(auch erschienen in: "scharf-links")
Man kann einem Esel so viel Last aufbürden, dass er darunter völlig verschwindet, aber jeder Tierhalter weiß, dass irgendwann die Grenze erreicht ist und das Tier schlicht zusammenbricht. Man kann die Weltbevölkerung von 3 auf 7 und vielleicht noch auf 12 Mrd. wachsen lassen, aber jeder Agrarexperte ist sich bewusst, dass das Limit irgendwann überschritten ist, weil die Nahrungsbasis keine beliebige Zahl von Menschen zu erhalten vermag. Und nicht anders ist es mit Schulden, die zu einem stetig wachsenden Berg auftürmen. Es gibt keine bestimmte Grenze, bei der ein absolutes Limit erreicht wird. Es lag daher auch keine Notwendigkeit vor, dass die Europäische Union gerade seit 2010, also seit dem Einsetzen der Griechenlandkrise, einer massiven Attacke von Seiten der Gläubiger ausgesetzt wurde. Das Unheil hätte sich auch ein paar Jahre später ereignen können. Bis dahin hatte ja kaum jemand das stetige Wachsen der Last bemerkt – oder sagen wir besser bemerken wollen. Hätte nicht eine Handvoll von Analysten plötzlich Zeter und Mordio geschrien, wäre die Schuldenlast – von der Welt weiterhin unbemerkt – einfach in aller Stille noch einige Jahre weiter gewachsen.
Metaphern pflegen zu hinken
Eines allerdings musste einem denkenden Menschen von vornherein klar sein: Irgendwann – wenn nicht heute, dann morgen – würde der Esel mit Sicherheit straucheln. Der Esel, das ist in diesem Fall die Mehrheitsbevölkerung, welche die Schuldenlast tragen muss. Der Staat hat kein Maß gehalten, nun peitschen die Gläubiger das Tier unbarmherzig voran. Sie pochen darauf, dass ihnen die Last – das eingesetzte Kapital vermehrt um die Zinsen – pünktlich ins Haus geliefert werde.
Metaphern haben es an sich, dass sie in aller Regel ein poetisch vereinfachtes Bild der Wirklichkeit zeichnen. Tatsächlich haben sich hier alle zu Komplizen gemacht. Es ist wahr, dass die Mehrheitsbevölkerung heute die Lasten nicht mehr zu tragen vermag. Sie geht in Griechenland, Spanien, Italien auf die Straße, aber die Mehrheit war lange Zeit überaus froh darüber, dass die Politiker ihr so große Geschenke machten. Ein nicht geringer Teil des Wohlfahrtstaates wurde damit bezahlt. „Fünf Prozent Schulden, das ist doch besser als fünf Prozent Arbeitslose!“ – so haben auch kluge und achtenswerte Politiker geredet, und die Menschen haben es ihnen gerne geglaubt. Alle haben nur an sich selbst gedacht, nämlich an die jeweils gegenwärtige Generation. Die Zukunft der kommenden Generationen wurde leichtfertig verkauft. Sind es die jungen Leute, die jetzt auf die Straße gehen, dann verstehe ich sie. Wer könnte ihnen eine Schuld an der Misere geben? Wenn ihre Eltern demonstrieren, dann ist das schon weit weniger zu verstehen: Haben nicht alle von ihnen damals die Hand aufgehalten?
Wenn von Schuld die Rede ist, dann muss sie den sogenannten Experten gelten
Schuldzuweisungen sind deshalb eine recht heikle Sache. Am ehesten kann man sie der ökonomischen Wissenschaft und ihren Experten machen. Losgetreten wurde die Lawine staatlichen Schuldenmachens überhaupt erst durch John-Maynard Keynes. Denn Keynes hat ihr seinen wissenschaftlichen Segen gegeben. Allerdings war der große Brite vorsichtig genug, die Rückzahlung der Schulden in Zeiten des Aufschwungs zu fordern. Die nachfolgenden Ökonomen haben diesem Verlangen bestenfalls ein Lippenbekenntnis gezollt. So weit mir bekannt, hat kein Wirtschaftswissenschaftler in führender Position eindeutig gesagt, dass das staatliche Schuldenmachen mit mathematischer Sicherheit irgendwann den Kollaps des Systems nach sich zöge. Dieser Kollaps aber ist unausweichlich, wenn die Wirtschaft nicht im Gleichschritt mit den für die Schulden zu zahlenden Zinsen wächst.
Wieder einmal gibt die Bevölkerungsmehrheit den Esel ab
Sie ist es, die man die Last tragen lässt, bis sie darunter zusammenbricht. Niemand – weder die Politik noch deren Ratgeber – haben der Bevölkerung reinen Wein eingeschenkt. Keiner sagte ihr, dass die Geschenke, mit denen sie damals so üppig verwöhnt worden ist, von einer kommenden Generation mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt werden müssten. Im Gegenteil Politiker und „Experten“ tun jetzt alle außerordentlich erstaunt und weisen die Schuld missgünstigen Mächten zu. Vor allem die Rating-Agenturen sind als Sündenböcke beliebt. Doch das ist genauso absurd, als wollte man das Straucheln des überladenen Esels den Tierärzten in die Schuhe schieben, die den Sturz vorausgesagt haben, in diesem Fall den Rating-Agenturen. Die Wahrheit ist, dass dieser Zusammenbruch zu den vorhersehbaren Katastrophen gehört. Jeder der sehen wollte, hätte schon seit Jahren seinen unausweichlichen Eintritt voraussagen können, wenn auch, wie gesagt, nicht den genauen Termin und Verlauf. (1)
Einzelne Länder überwinden die Schuldenkrise
Vor der Einführung des Euro im Jahre 2002 hätte die Schuldenkrise jeweils einzelne Staaten betroffen, und zwar zu verschiedener Zeit. Diese hätten darauf so reagiert wie etwa in jüngster Zeit Argentinien. Ein Großteil der Gläubiger wurde durch einen Verzicht auf bis zu 75% seiner Forderungen weitgehend enteignet und die auf der Bevölkerung ruhende Last dadurch wesentlich reduziert. Das Land konnte neu beginnen und hat sich seitdem von seinem Zusammenbruch bemerkenswert gut erholt. Oder ein zahlungsunfähiges Land hätte so vorgehen können wie Deutschland nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs. Damals entwertete der Staat die Reparationszahlungen der Siegermächte und die Ansprüche seiner inländischen Gläubiger durch eine radikale Inflationierung des Geldes. Die indirekte Enteignung der Gläubiger auf dem Wege einer Hyperinflation ist allerdings um ein Vielfaches schmerzhafter für die allgemeine Bevölkerung als die direkte Enteignung, wie Argentinien sie betrieb. Der Unterschied lässt sich unschwer begreifen. Gläubiger zählen überwiegend zum reichsten Teil der Bevölkerung, eine teilweise Enteignung trifft diese Schicht daher weit weniger stark als die generelle Enteignung durch eine Geldentwertung. (2) Doch auch diese weit schmerzhaftere Strategie erwies sich letztlich als wirksam. Gegen Ende der Zwanziger Jahre und einer Zeit außerordentlicher Härte und Not befand sich Deutschlands Wirtschaft neuerlich im Aufschwung. Ohne die von den USA ausgehende Große Depression wäre es auf diesem Weg weiter vorangeschritten.
Mit der Einführung des Euro hat sich die Situation grundlegend geändert. Eine sukzessive, jeweils nur einzelne Staaten betreffende Lösung des Schuldenproblems ist dadurch unmöglich geworden. Gegen alle wirtschaftliche Vernunft hat Francois Mitterand Deutschland die gemeinschaftliche Währung als „Kompensation“ für die Wiedervereinigung abgerungen. Jetzt ist Europa insgesamt bedroht, sobald eines seiner schwächsten Glieder versagt. Eine Potenzierung der Probleme ist die unvermeidliche Folge, denn diese Probleme sind nun um vieles gefährlicher und weit schwerer zu lösen.
Der Euro rückte zum Symbol der Einheit auf
Und dennoch: Der Euro ist mittlerweile zu einem Symbol geworden: Er steht für die von so vielen Hoffnungen auf Frieden und Wohlstand getragene Vereinigung des alten Kontinents. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine auch nur teilweise Wiedereinführung nationaler Währungen – etwa der Drachme in Griechenland – der Idee eines Vereinigten Europa schweren Schaden zufügen und den weiteren Integrationsprozess auf Jahre verschleppen wird. Vor diesem Hintergrund sind die verzweifelten Rettungsbemühungen europäischer Politiker durchaus verständlich. Mit aller Kraft versuchen sie das Zerbrechen des Euro zu verhindern, in dem sie mit Recht eine ganz Europa existentiell bedrohende Katastrophe sehen. Wenn die stärksten Staaten der Union, also die Staaten des Nordens, durch tatkräftige Hilfe – selbst bis zur Erschöpfung der eigenen Wirtschaftskraft – diese Katastrophe abwenden könnten, dann wird jeder, der an die Idee Europas glaubt und ihre Verwirklichung nicht nur für wünschenswert, sondern geradezu für unausweichlich hält, in diesen Anstrengungen eine durchaus gerechtfertigte Politik erblicken.
Aushöhlung der Demokratie und der eigenen Wirtschaftskraft
Und damit noch nicht genug. Wenn Europa wirklich mit den Maßnahmen zu retten wäre, welche die deutsche Bundesregierung mit dem Fiskalpakt und den damit verbundenen Hilfen für den notleidenden Süden ergriff, dann mag man sogar akzeptieren, dass die Zukunft der deutschen Bevölkerung dadurch in kurzer Zeit weit stärker verpfändet wird als durch alle Verschuldung des vergangenen halben Jahrhunderts. Dann mag man zur Not auch noch eine Aushebelung der demokratischen Grundregeln akzeptieren, die eine Abgeordnete kürzlich zu der Bemerkung veranlasste, dass sie sich an Zustände wie in der Volkskammer der ehemaligen DDR erinnert fühle. (3) Denn wenn eine reale Aussicht besteht, die Krise nach solchen Opfern in absehbarer Zeit zu beenden, dann hätte man auf friedlichem Wege erreicht, was selbst Gewaltherrschern wie Napoleon und Hitler unter dem Einsatz militärischen Vernichtungsmaschinerien nicht gelingen wollte. Ich würde meinen, dass große wirtschaftliche und selbst politische Opfer unter dieser Voraussetzung zu rechtfertigen wären.
Gerechtfertiges Opfer oder Verbrechen?
Doch dieses Einverständnis hängt an einer fundamentalen Voraussetzung. Es geht von der Annahme aus, dass die Überwindung der Krise auf diesem Wege wirklich möglich sei. Weder in Argentinien noch im Deutschland der Zwanziger Jahre war das der Fall. Ohne Enteignung bzw. eine galoppierende Geldentwertung war ein hoher Schuldenberg bei mangelndem Wachstum bislang niemals abzutragen. Daher kamen in historischer Perspektive bisher auch nie andere als diese beiden Strategien in Frage. (4) Wie kommen unsere führenden Politiker zu der tollkühnen Annahme, dass die Situation heute eine grundsätzlich andere sei? Eine Krise, die auf ausufernder Verschuldung beruht, glauben sie durch Bekämpfung ihrer Symptome zu überwinden, doch das schiebt den Kollaps nur um einige Jahre, möglicherweise nur um wenige Monate hinaus. Unter diesen Bedingungen lässt sich die schleichende Aushöhlung der Demokratie und die Verpfändung der deutschen Zukunft gewiss nicht als gerechtfertigtes Opfer bezeichnen. Mir kommt da nur ein sehr hartes Wort in den Sinn: Diese Politik ist nicht weniger als ein beginnender Ausverkauf, ein Verbrechen an kommenden Generationen – eine Politik der tollkühnen Geisterfahrer. Mit dem Prinzip Hoffnung fahren sie Europa gegen die Wand.
Deutschland international an den Pranger gestellt
Diese Politik bleibt auch dann ein unverzeihlicher Ausverkauf, wenn man den ungeheuren Druck in Betracht zieht, dem die deutsche Regierung international ausgesetzt ist. Die Staaten des Südens sind nur zu gern bereit, die Schuld an ihrer gegenwärtigen Misere nicht bei sich selbst zu suchen, sondern bei Deutschland, das angeblich der eigentliche Nutznießer der gemeinsamen Währung sei. Sie verschweigen, dass Deutschlands gestiegene Wettbewerbsfähigkeit in erster Linie der Agenda 2010 zu danken war, und dass sie selbst das für sie auf einmal so billige Geld leichtfertig dazu missbrauchten – das gilt in besonderem Maße für Griechenland, Irland und Spanien – um ihre Schulden in noch größere Höhen zu treiben. Deutschland ist gegenwärtig vergleichsweise stark, der Süden schwach. Im Sinne der Solidarität scheint es selbstverständlich, dass der Starke den Schwachen hilft. Gleichgültig ob die interessierten Staaten des Südens unter Führung von Francois Hollande diese Forderung erheben, oder ob Obama und die Pekinger Führung sich zu dem Thema melden. Alle weisen mit dem Finger auf Deutschland und drängen es, seiner Verantwortung nicht nur für Europa, sondern für die Weltwirtschaft nachzukommen. Jedes Zögern der Deutschen wird als Egoismus, Kleinlichkeit und Beschränktheit gedeutet. (5)
Der Mut einer Kanzlerin
Bisher hat Frau Merkel der gesamten Welt auf bewundernswerte Weise die Stirn geboten. Hilfe ja, aber nur, wenn sie unter Bedingungen erfolgt, die ihren Erfolg verbürgen, also unter der Voraussetzung eines Institutionenwandels in Richtung einer politischen Union. Doch weder Franzosen noch der Süden insgesamt will von einem Eingriff in die eigene Souveränität etwas wissen. Man fordert Geld, und zwar bedingungslos. Und die übrige Welt? Die kümmert es wenig, unter welchen Voraussetzungen Deutschland den Brand in Europa löscht. Man will, dass sich die Finanzmärkte beruhigen – und wenn auch nur bis zur nächsten Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten. Man drängt Frau Merkel zum Handeln, ganz gleich ob für oder gegen deutsche Interessen. Der Druck auf die deutsche Regierung wird sich in den kommenden Wochen und Monaten kontinuierlich verstärken, weil der Zinssatz für die Staatspapiere südlicher Länder einschließlich Frankreichs weiterhin wächst und die Panik sich daher steigern wird. Alle werden von Deutschland Opfer und noch mehr Opfer verlangen. Das wird sich auch bei einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone nur zeitweilig ändern. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich Frau Merkel, die bis vor kurzem so standhaft war und dafür Bewunderung verdient, den auf sie einstürzenden Forderungen nicht länger widersetzen. Die internationale Gemeinschaft, der Süden unter Führung von Francois Hollande und die EZB werden gleichzeitig den Druck erhöhen.
Die Europäische Zentralbank hat die Entwicklung schon vorgegeben
Denn die Weichen wurden ja längst von der Europäischen Zentralbank gestellt, seit dort die Vertreter der südlichen Länder den Ton angeben. Der Schwarze Peter der nationalen Schuldobligationen, bis vor kurzem noch auf private Gläubiger überall in der Welt verteilt, konzentriert sich inzwischen bei den Geschäftsbanken Europas – ein Vorgang, der mit Bedacht von der EZB durch eine Politik billigen Geldes gegen den Widerstand von Vertretern der Bundesbank herbeigeführt wurde. (6) Für ein Prozent Zinsen konnten und können sich nationale Geschäftsbanken mit EZB-Geld versorgen, um nationale Staatspapiere aufzukaufen, für die sie damals fünf und heute bis zu sieben und mehr Prozente kassieren. Die Entscheidung zwischen den beiden Modellen des Schuldenabbaus ist damit unwiderruflich getroffen. Nicht das argentinische Modell einer weitgehenden Enteignung der Gläubiger, sondern das deutsche Modell der Zwanziger Jahre steht uns für eine nicht mehr allzu ferne Zukunft bevor: d.h. eine generelle Enteignung der Bevölkerung durch Inflation.
Die Banken sind zu Gläubigern des Staates geworden
Denn seit die nationalen Geschäftsbanken zu Gläubigern ihrer jeweiligen Staaten wurden, ist das argentinische Modell eben nicht länger anwendbar. Die privaten Gläubiger erhielten die Möglichkeit, ihre Papiere rechtzeitig abzustoßen. Sie haben ihr Vermögen wieder einmal gerettet, legen es in Sachwerten an, in verlässlicheren deutschen Staatsobligationen, verbergen es in Steueroasen vor dem Fiskus (7) oder tragen es nach China oder Brasilien, damit dort jene Fabriken entstehen, die dann mit Billigprodukten europäische Unternehmen vernichten. Die Privatanleger sind aus dem Schneider. Die neuen Staatsgläubiger hingegen, die Banken, bei denen sich jetzt das Gros der Staatspapiere ansammelt, lassen sich nicht enteignen, ohne dass dadurch die Gesamtwirtschaft eines Landes zusammenbricht. Mit anderen Worten, die Banken – jedenfalls die größeren unter ihnen – müssen gerettet werden. Das weiß der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, deswegen hat er die Weichen der Geldpolitik in diese Richtung gestellt. Und er weiß auch, dass eine solche Rettung nur auf zweierlei Art möglich ist, entweder durch den Einsatz von Steuergeldern, die zum überwiegenden Teil von den Nordländern kommen, oder durch Inflation – und damit kommt er einer alten Forderung Frankreichs entgegen.
Zunächst die Steuergelder, später die Inflation
Bis dato zielen die Hilfsmaßnahmen, die der deutschen Regierung abgetrotzt wurden, auf den Einsatz von Steuergeldern. Doch diese mögen noch so gewaltig sein, sie reichen einfach nicht aus, um die sich ständig verschärfende Krise einzudämmen (8). Schon den eigenen Schuldenberg hat Deutschland nicht abzutragen vermocht (bestenfalls wurde die Neuverschuldung zeitweise reduziert), wie sollte es da imstande sein, mit dem Steuergeld seiner Bürger die Schulden der Südländer abzubauen? Allen Beteiligten muss daher bewusst sein, dass schon bald der Punkt erreicht sein wird, wo nur noch eine zweite Lösung in Frage kommt. Die Rettung der Banken, deren Eigenkapital aufgrund der ständigen Entwertung der von ihnen gehaltenen Staatspapiere an fortschreitender Schwindsucht leidet, wird sehr bald nur noch möglich sein, indem man die Notenpresse arbeiten lässt: eine Lösung von größter Einfachheit – das ist ihr unbestreitbarer Vorteil. Doch aus eigener leidvoller Erfahrung wissen die Deutschen, was da auf sie zukommt. Statt dass diejenigen bezahlen, die dies noch am ehesten verkraften können, also die reichen Gläubiger gemäß dem argentinischen Modell, findet eine Enteignung der Mehrheit statt – erst durch Steuergelder und, sobald hier die Grenze erreicht ist, auf dem Wege der Inflation. Diesen Weg hat die EZB jetzt schon beschritten. Wenn die Geldentwertung bisher noch nicht spürbar ist, dann weil man sie vorläufig noch durch die gleichzeitige Ausgabe von Wertpapieren „sterilisiert“.
So lässt sich Europa nicht retten!
Wer glaubt, dass auf diese Weise die Idee und die Einheit Europas zu retten seien, der unterliegt einer gefährlichen Illusion. Sobald die Länder des Nordens die Folgen der derzeitigen Maßnahmen zu spüren bekommen, werden die Nationen Europas einander gegenseitig die Schuld an dem Unglück zuweisen. Wechselseitige Bezichtigungen und Unterstellungen trüben jetzt schon das Klima. Sobald die wirtschaftliche Lage sich weiter verschlechtert, wird das gegenseitige Misstrauen noch wachsen. Die offensichtliche Hilflosigkeit der Politik lässt alles schließlich noch schlimmer werden.
Zu dieser Politik der Ohnmacht gibt es eine Alternative, die sowohl im Interesse Deutschlands wie seiner südlichen Nachbarn ist. Aber sie erfordert einen chirurgischen Eingriff in die derzeit bestehende Mechanik der fortwährenden Auseinanderentwicklung von Reich und Arm. Und sie macht außerdem eine Änderung der Beziehungen Europas zur Außenwelt nötig. (9) Es spricht leider alles dafür, dass Politik und Wirtschaft sich lieber einem Prozess des vorläufig noch langsamen, bald schon rapiden Verfalls aussetzen, als dass sie dem neoliberalen Programm und den ihm zugrundeliegenden Dogmen entschieden den Rücken kehren.
1 In meinem Buch „Das Pyramidenspiel“ habe ich den typischen Verlauf einer Schuldenkrise einschließlich des letzten Aktes – der Haftung der Steuerzahler – skizziert.
2 Weil die größten unter ihnen genug Berater finden, die ihnen rechtzeitig sagen, wenn es sich empfiehlt in Sachwerte umzusteigen oder das Geld im Ausland anzulegen.
3 Die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld fühlt sich bei den Parlamentsabstimmungen zur Euro-Rettung an die frühere DDR erinnert, wo die Abgeordneten nicht ihrer Überzeugung, sondern dem Willen der Partei und der Staatsführung gefolgt sind. Siehe ihren diesbezüglichen Artikel.
4 Hierzu David Graebers Buch Debt und Michael Hudson Artikel.
5 Vgl. etwa den bissigen Artikel von Ambrose Evans-Pritchard in The Telegraph.
6 Hierzu Die Lügen der Politik.
7 Siehe Spiegel-Online Artikel über das gigantische Ausmaß der Steuerhinterziehung.
8 Hierzu Wirtschaft ohne Wachstum.
9 Siehe Fiskalpakt.