Grundeinkommen – die Pforte zum Paradies

(auch erschienen in: "scharf-links")

In wirren und verängstigten Zeiten malen die einen den Zusammenbruch aus, die anderen entwerfen die Blaupausen zu einer besseren Welt. Utopien sind die Antwort auf soziale Spannungen und wirtschaftliche Verunsicherung. Eine Utopie unserer Zeit ist das bedingungslose Grundeinkommen. Die Idee ist verführerisch – und ich meine, dass jeder ein Heuchler ist, der sie nicht beim ersten Hinblick für sympathisch hält. Wer würde sich etwa weigern, einen Lottogewinn einzustreichen oder ein Millionenerbe zu übernehmen, wenn das Schicksal ihm dieses Glück gewährt? Jede Regierung weiß, dass sie Wähler mit großzügigen Glücksversprechungen (Steuergeschenke, Subventionen) für sich gewinnt. Sie muss nur halbwegs überzeugend versichern können, dass sie diese auch halten kann. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Versprechen auf persönliches Glück, denn es bereitet – eben weil es bedingungslos ist – jenen Demütigungen ein Ende, denen sich heute Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose beim Nachweis ihrer Hilfsbedürftigkeit ausgesetzt sehen.

Jeder Mensch wird dann mit einem solchen Einkommen geboren und genießt es lebenslänglich. Die Existenzsorge, seit Millionen von Jahren die größte Geißel der Menschheit, ist mit einem Federstrich abgeschafft. Alle bisherigen Utopien bis hin zu Karl Marx scheinen obsolet und überwunden zu sein. Für eine bedingungslos abgesicherte Bevölkerung büßen sie ihre Anziehungskraft ein, denn man sieht in ihnen nicht mehr als unvollkommene Annäherungen an ein Ziel, das jetzt zum ersten Mal in greifbare Nähe rückt. So verführerisch ist diese Idee, dass man bei ihren Verfechtern, Propagandisten und Ideologen ganz deutlich religiöse Untertöne und schwärmerische Begeisterung heraushören kann. Es gibt da Leute, die sprechen von der „größten Erfindung seit Abschaffung der Sklaverei“…

Ich bin dezidiert anderer Meinung. Ich halte diese „Erfindung“ aus mehrfachen Gründen für unmoralisch. Dies möchte ich im folgenden begründen.

1) Alles menschliche Zusammensein beruht auf Geben und Nehmen (do ut des) – das ist nicht nur das Fundament, welches Menschen zusammenhält, sondern auch eine der ältesten Einsichten der Soziologie. Natürlich muss dieses Geben und Nehmen nicht auf Geld begründet sein, es kann ebenso aus Geschenken, gegenseitiger Hilfeleistung, kurz aus allem bestehen, was in einer bestimmten Gesellschaft als wertvoll gilt. Nur eines war immer klar, wer (außer Kindern, Alten, Kranken usw.) nur nimmt, ohne zu geben, der fällt aus der Gesellschaft und wird von ihr als Parasit betrachtet, weil er das Grundprinzip des Zusammenlebens missachtet. Ich halte es für sehr wohl möglich, dass die Empfänger eines BGE sich in ihrer überwiegenden Mehrzahl als höchst nützliche Mitglieder der Gesellschaft erweisen, doch die bloße Möglichkeit, dass es von nun an dem Belieben jedes einzelnen anheimgestellt bleiben soll, ob er auch ein Gebender ist oder sich auf das bloße Nehmen beschränkt, setzt dieses soziale Grundprinzip außer Kraft. Ihr moralisches Fundament wird aufgelöst.

Das war schon in der Vergangenheit so, wenn herrschende Schichten nur noch genommen haben, aber nicht mehr geben wollten, also nur noch parasitär agierten (der Auftakt zu Revolutionen). Es macht die Sache keinesfalls besser, wenn jetzt auch die benachteiligten Schichten dieses Recht für sich reklamieren. Parasitäres verhalten kann unmöglich zu den Menschenrechten gehören.

Aber wenn es doch keine Arbeit und daher auch kein Arbeitseinkommen mehr gibt, weil Arbeit angeblich nicht mehr, zumindest aber immer weniger gebraucht wird? Es spricht alles dafür, diese Ansicht für objektiv falsch zu halten (siehe http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Uns_geht_die_Arbeit_aus%21_Geht_uns_die_Arbeit_aus.html). Angenommen jedoch, sie wäre objektiv richtig und Massenarbeitslosigkeit daher ein unausweichliches Schicksal, dann wäre es jedenfalls unvertretbar, dass die Arbeitenden den Nichtarbeitenden die Existenz finanzieren. Die Aufgabe einer auf die Würde ihrer Bürger bedachten Gesellschaft würde vielmehr darin bestehen, Einkommen und Arbeit auf die Köpfe der Gesamtbevölkerung so zu verteilen, dass alle ihren Platz im sozialen Netz des Gebens und Nehmens finden. Das wäre ein wirkliches Menschenrecht!

2) Die Einführung eines BGE ist zweitens deshalb unmoralisch, weil sie eine beschwichtigende, verdummende, betäubende Wirkung hätte: Sie lenkt nämlich von den echten Problemen ab. Eine reiche Diktatur hätte sicher keine Probleme damit, ihren Bürgern ein BGE in der Absicht zu gewähren, dass ihnen dadurch der Mund gestopft wird. Das war zum Beispiel in Sparta der Fall, wo alle freien Spartaner ein großzügig bemessenes Grundeinkommen genossen, das nur mit einer einzigen Bedingung verknüpft war: Sie hatten es als gottgegeben zu betrachten, dass ein mehr als neun Mal größerer Teil der Bevölkerung (die Heloten) in der Rolle von rücksichtslos unterdrückten und ausgebeuteten Sklaven dieses Einkommen für sie erwirtschaften musste. Ist es da nicht ein böses Omen, dass Götz Werner in seinem einschlägigen 1000-Euro Buch in Sparta als Vorbild sieht? „Die erste Überlieferung einer Trennung von Arbeit und Einkommen findet sich in der Verfassung Spartas“ (S. 21). Er hätte auch noch das Beispiel Roms nennen können, wo ein großer Teil freier Bürger durch eine immens reiche Aristokratie und deren Sklavenwirtschaft zum Nichtstun verurteilt war und deshalb ausgehalten werden musste – freilich unter der Bedingung, über die grellen Missstände zu schweigen und bei entsprechendem Anlass als folgsames Stimmvieh aufzutreten.

Gewiss, auch eine reiche Demokratie könnte sich ein bedingungsloses Grundeinkommen leisten, aber wäre dies ein Gewinn für das demokratische Bewusstsein? Sicher nicht, denn die größte und heute wieder akute Gefahr für jede Demokratie: die zunehmende Spreizung von Einkommen und Vermögen in den Händen einer die Fäden aus dem Hintergrund ziehenden politisch-ökonomischen Oligarchie, wäre dann kein Gesprächsthema mehr. Die Massen werden ja mit Panes und Circenses betäubt! Sicher ist es alles andere als ein Zufall, dass man in den Schriften und Diskussionen rund um das BGE kaum Hinweise auf wachsende soziale Ungerechtigkeit, gefährliche Machtkonzentration etc. findet. Das Fußvolk der BGE-Gläubigen will davon gar nichts wissen! Die Menschheit wird durch das BGE ja mit einem Schlag von sämtlichen Übel erlöst!

3) Mittlerweile liefert auch eine Reihe von Professoren ideologische Munition. Eifrig sind sie um den Nachweis bemüht, dass der Übergang zum neuen System den Staat nicht oder nur unwesentlich teurer käme als das bestehende. Als wenn es darum ginge! Darin liegt von vornherein gar nicht das eigentliche Problem. Dieses besteht vielmehr in der Herkunft der Mittel. Je nachdem ist der Übergang entweder unwahrscheinlich oder wiederum – unmoralisch.

Bittet man die oberen zehn Prozent zur Kasse, bei denen sich Einkommen und Vermögen konzentrieren, so könnte man durchaus die Meinung vertreten, dass damit ein wünschenswerter Einkommens- oder Vermögensausgleich bewirkt wird. Götz Werner, das Haupt der Bewegung, lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass er an eine solche Lösung so wenig denkt wie die Römer vor zwei oder die Spartaner vor zweieinhalbtausend Jahren. Er will vielmehr die Mehrwertsteuer erhöhen, die bekanntlich eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt, da sie die Kleinverdiener am stärksten trifft (im Verhältnis zu ihren Einkommen ist der Konsum bei ihnen am größten).

Damit redet er statt der unwahrscheinlichen Lösung neuerlich der unmoralischen das Wort: Die Benachteiligten unteren 90% (statt der privilegierten oberen 10%) sollen die Mittel für das bedingungslose Grundeinkommen erbringen. In polemischer Zuspitzung hat Sigmar Gabriel dazu gemeint, dass er es einer hart arbeitenden Krankenschwester kaum klar machen könne, warum sie anderen ein bedingungsloses Einkommen finanzieren solle. Dieser Einwand besteht zu Recht (1).

4) Noch aus einem vierten Grund vertreten die Anhänger des BGE eine moralisch unhaltbare Position, deren Verwirklichung weit mehr Unheil als Gutes stiftet. Wir wissen inzwischen, dass es Kindern nicht gut tut, wenn man sie in einer aseptischen Umgebung aufwachsen lässt. Ihr Organismus muss mit Krankheitserregern in Berührung kommen, sonst verkümmert er an der Unfähigkeit, sich zu wehren. Wir wissen auch, dass Eltern ihren Kindern keinen Gefallen tun, wenn sie diese daran hindern, auf Bäume zu klettern, sich auszutoben etc. So gewissenlos es andererseits wäre, sie übermäßigem Risiko auszusetzen, so falsch ist es, sie in ein Gehäuse einzuschließen und sie von jedem Risiko fern zu halten. Ohne das frühzeitige Training in der Meisterung von Risiken ist keine gesunde Entwicklung möglich.

Seit Beginn der Globalisierung während der neunziger Jahre – und in beschleunigtem Tempo seit dem Eintreten der Krise – haben die Risiken für viele Menschen eine unzumutbare Höhe erreicht. Schlecht bezahlte Jobs, die jungen Menschen kaum noch Raum für eigenes Privatleben oder eine Familiengründung erlauben, gehören ebenso zur neuen Realität wie die Tatsache, dass einem zunehmenden Teil der Geringverdiener – zumindest aus statistischer Sicht – der soziale Aufstieg verwehrt bleibt. Dies ist die harte und abstoßende Wirklichkeit, in der wir tatsächlich leben. Ihr setzen die BGE-Gläubigen einen Traum entgegen: den falschen Traum einer perfekten Sicherheit und Risikolosigkeit. Sie wollen die Menschen glauben machen, dass eine kleine Drehung an den administrativen Stellschrauben genügt, um aus der kalten Welt des gegenseitigen Totkonkurrenzierens in das Paradies einer ungestörten Geborgenheit zu gelangen. Das ist ein uneinlösbares und daher unmoralisches Versprechen. Es gehört wenig Verstand dazu, um seine Haltlosigkeit zu begreifen.

Mein Fazit aufgrund dieser vier Einwände fällt daher eindeutig aus: Moralisch ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht zu vertreten. Es gibt kein Menschenrecht auf parasitäres Verhalten. Vor allem der erste der vier genannten Einwände fällt für das BGE vernichtend aus. Allerdings spielen Einwände und überhaupt die Vernunft in der heutigen Diskussion zu dem Thema kaum noch eine Rolle – die Faszination durch eine institutionalisierte Staatsverköstigung auf Kosten der arbeitsbereiten Dummen ist dermaßen groß, dass Moral und Vernunft auf der Strecke bleiben. So ist denn europaweit längst eine Bewegung von Glaubensbrüdern entstanden, die sich durch nichts mehr beirren, geschweige denn durch Argumente erschüttern lassen. Neben all den Sekten, die wir seit langem kennen, den Scientologen, Zeugen Jehovas, Mormonen und Raelians, gibt es nun auch die Sekte der Götzianer – so genannt nach dem Mann an ihrer Spitze, der mit seiner Person zugleich die Rolle eines Hohenpriesters, Gurus und Chefideologen ausfüllt. Die Heilsgewissheit der Jünger und ihres Meisters hält allen Anfechtungen stand, Argumente werden nicht besprochen, sondern vom Grundeinkommen-Archiv routinemäßig geschluckt (so auch dieser Artikel). Noch in Angriffen sieht man eine Bestätigung für die eigene Eminenz! Seht mal, so lautet die Botschaft, an uns prallt alles ab. Unser Glaube ist durch kleinliche Anwürfe nicht zu besiegen..

Sekten rufen bei den einen – vor allem bei denen, die ihnen verfallen sind – größte Hingabe und Begeisterung hervor, während sie bei den anderen Misstrauen provozieren. Man weiß, dass ihre Wirkungen auf die Gesellschaft nicht unbedingt positiv sind. Dieses Misstrauen stellt sich auch gegenüber den Götzianern ein. Skeptisch hätte man schon damals werden sollen, als die Partei der Besserverdienenden, die FDP, ihre Sympathie offen bekundete. Die Besserverdienenden ahnten, dass man den unruhigen Massen mit dem BGE das Maul stopfen könne. Immerhin gibt es in dieser Partei Spezialisten für spätrömische Dekadenz …

Skepsis aber ist vor allem angezeigt, seit die Piraten dieses Projekt auf ihre Fahnen schreiben. Hier haben wir es mit einer Partei zu tun, die sich schon in ihrem Namen ausdrücklich zum Parasiten- und Raubrittertum bekennt. Aus psychologischer Sicht sind die Piraten eine Bewegung der Spätpubertierenden. Wenn junge Menschen einen kostenfreien Zugang zu allen Mitteln der Bildung und Ausbildung verlangen, so ist das eine begreifliche Forderung, die von einem reichen Gemeinwesen umstandslos erfüllt werden sollte. Wird hingegen von Erwachsenen eine Ideologie der Piraterie verfochten, also ein reines Nehmen auf Kosten der Gebenden (wobei die Piraten selbst zu irgendwelchen Gratisleistungen am wenigsten aufgelegt scheinen), dann erhebt man den Egoismus der Einzelnen – diesen Grundsatz eines ungezähmten Kapitalismus – zu einem universalen Prinzip, dem man die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt bedenkenlos opfert. Piraten und Götzianer bilden ein ideales und sozusagen prädestiniertes Gespann: Freiwillig machen sie sich zu Kollaborateuren des neoliberalen Turbokapitalismus. Beide sind nur zu gerne bereit still und den Mund zu halten, wenn man nur ihr Parasitentum als Menschenrecht akzeptiert.

(9.2.2013)

(1) Die Besteuerung des Konsums statt der Arbeit ist eine richtige Idee, nur ist die Mehrwertsteuer keine echte und schon gar keine ökologische Steuer, sondern eine Umsatzbesteuerung der Unternehmen, die von diesen auf die Verbraucher abgewälzt wird. Ihre ökologische Wirkung ist gleich null: Verdient z.B. jemand 100 mal mehr als ein Geringverdiener und verbraucht hundertmal mehr an Energie als dieser, so bezahlt er doch im Verhältnis zu seinem Einkommen exakt denselben Prozentsatz. Daran wird auch dann nichts geändert, wenn der Staat den Geringverdienern eine Pauschale gewährt, welche in etwa den gesamten Mehrwertsteuern entspricht, die für sie beim Konsum eines Mindestlebensstandards anfallen. Eine echte Konsumsteuer muss progressiv und ökologisch sein, hierzu: http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Neuer_Fiskalismus.html.

Gesammelte Aufsätze „Contra Goetzianenses“ unter:

http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Grundeinkommen.html