McKinsey und die Chinesen

Das renommierte Frankfurter Blatt für Deutschland überraschte in der Wirtschaftsrubrik seine Leserschaft, die es gemeinhin eher in einen sanften Dämmerzustand konservativer Beruhigung versetzt, jüngst mit einer erstaunlichen Überschrift. Es hieß dort: McKinsey durchleuchtet Unkultur der Konzerne.

In dieser Zeitung war selten ein allzu kritisches, geschweige denn böses Wort gegen Unternehmer zu lesen, umso mehr Überraschung rief dieser Titel hervor. In der Weihnachtsausgabe 2005, sozusagen als ein Geschenk an alle, die das nächste Jahr mit gesteigerter Wachheit beginnen wollten, ertönte ein weithin hörbarer Trommelwirbel. Von ‚Unkultur’ war die Rede.

Natürlich kann es keinen Kenner wirklich verblüffen, dass McKinsey bei seinen Nachforschungen über Fehlfunktionen moderner Betriebe, irgendwann auch den Unternehmern auf den Pelz rücken musste. Mit ihrem hoch entwickelten detektivischen Gespür hatte diese Firma ja schon so viele Missstände aufgedeckt. Man denke nur, wie erfolgreich sie für die Abschaffung jeder Art von überzähliger Arbeit plädierte. Abteilungen, deren Aufgaben sich überschnitten, mussten selbstverständlich zusammengelegt werden. Abteilungsleiter, die man durch einen Computer ersetzen konnte, mussten natürlich gekündigt werden. Unternehmensteile, die nicht zum Kernbereich gehörten, hatten ausgegliedert zu werden.

Die größte Leistung der Detektive und unbeirrbaren Aufdecker von McKinsey bestand aber zweifellos in dem erfolgreichen Nachweis, dass Arbeiter und Angestellte einer Firma grundsätzlich nur schaden. Die Unternehmen sollten sie nach und nach durch Roboter und Computer ersetzen. Das war nicht in jedem Fall billiger, keineswegs. Maschinen sind ja nicht kostenlos, aber McKinsey konnte überzeugend beweisen, dass Maschinen in jedem Fall fügsamer sind. Sie streiken nicht, also kommen Reibereien mit den Gewerkschaften gar nicht erst auf. Außerdem sind sie Tag und Nacht einsetzbar – ein ebenfalls nicht gering zu veranschlagender Vorteil, und was ihre Zähigkeit und Zuverlässigkeit angeht, so lassen sie selbst Japaner und Chinesen weit hinter sich. McKinsey konnte überdies noch auf eigene Forschung verweisen, wonach es allen bisherigen Beobachtungen zufolge noch niemals Unterschlagungen bei Robotern gab. Maschinen sind hundert Prozent ehrlich, so heißt es in dem Forschungsbericht. Es entfielen auch die Probleme der sprachlichen Kommunikation, Maschinen verstehen einen Engländer ebenso gut wie einen Deutschen oder Afghanen – ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt in einer transnationalen Firma. Last not least hob die Unternehmensberatung hervor, hegen Roboter wie Computer, soweit bisher bekannt, keine Karriereabsichten. Sie sägen nicht am Stuhl anderer Roboter und ermöglichen daher ein ruhiges, sachliches und allgemein stabiles Betriebsklima.

Die aufklärerischen Leistungen McKinseys sind jedem Leser eines Wirtschaftsteils halbwegs informierter Zeitungen bekannt. Jeder Leser war und ist ebenso darauf vorbereitet, dass McKinsey im Dienste der Öffentlichkeit sich auch in Zukunft bemühen wird, deutsche Unternehmen auch noch auf ihre kleinsten Schwächen hin zu durchleuchten. Es geht dabei ja um unser aller Vorteil, nämlich um die Verbilligung der von uns täglich gekauften Waren. Wenn die Gewerkschaften wieder einmal zu Streiks aufrufen, dann werden wir alle geschädigt. Wenn die Arbeiter zum x-ten Male ihre überhöhten Lohnforderungen stellen, dann müssen wir alle bezahlen. Wenn ein Betrieb nicht schlank ist sondern an Fettsüchtigkeit leidet, dann sind wir es, die ihn unfreiwillig mästen. Eine Unternehmensberatung ist also für das Wohl unserer Geldbeutel tätig. Sie betreibt missionarische Arbeit. Sie hilft der Öffentlichkeit dabei, sie von Parasiten aller Art zu befreien.

Umso mehr haben kritische Menschen sich schon seit einiger Zeit darüber gewundert, dass bei McKinsey von allen nur denkbaren Übeln die Rede war, vor allem natürlich von dem Übermaß an Beschäftigten, den vielen überflüssigen Arbeitern und Angestellten, deren Freisetzung der Firma ein echtes Anliegen war. Von einem aber war niemals die Rede, von Unternehmern. Bei all den Sanierungsmaßnahmen blieben die Unternehmer schlicht ausgespart. Vielleicht hatten wir das nur aus einer vordergründigen Ursache verpasst, nämlich weil die renommierte Zeitung für Deutschland dieser Spezies eben gemeinhin mit besonderer Sympathie gegenübersteht. Oder vielleicht sind Unternehmer ja wirklich die einzigen Menschen, die wir getrost als unfehlbar bezeichnen dürfen. Das ist immerhin möglich, aber es hätte dann auch offen gesagt werden müssen. Wie dem auch sei. Niemand wusste so recht, warum eine mit so hohem detektivischen Gespür ausgestattete Agentur nur die Unternehmer von ihren Nachforschungen ausnahm.

Einige von uns begannen sich sogar vorsichtig zu fragen, ob die Firma nicht ein Söldling im Dienste der Unternehmen war, so einseitig war sie bis dato vorgegangen. Doch dieses Misstrauen ist jetzt zerstreut. Mit erleichtertem Aufatmen stellen wir fest, dass wir uns irrten und McKinsey klüger war als wir alle. Die Agentur hat eben nur im Stillen und über Jahre ihr Material zusammen getragen. Bei ihrer Durchleuchtung der Unternehmensspitze sollte sie eben niemand der Leichtfertigkeit oder gar oberflächlichen Analyse bezichtigen können. Jetzt hat sie nach jahrelanger Forschungsbemühung ihre Arbeiten endlich abgeschlossen. Mit den besten Argumenten gewappnet tritt sie vor die Öffentlichkeit hin und spricht rundheraus von der Unkultur der Manager und Unternehmer.

Ein Paukenschlag.

Kommen wir ohne Umschweife zur Sache. McKinsey kann mit Zahlen, Daten und unwiderlegbaren Argumenten beweisen, dass unseren Managern und Unternehmensherren schlicht die Daseinsberechtigung fehlt. Sie sollten auf der Stelle abgeschafft werden. Nicht nur, dass die Herren unserer Konzerne mittlerweile den größten Kostenfaktor und eine nicht mehr zu verantwortende Last darstellen, man muss ihnen noch dazu Ineffizienz vorwerfen, auf jeden Fall aber Ersetzbarkeit. In der Campbellschen Faktoranalyse, die das Humanmaterial eines Betriebes nach Dauerhaftigkeit, Rentabilität, Charakterstärke und Effizienz untersucht, rangieren sie an vorletzter Stelle, eben noch vor den Fensterputzern.

Natürlich weiß McKinsey um die Brisanz dieser Thesen. Man rechnet von vornherein mit ungläubigen bis wütenden Reaktionen. Deswegen werden alle Behauptungen im einzelnen und nacheinander mit vorbildlicher Sorgfalt bewiesen. Zunächst einmal weist McKinsey nachdrücklich darauf hin, dass die Ausbildung zu Unternehmern heute weltweit standardisiert ist und nach allgemein zugänglichen Textbüchern erfolgt. Die Leitung einer großen Organisation erfordere deshalb kein spezielles Wissen, wie es etwa Naturwissenschaftler oder Ingenieure benötigen. Die müssten sich Jahre lang in höchst komplexen und fortwährend wachsenden Teildisziplinen schulen und fortbilden lassen. Kein Elektrotechniker könne als Biogenetiker eine Anstellung finden, kein Biogenetiker als Astrophysiker. Manager hingegen brauchen nur ein Minimum an weltweit zugänglichem bürokratischen Know-how, dann könnten sie ebenso gut eine Firma zur Erzeugung von Büroklammern leiten wie einen Betrieb zur Herstellung von Raketen. Jedes spezielle Wissen vermindere sogar ihre Brauchbarkeit, da sie nur den Experten im Wege ständen. Von Konzernherren verlange man nichts als die Fähigkeit, Ideen der Fachkräfte aufzugreifen, sie durch beratende Gremien zu schicken und als Befehl für etwaige Produktionen an die technischen Abteilungen weiterzuleiten. Der vollkommene Manager darf nichts als eine Drehbühne sein, welche Anregungen von der einen Seite empfängt um sie an die andere weiter zu geben.

Hinhören, weitersagen und in den Hintern treten, so hat der Kommentator der Frankfurter Zeitung den Text wohl nicht ohne feines Gespür für das zwischen den Zeilen noch Ungesagte auf den Nenner gebracht.

McKinsey gelangt nach dieser Analyse wohl auch mit Recht zu dem Schluss, dass hier keine andere Fähigkeit als die der Informationsvermittlung verlangt wird, wozu vielleicht nicht jeder x-beliebige Mensch wohl aber jede halbwegs intelligente Maschine genauso gut in der Lage sei, ja, vermutlich noch wesentlich besser.

Zur Bekräftigung dieser These führt die Beratungsfirma verschiedene Argumente an. Erstens, wird darauf hingewiesen, dass das mittlere Management ohnehin schon weitgehend aus den Betrieben verschwunden sei, und zwar mit Hilfe der allermodernsten Maschinen – der künstlichen Intelligenz. Dort, wo einst hoch bezahlte Abteilungsleiter ihre Untergebenen drangsalierten, walten jetzt Festplatten ihres Amtes, still und verlässlich und ganz ohne die früher üblichen menschlichen Reibereien. Damit sei zunächst einmal für jedermann sichtbar bewiesen, dass Maschinen eine ganze Ebene der Verwaltung mühelos übernehmen. Aber gilt das auch für die höchste Ebene eines Betriebes, für seine Vorstandsetage? Es wäre ja durchaus denkbar, dass zwar die Herren des mittleren Managements ohne Schaden für den Betrieb abgelöst werden können, aber die Spitze sakrosankt und schlechterdings unersetzlich sei.

Gegen dieses immer noch verbreitete Vorurteil fährt McKinsey die schwersten Geschütze auf. Die Berater machen uns zunächst einmal klar, dass in den verschiedensten Entwicklungsländern, z.B. in Südkorea oder Malaysia, Firmen wie Champignons aus dem Boden sprießen. Die Übernahme des technischen Wissens sei für diese Länder oft mühsam und kostspielig gewesen, immerhin musste man dazu erst einmal ein aufwändiges universitäres System ins Leben rufen. Über Biogenetik und Laser Bescheid zu wissen, erfordere ein Mindeststudium von fünf oder noch mehr Jahren. Das sei die große Hürde gewesen, aber alles Weitere lief dann gewissermaßen von selbst. Waren die Fachkräfte erst einmal da, dann konnte man Firmenleiter aus dem Reservoir des einfachen Volkes schöpfen. Sie mussten nur einen derben und gesunden Bereicherungsinstinkt besitzen und ihr Personal zehn Stunden pro Tag oder mehr am Arbeitsplatz festhalten können. Eine gewisse Vertrautheit mit den gängigen Organisationsmodellen westlicher Staaten habe sich zwar als als hilfreich erwiesen, aber sonst würden keine weiteren Spezialkenntnisse verlangt. McKinsey erlaubt sich an dieser Stelle einen Hinweis, der manchen konservativen Leser der Zeitung wohl eher befremden mag. Die Mafia, so heißt es, rekrutiere für die leitenden Stellen ihrer Unternehmen (die oft eine erhebliche transnationale Größe erreichen) die Chefs nicht selten aus analphabetischen Kreisen. Auch diese Tatsache spreche für deren Ersetzbarkeit.

In ihrem Bestreben, uns von ihrem Standpunkt vollends zu überzeugen, schweift die Agentur sogar in die Historie ab. Könne man nicht schon die Bauaufseher, welche die Pharaos vor dreitausend Jahren bei der Errichtung der Pyramiden einsetzten, als Manager großer Bürokratien bezeichnen? Haben wir es nicht hier mit einer der ältesten nicht-spezialisierten, schnell erlernbaren Tätigkeiten des Menschen zu tun? (Im Wesentlichen bestehend aus Hinhören und in den Hintern treten, gibt der Kommentar wieder den eigenen Senf  zum Besten). Diese Aufseher der weltweit größten Bauvorhaben wären heute sicher ebenso imstande, das Volkswagenwerk oder die Deutsche Bank zu verwalten.

Wenn aber die Menschen vor dreitausend Jahren nach denselben Gesetzen funktionierten, dann ist die Evolution an ihnen praktisch vorbeigegangen. Wir können sie ersetzen und sollten es schnellstens tun. McKinsey schließt die Kette seiner Beweise in beinah triumphierendem Ton. Die letzte Aufgabe des Kapitalismus bestehe jetzt darin, dass wir die Chefs wegrationalisieren, um sie durch künstliche Intelligenz zu ersetzen.

Ich muss gestehen, dass mich die Analyse der renommierten Firma bis zu diesem Punkt zwar zu fesseln aber nicht restlos zu überzeugen vermochte. Muss man McKinsey nicht doch ein etwas übertriebenes Vertrauen in die Maschine nachsagen? Ich jedenfalls bin der Ansicht, dass wir das menschliche Element nicht gänzlich beseitigen sollten, oder doch zumindest diesen Prozess nur schrittweise und mit großer Vorsicht in Angriff nehmen. Vielleicht sind einigen nachdenklichen Köpfen der Firma dieselben Bedenken gekommen. Ich nehme an, dass sie deshalb eine weniger radikale Lösung ins Auge fassten. Die Reformvorschläge McKinseys, wie sie der Artikel am Schluss erläutert, ziehen mich durch ihre menschliche Seite an. Sie dürften auf breite Zustimmung stoßen.

Denn als weitere Alternative schlagen die Unternehmensberater eine Ersetzung von Menschen durch Menschen vor, genauer gesagt, eine Ablösung deutscher Vorstände durch Chinesen. Im Grunde ist das nicht einmal aufregend neu. McKinsey hat sich ja auch schon früher aus Gründen der Kostenersparnis für die Auslagerung ausgesprochen. In den vergangenen zwanzig Jahren sind ihrem Rotstift Zehntausende von Arbeitern und Angestellten zum Opfer gefallen, entweder wurden die von den Untenehmen bis dahin verfertigten Waren gleich aus Ostasien bezogen oder die Firma lagerte ein Werk dorthin aus und ließ den eigenen Bedarf von Filipinos oder Chinesen herstellen. Man hatte erkannt, dass die Deutschen zu wenig flexibel sind und dass  überdies  so unentbehrliche Eigenschaften wie Fleiß und Effizienz bei ihnen immer seltener werden. Vor allem aber waren und sind die Deutschen natürlich einfach zu teuer, und zwar um ein Vielfaches. McKinseys Agenten haben sich daher überall für einen beherzten und entschlossenen Kahlschlag ausgesprochen und damit auch wahre Wunder vollbracht. Betraten sie eine Firma, dann wimmelte es dort noch von überflüssigem, kostentreibenden Humanmaterial, kaum aber gingen sie wieder hinaus, dann lag hinter ihnen sozusagen ein frisch gesäubertes Haus. Sie hatten gereinigt und ausgemistet. Die Arbeit wurde erst an Südamerikaner vergeben, dann an Tschechen und Polen, schließlich an Malaysier und Filipinos, und ganz zuletzt, wenn auch diese Leute immer noch nicht auf ein Zwanzigstel oder tiefer mit ihren Löhnen hinuntergingen, blieb sie bei den Chinesen, weil es auf unserem Planeten einfach nichts Billigeres gibt, jedenfalls solange zu den Marsmenschen und sonstigen Wesen auf anderen Sternen noch keine Transportverbindungen bestehen.

Das war ein Rezept, das sich immer aufs Neue bewährte. Es stellte sich heraus, dass niemand so ausdauernd und anspruchslos ist wie die mehr als Tausend Millionen Menschen im fernen Osten unseres Planeten. Jede Firma, die sich beherzt dazu entschloss, den teuren, faulen und wohlstandsverwöhnten Deutschen durch die unermüdlichen, spottbilligen Männer aus dem Reich der Mitte zu ersetzen, sanierte dank McKinseys Rezepten mit einem Schlag ihr Betriebsergebnis.

Das war nicht nur ein voller Erfolg für die von McKinsey beratenen Unternehmen sondern ebenso auch für McKinsey selbst. Allerdings nur für eine begrenzte Zeit, denn das Rezept war so simpel gestrickt, dass die Firmen bald keine fremden Berater mehr brauchten. Irgendwann hatten auch betonköpfige  Firmenchefs das Prinzip begriffen und waren dann durchaus imstande, es ohne kostenpflichtige Anleitung ganz aus eigener Kraft anzuwenden. Anders gesagt, die Ratgeber wurden überflüssig. Sie hatten sich selbst überflüssig gemacht – eine traurige Situation für McKinsey. In diesem Augenblick kam einem der fähigsten Mitarbeiter jene Eingebung, die nun so gewaltiges Aufsehen in ganz Deutschland erregt.

Laut glaubhafter Darstellung in der Zeitung für Deutschland hat sich die Entdeckung etwa folgendermaßen abgespielt. Einer der Mitarbeiter hatte gerade auf Kreativphase geschaltet, und dabei stürzten der Reihe nach die folgenden Einsichten auf ihn ein.

Erstens, wir haben die Unternehmen verschlankt, indem wir die Menschen aus ihnen vertrieben. Ein Chinese arbeitet für gleiches Geld so lange wie 20 bis 50 Deutsche. Das erlaubt uns, den Kostenfaktor deutscher Betriebe mit der Zeit bis auf ein Fünfzigstel zu reduzieren.

Zweitens, ein Chef bekommt für seine weit weniger anstrengende und nach eigener Aussage sehr viel befriedigendere Arbeit (denn der Chef würde niemals die Arbeit eines Angestellten, aber die Angestellten liebend gern die Aufgaben ihres Chefs übernehmen) viel mehr bezahlt. Er bekommt 300-mal soviel Gehalt wie ein Angestellter!

Drittens – und hier liegt der wirklich geniale Durchbruch, bei dem es dem Mann von McKinsey wie Schauer über den Rücken lief – könnte man also… Er nahm den Rechner zu Hand. Man könnte für einen Angestellten  fünfzig und für den Chef  50 mal 300 Chinesen anstellen!! Der Mann blickte auf seinen Rechner und traute den eigenen Augen nicht.

Denn viertens, sind das insgesamt 15 000 (in Worten fünfzehntausend) Chinesen. Soviel kostet uns ein einziger Manager. Er war so erregt, dass diese Erkenntnis lautstark aus ihm herausbrach. Die ganze Abteilung dreht die Köpfe.

Ich nehme an, dass Prometheus, als er das Feuer, und Edison, als er die Glühbirne erfand, kein intensiveres Gefühl des Triumphes empfand als unser Mann bei McKinsey. Hier war es tatsächlich einem kleinen Angestellten gelungen, die größte Sparmaßnahme seit Beginn der industriellen Revolution zu entdecken.

Nieder mit den ineffizienten, kostenverschlingenden, wettbewerbsverzerrenden Chefs, schrie der Mann, und wir verstehen seine Erregung. Auch die Zeitung für Deutschland, die sich wie keine andere für die Sanierung der deutschen Politik und Ökonomie einsetzt, verstand sie. Sie widmete dieser Erfindung mehrere Seiten und eine fettschwarze Überschrift.

Aber die Widerstände sind groß. Das weiß die Zeitung. Können wir unsere Chefs wirklich so einfach durch Chinesen ersetzen? Gewiss, sagen sie bei McKinseys. Schon seit langem stellen chinesische Arbeiter und Arbeiterinnen elektronische Bausteine mit viel wendigeren Fingern her als die gröber gebauten Teutonen. Dieselben akrobatischen Fähigkeiten, die wir an ihnen im Zirkus bewundern, bringen sie auch in die alltägliche Arbeit ein. Und als völlig gleichwertige wenn nicht gar überlegene Menschen zeigen sie sich nicht nur bei der Herstellung von Videogeräten sondern eben auch an der Spitze der Unternehmen. Innerhalb von nur zwanzig Jahren haben diese immens fleißigen und tüchtigen Menschen dieselbe Aufbauleistung vollbracht wie die Deutschen in einem ganzen Jahrhundert. Aus diesem Zahlenverhältnis könne man schließen – so die weitere Beweisführung der scharfsinnigen Forscher McKinseys – dass die Chefs dort wenigstens fünf Mal fähiger sind als die Deutschen. Zieht man dann noch zusätzlich in Betracht, dass in Deutschland schon seit Jahren die Unternehmen schrumpfen statt wachsen, die deutschen Banken von fremder Übernahme gefährdet sind, während das alles in China in kräftiger Frische hervorwächst, dann müsste es auch einem verstockten Nationalisten vollkommen klar sein, dass ein Neuanfang für unsere Wirtschaft nur möglich ist, wenn wir unsere unfähigen Chefs durch die begabten Manager aus dem Reich der Mitte ersetzen. Hier liegt für die Deutschen das größte Sparpotential. Hier liegt unsere Zukunftschance. Vor den Chefs sind wir bisher zurückgeschreckt, als wären sie eine besondere Klasse von Menschen. Das war ein unwirtschaftlicher Fehler, der uns teuer zu stehen kam. Holen wir die Chinesen ins Land!