

Mit lieben und besten Grüßen!

Mario Ribezzo

2) Entgegnung auf Herrn Janke:

„Missverständnis oder Themaverfehlung?… „ (http://www.grundeinkommen.de/16/04/2011/missverstaendnis-oder-themaverfehlung-erwiderung-auf-gero-jenners-kritik-an-goetz-werner.html)

In meiner Antwort möchte ich mich auf zwei Punkte beschränken: auf das neue Weltbild einer staatlichen Gratisversorgung, das bei vielen einen so großen und auch berechtigten Enthusiasmus erweckt, und auf dessen mögliche Motive und voraussehbaren Auswirkungen.

Fangen wir mit dem Weltbild an, das ich in recht boshafter Weise als „Evangelium für die Armen im Geiste“ oder als „1000-Euro-Pille“ bezeichne. Herr Alexander Janke wirft mir mangelnde Fairnis gegenüber einem inspirierten Neuerer vor. So muss es ihm wohl erscheinen, denn die Vision, die Herr Werner so beredt unter die Menschen bringt, hat in der Tat etwas Berauschendes. Rousseau hat der Welt die Vision des edlen Wilden geschenkt, Herr Werner die vom edlen 1000-Euro-Empfänger, der seine Kreativität nun zum ersten Mal uneingeschränkt ausleben kann und so eine ganz neue Gesellschaft erschafft. Es muss wohl diese Ideologie vom edlen Kreativen sein, die bei uns Deutschen, einem Volk der Ideologen, die sich immer wieder von Ideologien betrügen ließen, so große Erwartungen wachruft. Man fühlt sich sehr an frühere Verheißungen erinnert: an Marx etwa und seine Vision vom ganz neuen Menschen in der klassenlosen Gesellschaft oder an Fourier und seine aufschweifenden Phalansterien-Phantasien.

In diese Reihe der ideologischen Enthusiasten gehört zweifellos auch Götz Werner. Kein Wunder, dass er in einer Zeit, die von Krisen, Depressionen und Pessimismus verdüstert wird, gerade bei den Benachteiligten unserer Gesellschaft ungeheure Erwartungen und viel echte Begeisterung erweckt.

Ich will deshalb gleich zu Anfang bekennen, dass auch für mich eine Welt, in der wir alle 1000 Euro beziehen und von der elementaren Lebenssorge befreit sind, ganz gewiss eine schönere ist als der Hartz-IV-Überwachungsstaat. Und mit Herrn Janke bin ich zudem überzeugt, dass sehr viele Menschen unter solchen Bedingungen auch produktiver und kreativer wären. Man sollte sich von der Vorstellung befreien, dass der Mensch seinen Denkapparat nur dann betätigt oder nur dann an die Arbeit geht, wenn er dazu von der Knute getrieben wird. Soweit herrscht also Einigkeit. Nur bin ich nicht bereit, die 1000-Euro-Pille als eine Droge gegen das kritische Denken zu schlucken. An den edlen 1000-Euro-Empfänger glaube ich so wenig wie an den edlen Wilden, der bekanntlich sehr oft auf Skalptour ging. So wie es an der Spitze der Gesellschaft jede Menge Zumwinkels gibt, die sich mit einem Koffer voll Geld in die Schweiz absetzen, gibt es auch in den sozialen Niederungen jede Menge potentieller Betrüger. Die Menschen pflegen einander oben und unten doch eben zum Verwechseln ähnlich zu sehen – selbst dann noch, wenn sie uns (und wir ihnen) die richtige Einstellung bescheinigen. Oder haben wir nicht gerade in letzter Zeit staunend erleben müssen, wie Linke mit zuvor makelloser Weste und Ideologie ganz mühelos zu Bilderbuchkapitalisten mutierten – man denke doch nur an Politiker und Wissenschaftler wie Schröder, Lafontaine oder Rürup?

Doch darüber lässt sich gewiss endlos streiten. Hier haben wir es mit Werturteilen zu tun. Entscheidend ist für mich ein anderer Punkt, auf den Herr Janke leider nicht eingeht. Ich fürchte nämlich, dass all diese Enthusiasten, die Herr Werner mit seinem Wirken so sehr inspiriert, wieder einmal furchtbar betrogen werden. Hier setze ich an, und dieser Gesichtspunkt steht für mich ganz im Vordergrund. Herr Werner macht Ihnen Hoffnungen und falsche Versprechen, die er mit seinen Vorschlägen gerade nicht zu erfüllen vermag. Mag sein, dass diese Irreführung nicht auf bewusste Art geschieht, dann hätte Herr Janke mit seinem Vorwurf recht, dass ich es in meiner Kritik an Fairness gegenüber dem ehemaligen dm-Chef fehlen lasse (obwohl die Aussagen, die er über Reichtum und Steuern macht und die ich ausdrücklich als Lügen bezeichne, von einer Naivität zeugen würden, die mit seiner sonstigen Intelligenz nur schwer in Einklang zu bringen ist).

Aber meine Kritik kommt doch ganz ohne Herrn Werner aus. Ich habe sie nur an ihm fest gemacht. Es geht nicht um eine bestimmte Person, es geht um die Sache. Und für diese Sache sieht es leider recht schlecht aus. Jedenfalls bieten die vorhandenen historischen Beispiele für eine Gratisversorgung – und da ist das römische Kaiserreich an erster Stelle zu nennen – kaum Grund zum Optimismus. Statt edler Grundeinkommensempfänger sehen wir betrogene Massen, deren Protest gegen soziales Unrecht mit Almosen erstickt worden ist.

Und damit komme ich zum zweiten Punkt meiner Antwort. Wer profitiert denn von der schönen neuen Welt der gesicherten 1000-Euro-Versorgung? Herr Werner sagt uns nichts darüber, dass er die oberen zehn Prozent in deren Finanzierung einbinden will und schon gar nicht sagt er uns, wie dies geschehen soll. Natürlich ist es richtig, wenn Janke dagegen festhält: „Götz Werner verliert nicht seine Glaubwürdigkeit bei seinem Feldzug für ein Grundeinkommen, bloß weil er kein Linker ist.“ Nein, ob Götz Werner seinen Feldzug als Rechter oder als Linker betreibt, ist in der Tat ziemlich unerheblich, weil letztlich nur zählt, wie dieser sich in der Praxis dann tatsächlich auswirken wird. Dazu lassen sich allerdings ziemlich eindeutige Voraussagen machen. Einer ohnehin schon privilegierten Schicht wird ganz gewaltig damit geholfen, wenn Herr Werner sich durchsetzt (in der rechten Partei der Besserverdienenden haben das einige offenbar sehr viel besser begriffen als der linke Herr Janke). Die gewaltige Erhöhung der Mehrwertsteuer, die er für die Finanzierung in Vorschlag bringt, kommt nämlich vor allem ihnen zugute – doch davon genug, weil ich unter „Neuer Fiskalismus“ ausführlich davon rede.

Herr Janke ist ein Idealist und vermutlich auch ein enthusiastischer Ideologe. Das mache ich ihm nicht zum Vorwurf, aber daraus ergibt sich leider die Folge, dass er sich weniger mit den Realien als mit den großen Gedanken und den edlen Gefühlen befasst. Die wichtigste Realie unserer Zeit ist die wachsende materielle Ungleichheit. Diesen Punkt wischt Herr Janke im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen ganz entschieden als nebensächlich beiseite. „Der Diskurs um bedingungslose kulturelle Teilhabe verläuft fast völlig unabhängig von demjenigen um die materielle Ungleichheit,“ so wehrt und wiegelt er ab. Wie bitte? Sind da keine empörten Zwischenrufe aus den Reihen der echten Linken zu hören? Eine zunehmende materielle Ungleichheit, die erst dazu geführt hat, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung ins Prekariat und in den Niedriglohnbereich abgedrängt wurde, hat nichts damit zu tun, dass einige nun daran denken, den davon betroffenen Menschen mit einem Grundeinkommen aus der Misere zu helfen? Eine die Gesellschaft zunehmend destabilisierende Konzentration des Reichtums an der Spitze hat nichts damit zu schaffen, dass man die Armut unten mit einem Grundeinkommen zu lindern sucht? „Genau genommen hat der Einsatz für ein BGE mit der Einkommens- und Vermögensspanne nichts oder nur wenig zu tun.“ setzt Janke sogar noch eins obendrauf.

Käme diese Meinung von einem Mitglied aus der Partei der besser Verdienenden, so würde man seinen Ohren ja durchaus trauen, doch man wagt ihnen kaum mehr zu trauen, wenn solche statements von einem Angehöriger der Linken vertreten werden, der sie mit ruhiger Gewissheit vorträgt, so als würde er damit nur zum Augenmaß und einer besonnenen Sachlichkeit aufrufen.

Um meine Position also noch einmal ganz klar zu machen:

Erstens: Wenn es richtig ist, dass die besser Verdienenden von der Einführung eines BGE profitieren, weil damit die eigentliche Ursache zunehmender Armut, nämlich der Sog des Geldes nach oben, weiter begünstigt und durch diese Almosenvergabe zugleich der Protest von unten erstickt wird, dann lässt sich für die Zukunft nichts Schlechteres denken als die Realisierung dieses Projekts. Dann werden auch wir zu „römischen Zuständen“ kommen.

Zweitens: Ich verstehe den Enthusiasmus für das bedingungslose Grundeinkommen, aber ich halte ihn für eine große Gefahr, denn er lenkt ab von dem eigentlichen Problem der zunehmenden sozialen Stabilisierung: der nicht nur bei uns, sondern weltweit wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Ob Herr Werner (und Herr Janke) subjektiv davon wissen, dass sie eine 1000-Euro-Beruhigungspille verteilen, ist letztlich ohne Belang. Was zählt ist, dass sie objektiv genau dies damit erreichen, ja, vielleicht durch die bloße Ankündigung dieser Medizin schon erreicht haben. So jedenfalls verstehe ich den Satz: „BGE plus Umverteilung von oben nach unten oder ein Wechsel des Wirtschaftssystems sind absolut vereinbar.“ Nein, sie sind es gerade nicht, wenn man das Grundeinkommen nach den Vorstellungen von Herrn Werner realisiert.

Es gibt aber einen Punkt, wo ich die Kritik von Herrn Janke an meinen Ausführungen teile. In meinem ersten Aufsatz „Grund-Ab-sicherung des Privilegs oder Grundsicherung in sozialer Verantwortung“ spreche ich von einer Gesellschaft der Gleichen, die auf ein bedingungsloses Grundeinkommen völlig verzichten kann, weil jeder nur mit der linken Hand gibt, was er mit der rechten empfängt. Der Vergleich mit dem chinesischen Einheitsstaat unter Mao und der gewaltsamen Gleichmacherei war fehl gegriffen und musste den Leser irritieren. Denn ich bin natürlich davon überzeugt, dass ein hohes Maß an Einkommensgleichheit (wie sie etwa in japanischen Unternehmen bis in die achtziger Jahre bestand) zugleich soziale Stabilität garantiert und eine ausreichende Motivation für persönliche Leistung ist. Mit anderen Worten, ich halte einen solchen Zustand im höchsten Grade für wünschenswert. Es gab ihn ja auch bei uns bis etwa zum Beginn der neunziger Jahre, wenn auch nicht so ausgeprägt wie in Japan. Damals wäre niemand auf den Gedanken gekommen, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern, weil es eben auch die Not nicht gab, die heute aufgrund der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich besteht.

Diese Abhängigkeit zwischen dem BGE und der rapiden Verschlechterung der sozialen Situation ist Janke ein Dorn im Auge. Er will sie nicht sehen und deswegen dekretiert er sie immer wieder hinweg. „Das Grundeinkommen stützt nicht die Verhältnisse – sondern nur die Individuen.“ Welch seltsame Äußerung von linker Seite, wo man doch sonst gerade die systemischen Ursachen und Wirkungen betont! Wer leistet sich hier ein Missverständnis, wer verfehlt das Thema, das doch eigentlich ein eminent linkes (aber ebenso auch ein christlich-soziales) ist?

Doch abgesehen von diesem Meinungsverschiedenheiten freue ich mich über den Dialog mit Herrn Janke. Vielleicht gelangen wir so über dogmatische Standpunkte hinaus und nähern uns – wer weiß – einer gemeinsamen Wahrheit an. Die Verweigerung des Gesprächs ist jedenfalls immer ein Ausweichmanöver, sie will eine Unsicherheit verbergen, wenn sie nicht schlicht einer Abwehrhaltung entspringt. Mit der Mitautorin des 1000-Euro-Buches, Frau Adrienne Goehler, hatte ich folgenden kleinen Schlagabtausch.

Goehler:

Sehr geehrter Herr Jenner,

ich bitte mich aus Ihrem Verteiler zu nehmen, zumal ich gar nicht weiß, wie ich da rein komme.

Danke

Adrienne Goehler

Jenner:

Sehr geehrte Frau Goehler,

das müssten Sie aber wissen, denn Sie tragen eine Mitverantwortung für das Buch „1000 Euro für jeden“. Wenn Gedanken so unausgegoren auf den Markt gebracht werden, müssen Sie sich schon Protest gefallen lassen. Dieser Protest hat gerade erst begonnen. Lassen Sie sich nicht davon irritieren, dass es hin und wieder auch zu Abschweifungen kommt, wie z.B. meinem Aufsatz über die Geldreformer.

Mit den freundlichsten Grüßen

Gero Jenner

Goehler:

trotzdem will ich mir weiterhin aussuchen, mit wem ich mich auseinandersetze

Mit freundlichen Grüßen

Adrienne Goehler

Jenner:

Liebe Frau Goehler,

Sie haben mich nicht ausgesucht. Das ist mir schon klar. Ich suche Sie aus! Das ist nun einmal so, dass man als Kritiker selten von denen ausgesucht wird, die man kritisiert.

Bis auf Weiteres

Ihr Gero Jenner