Prof. Franz Hörmann – ein Fall von Fachblindheit mit finaler Geistesverwirrung

(auch erschienen in: fbkfinanzwirtschaft und "scharf-links")

Geld schafft Verwirrung, weil es einen Schleier über die Realwirtschaft wirft. Überall wo Schleier sich über die Dinge legen, kann tiefe Verwirrung, Rätsel, Verdächtigung, esoterische Fantasterei aufkommen. So gerade und vor allem auch beim Geld, das manchem als eines der größten Alltagsrätsel erscheint. Kein Wunder, dass sich in einer Zeit der Krise die wildesten Spekulationen um seine Natur und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Missbrauchs ergeben.

Nicht zufällig erlebt die Verschwörungstheorie von einer kriminellen Geldschöpfung aus dem Nichts gerade heute Hochkonjunktur. Sie bietet eine einfache Erklärung für ein reales Gespenst: den Niedergang unserer Wirtschaft. Sind solche Fantastereien erst einmal im Umlauf, dann bringen sie auch stets die dazugehörigen Propagandisten hervor: Esoteriker, Apokalyptiker und sonstige eher seltsame Figuren, die eine seriöse Wissenschaft noch vor zehn oder zwanzig Jahren als Spinner belächelt hatte, deren lautes Schreien aber heute niemand mehr überhören kann. An vorderster Stelle steht hier Prof. Franz Hörmann, nach eigenem Bekunden ein Genie. Das darf man wohl sagen, denn in seinem zusammen mit Otmar Pregetter geschriebenen Buch „Das Ende des Geldes“ erklärt dieser Mann in gewaltigen Rundumschlägen seine Gegner und die Mehrheit der Wissenschaftler unumwunden zu Trotteln. (1)

Überall schießen kleine Hörmänner aus dem Boden

Mancher mag es als unter seiner Würde erachten, sich – wenn überhaupt – anders als satirisch zu den weitgehend abstrusen Vorstellungen zu äußern, wie sie im „Ende des Geldes“ zu finden sind. Aber solche vornehme Zurückhaltung ist nicht länger angebracht, denn inzwischen beginnen die Wirren der Zeit auch viele bis dahin solide Köpfe zu desorientieren. Nicht nur ein Blick in das Internet, sondern selbst in durchaus ernst zu nehmende wissenschaftliche Publikationen genügt, um die Richtigkeit dieser Beobachtung zu erhärten. Die ganze Dramatik der Situation wird auf unheimliche Weise dadurch beleuchtet, dass die Saat der Geld-Esoterik inzwischen sogar dort aufgeht, wo man das am wenigsten vermutet: hinter den scheinbar uneinnehmbaren Festungsmauern der Deutschen Bundesbank. Auch dort findet man mindestens zwei Publikationen, in denen von einer Geldschöpfung aus dem Nichts durch Geschäftsbanken die Rede ist, und zwar ohne jedes einschränkende Wenn und Aber. Mit anderen Worten, nicht nur Spinner, sondern sogar Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank trauen den Geschäftsbanken kriminelles – ja, eindeutig kriminelles (2) – Verhalten zu!

Auch wenn Kenner sich dadurch nicht beirren lassen, den Laien müssen derartige Äußerungen verwirren und stutzig machen. Wer, so fragt er zu Recht, hätte ein größeres Interesse daran, solche Praktiken zu vertuschen (angenommen, es gäbe sie wirklich) als gerade die Bundesbank? Wenn selbst der Heilige Gral des Geldes seinen Segen zu derartigen Vorstellungen erteilt, dann muss doch wohl etwas dran sein. Kann man dem Laien verargen, dass sich sein Misstrauen nun eher gegen diejenigen richtet, die solche Geldschöpfung leugnen? Kann man ihm verdenken, wenn er nun seinerseits dem Irrglauben verfällt, dass das wirkliche und größte Übel unserer gegenwärtigen Ökonomie im Geldbereich liege, weil die Geschäftsbanken nach Belieben Geld schöpfen können?

Den Schleier wegreißen!

Geld ist ein Schleier über der Wirtschaft. Wir werden der Wahrheit nur dann näher kommen, wenn wir hinter den Schleier blicken. Denn dieser vermag die reale Ökonomie wie ein undurchdringlicher Nebel zu verdecken. Ich werde im Folgenden Volkswirtschaft in statu nascendi erklären, indem ich in wenigen Sätzen skizziere, wie eine Naturalwirtschaft die Verteilung von Überschüssen organisiert, bevor sie zur Marktwirtschaft wird, die dann das Geld einführt und schließlich auch das Gegenstück zu unseren modernen Geschäftsbanken. Ich hoffe diese Erklärung so einfach halten zu können, dass jedes Kind sie versteht. Erst dann beleuchte ich die Zustände in unserer eigenen wesentlich komplexeren Wirklichkeit.

Fangen wir also bei einer Wirtschaft an, die noch weitgehend ohne den Gebrauch von Geld auskommen konnte, zum Beispiel bei der ägyptischen.

Die Bauern liefern ihren Nahrungsüberschuss an die Naturalien-Banken

Durch strenge Gesetze sorgte der Pharao dafür, dass die Getreide- und Gemüsebauern seines Landes, erstens, mehr an Nahrung produzierten als sie für den Eigenbedarf brauchten, und, zweitens, dass sie diesen Überschuss an Depots weitergaben, nennen wir sie Naturalien-Banken, die dabei als Zwischenstation fungierten. Diesen Banken entstammten sämtliche Nahrungsmittel, mit denen außer Hof und Priestern auch die Fronbauern, also jene Zwangsarbeiter, erhalten wurden, welche die Pyramiden und andere Bauwerke des Landes für den Pharao erbauten. Die Banken dienten mithin als Zwischenlager für die produzierten Überschüsse der Fellachen, um diese dann an den Hof und für Verpflegung der Fronbauern weiterzuleiten. Kein vernünftiger Mensch würde behaupten, dass auch nur ein Korn zusätzlichen Getreides in diesen Banken aus dem Nichts geschöpft und gezaubert wurde. So groß wie der auf Geheiß des Pharao konfiszierte Überschuss, genauso groß war im besten Fall auch die Menge der anschließend weitergegebenen Nahrungsmittel. Im besten Fall! Tatsächlich fiel ein bedeutender Teil davon den Ratten, Räubern und korrupten Beamten zum Opfer.

Der Übergang zu einer Marktwirtschaft

Nun stellen wir uns vor, dass der Pharao gestürzt und der Überschuss der Bauern nicht länger zum Bau von Pyramiden verwendet wird, die zwar schön sind, aber den Wohlstand der Bevölkerung nur vermindern statt ihn produktiv zu vermehren. Der Produktionsüberschuss wird also nicht länger von den Bauern in Gestalt einer Steuer eingezogen, sondern diese dürfen ihn nach eigenem Gutdünken verwenden. Eine freie Marktwirtschaft ist entstanden. Die Bauern geben zwar weiterhin ihren Überschuss an die Depots ab, aber natürlich nicht als Geschenk – in diesem Fall würden sie augenblicklich damit aufhören, mehr zu produzieren als für den Eigenbedarf nötig ist. Nein, sie bringen den Überschuss nun deswegen zur Bank, um ihn dann irgendwann später, nämlich in Alter und Krankheit, wieder in gleicher Höhe – oder sogar um Naturalienzinsen vermehrt – wieder abholen zu können. Da es aber, zumal zu jener Zeit, völlig unmöglich war, Nahrungsmittel zehn oder noch mehr Jahre zu lagern, musste die Bank diesen Überschuss zunächst einmal an andere weiterreichen. Diese anderen leihen ihn also aus, um während der Arbeit an Unternehmungen, womit sie den Wohlstand fördern (also Kanal-, Straßen- und Brückenarbeiten oder wichtigen technischen Neuerungen) damit ernährt zu werden. Nach Fertigstellung der betreffenden Arbeiten haben sie die Nahrungsbasis durch erhöhte Produktivität oder quantitative Ausweitung so stark vergrößert, dass sie die einst von der Bank als Kredit entliehenen Nahrungsmittel dann in voller Höhe oder sogar darüber hinaus an die Sparer zurückzahlen können!

Auch nach dem Aufkommen dieses marktwirtschaftlichen Systems wird kein vernünftiger Mensch behaupten, dass die Naturalien-Bank, welche zwischen den Naturaliengebern und den Naturaliennehmern vermittelt, auch nur ein einziges Getreidekorn aus dem Nichts geschöpft habe. Im Gegenteil, wieder sind Überschüsse eher verrottet, gestohlen oder anderweitig vermindert worden. Verleihungen setzen Ersparnisse voraus, und beide können nie aus dem Nichts entstehen. Sie müssen auf den Feldern mit harter Arbeit erwirtschaftet werden.

Nach der Naturalien- kommt die Geldwirtschaft

Doch kaum ist das Geld da und aus der Naturalien-Bank eine Geldbank geworden, fängt die Verwirrung an – und diese Verwirrung machen sich die Geld-Esoteriker weidlich zunutze.

Bleiben wir also bei unserem Beispiel und bringen nunmehr das Geld ins Spiel. Dann wird aus der Naturalienökonomie eine auf Geld begründete Marktwirtschaft. Die ägyptischen Bauern liefern ihren Überschuss nicht länger beim Bankdepot ab, sondern sie verkaufen ihn gegen Geld an Händler, die ihn ihrerseits mit einem leichten Aufschlag für ihre eigene Tätigkeit an die Depots weiterreichen. Statt über einen Naturalienüberschuss verfügen die Bauern jetzt über einen gleichwertigen Geldüberschuss. Diesen können sie für einen Konsum jenseits des bisherigen Eigenbedarfs verwenden oder für ihre Alters- und Notfürsorge. In diesem Fall geben sie genauso vor, wie sie es vorher mit den Naturalien taten, nur geben sie jetzt das für die Naturalien erhaltene Geld an technische Ingenieure etc. weiter, jedoch mit der Auflage, dass diese ihnen in Zukunft nicht Naturalien (mit oder ohne Zinsen), sondern einen entsprechenden Geldwert zurückerstatten. Das Geld stellt hier also nichts anderes dar als eine sich den realen Vorgängen überlagernde Paralleldimension. Der Umlauf der realen Güter wird von einem Umlauf wertgleichen Geldes begleitet. Wiederum kommt es allein auf die erwirtschafteten Überschüsse an. Denn das Geld, das den Umlauf der Güter begleitet, fügt diesen nicht ein einziges Hirsekorn und nicht eine einzige Salatpflanze hinzu. Das Geld nimmt aber auch nichts von diesen weg, sofern das Verhältnis von umlaufender Geld- zu umlaufender Gütermenge sich nicht verändert.

An dieser Stelle kommt die Geschäftsbank ins Spiel

An dieser Stelle drängt sich jedoch eine weitere Neuerung auf. Es ist abzusehen, dass die Bauern ebenso wie die technischen Ingenieure weit überfordert sind, wenn sie sie sich in einer komplexen Gesellschaft – die einen als Überschussanbieter (also als Sparer) und die anderen als Überschussempfänger (also als Kreditnehmer) – gegenseitig aufsuchen und ausfindig machen sollen. Mit anderen Worten, die Entstehung einer Agentur – will heißen, einer Geld- oder Geschäftsbank -, deren spezielle Aufgabe genau in der Vermittlung zwischen Sparern und Kreditnehmen liegt, wird nach kurzer Zeit eine ebenso unabweisbare Notwendigkeit sein wie die Entstehung von Wohnungs- oder Reiseagenturen. Der Bauer bringt das Geld, das er für seine Überschüsse erhielt, als Ersparnis auf eine Bank, die diese ihrerseits an jene Menschen verleiht, die sich für diesen Kredit die in den Depots aufbewahrten Überschüsse an Nahrung kaufen. So in ihrer physischen Existenz gesichert, können sie sich dann jenen Kanal-, Straßen-, Brückenbauten und technischen Erfindungen widmen, mit denen sie die Nahrungsbasis derart erweitern, dass aus diesem Wirtschaftwachstum dann einige Jahre später die entliehene Nahrungsmenge unter Umständen mit deutlichen Plus zurückgezahlt werden kann.

Ecce Homo – und jetzt meldet sich Hörmann

An diesem Punkt schlägt der Wiener Professor zu, hier tritt er mit der ganzen Wucht des Propheten auf, der ein überkommenes Weltbild zerschlagen will. Man beachte, dieser Mann ist Spezialist für Rechnungswesen und kennt sich daher in doppelter Buchführung aus. Das ist sein eigentliches Fachgebiet! Er behauptet nicht mehr und nicht weniger, als dass eine Bank aufgrund von technischen Eigentümlichkeiten der überkommenen Buchführung schlechterdings unfähig sei, die zuvor beschriebene Aufgabe zu erfüllen. (3) Ich muss einräumen, dass ich von Bilanzen und doppelter Buchführung nicht mehr als jeder Laie verstehe. Aber ich glaube etwas von den mentalen Turbulenzen zu ahnen, für die der Kopf eines Fachmanns weit eher anfällig ist als der gesunde Menschenverstand. Mit einem berühmten Paradoxon glaubte Zenon von Elea beweisen zu können, dass Achill die Schildkröte nie einholen würde. Das sei logisch unmöglich. Der griechische Philosoph war sich natürlich bewusst, nur ein Paradox auszusprechen. Er wollte sich ja keinesfalls selbst lächerlich machen. Nicht so Franz Hörmann. Wer glaubt, dass der suspendierte Professor uns auch nur mit paradoxer Logik verblüffen will, der irrt sich. Er behauptet in vollem Ernst, dass Geschäftsbanken niemals Ersparnisse als Kredite weiterreichen! Als Fachmann für Rechnungswesen glaubt er das unwiderleglich bewiesen zu haben. Ihm zufolge können Geschäftsbanken immer nur selbst erschaffenes Geld verleihen, also Geld, das sie aus dem Nichts geschöpft haben.

Wenn ein Fachmann mental auf Abwege gerät

Er selbst nicht zu ahnen, was er da von sich gibt. Da Bilanzzahlen sich nichts daraus machen, ob sich hinter ihnen Goldstücke, Papierscheine, Getreidescheffel, Wohnungen oder Reiseangebote verbergen, könnte er nicht nur, sondern er müsste sogar, im selben Atemzug auch noch behaupten, dass Wohnungsmakler keine Wohnungen zwischen Anbietern und Kunden vermitteln, sondern Wohnungen grundsätzlich aus dem Nichts geschöpft werden. Er müsste behaupten, dass Reiseagenturen grundsätzlich nicht Offerten mit einem Aufschlag an Kunden vermitteln, sondern dass die Flugzeuge und Hotels ihres Angebotes ex nihilo entstehen, weil die Regeln der Bilanzierung jede andere Möglichkeit logisch verbieten. Man könnte die Reihe der Absurditäten beliebig ergänzen.

Ein Blick hinter den Schleier und die Pseudotheorien entlarven sich selbst

Wir wissen aus Erfahrung, dass Achill die Schildkröte jederzeit einzuholen vermag, und wir wissen, dass jede Gesellschaft allein dadurch wächst, dass sie reale Überschüsse an Menschen als Investitionsmittel verleiht, die daraus einen größeren Wert erzeugen. (4) Reale Überschüsse bringen auf diese Weise noch größere reale Überschüsse hervor, erst im Agrar- und dann in allen übrigen Bereichen: Darin liegt das Geheimnis moderner Gesellschaften. Und eines ist dabei für jeden klar denkenden Menschen selbstverständlich. Solche realen Überschüsse mussten immer hart erwirtschaftet werden. Nie wurden sie aus dem Nichts geschöpft.

Also keine Manipulationen im Geldbereich?

Das will ich damit durchaus nicht behaupten. Der Schleier aus einer parallelen Geldbewegung bringt neue Anfälligkeiten und Gefahren hervor. Soviel ist unzweifelhaft richtig. An diesem Punkt berührt sich der Irrwitz der Geld-Esoteriker mit dem nüchternen Denken einiger Volkswirtschaftler, die eine Geldschöpfung aus dem Nichts ebenso für möglich erachten wie zumindest zwei Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank. Nicht weil die doppelte Buchführung die Weiterleitung von Ersparnissen verbiete und deswegen nur eine Geldschöpfung aus dem Nichts in Frage käme. Eine derart abwegige Behauptung scheint in der ganzen Literatur zum Geldschöpfungsthema einzigartig zu sein. Sondern aus einem anderen und durchaus nahe liegenden Grund. Jeder weiß, dass man die umlaufende Geldmenge manipulieren kann, am leichtesten, wenn es sich um Geld ohne eigenen Wert, z.B. um Papier- oder gar Buchgeld handelt. Der einfachste und historisch älteste Fall besteht in der Fälschung von Geld.

Gefälschtes Geld schafft niemals Werte, es vernichtet sie nur

Angenommen, ein feindlicher Staat würde zum umlaufenden Geld zehn Prozent Falschgeld einschleusen, dessen Existenz erst Jahre später bekannt wird, so würden die Einschleuser selbst zwar Werte für sich in Anspruch nehmen: Sie würden ja mit dem Geld ungehindert einkaufen können. Aber zur gleichen Zeit übt ihr Handeln eine tiefgreifende Wirkung auf den Rest der Bevölkerung aus: Sie entwerten den gesamten Geldbestand um zehn Prozent. Natürlich schaffen sie dadurch keine zusätzlichen Werte, keine realen Überschüsse. Vielmehr eignen sie sich nur unrechtmäßig einen Teil der bestehenden Realwerte an und nehmen dem Rest der Bevölkerung durch Geldentwertung zehn Prozent eben dieser Realwerte weg.

Dies ist ein so gravierender Eingriff in die Eigentumsrechte, dass jeder Staat schon in der Antike eine große Zahl von Spezialisten damit beschäftigte, Fälle von Geldfälschung, also Geldschöpfung aus dem Nichts, möglichst sofort aufzudecken. Wer eines solchen Verbrechens überführt werden konnte, landete für Jahre hinter Gittern oder wurde sogar mit dem Tode bestraft.

Verbrechen: Erst die kleinen Fälscher, dann die Geschäftsbanken?

Kurioserweise behaupten nun nicht nur Geld-Esoteriker, sondern auch einige ernst zu nehmende Ökonomen, dass diese Geldfälschung und die dadurch bewirkte Enteignung der Bürger im großen Maßstab von Geschäftsbanken betrieben werde, und zwar ohne dass Staat und Gesellschaft es bisher nötig fanden, ihr kriminelles Treiben auch nur zu beachten. So heißt es in der Bundesbank-Broschüre „Geld und Geldpolitik“ von 2007 zur sogenannten Multiplen Kredit- oder Giralgeldschöpfung (in der Bundesbankbroschüre und analog in Wikipedia auch aktive Geldschöpfung genannt (5)):

„Der Geldschöpfungsprozess [durch Multiple Giralgeldschöpfung] erscheint … wie Zauberei: Die Banken schöpfen anscheinend selbst Geld, ohne die Deutsche Bundesbank nötig zu haben. Einer höheren Forderung an die Nichtbanken stehen höhere Einlagen derselben gegenüber: Die Geldmenge ist gewachsen.“

Der betreffende Mitarbeiter der Bundesbank hat die Multiple Giralgeldschöpfung schlicht nicht durchschaut – eine Tatsache, die sich auch in der zögernden Formulierung „anscheinend“ bekundet. Tatsächlich wird die Geldmenge nicht um einen einzigen Euro ausgeweitet, sondern es steigen lediglich Guthaben und Schulden. (6) Freilich, wenn man Guthaben und Schulden selbst als Geld betrachtet, wie es der Autor dieser Zeilen offenbar tut, dann ist die Geldmenge gewachsen. Aber hier handelt es sich durchaus nicht um Geldschöpfung aus dem Nichts, denn den höheren Forderungen stehen ja entsprechend höhere Einlagen gegenüber. Mittlerweile scheint die Bundesbank selbst diesen Irrtum aufgegeben zu haben, denn er ist in ihren Broschüren seitdem nicht mehr aufgetaucht.

Jüngeren Datums ist dagegen eine neuere Stellungnahme ebenfalls von Seiten der Bundesbank. Sie ist in der „Geld und Geldpolitik“ aus dem Jahre 2010 nachzulesen (hier handelt es sich um einen Ableger der Fisherschen Geldschöpfungstheorie (7):

Wenn eine Geschäftsbank einen Kredit gewährt, finanziert sie diesen in einem ersten Schritt dadurch, dass sie – wie oben beschrieben – den entsprechenden Betrag an Giralgeld selbst schafft.

Diese Behauptung scheint auf den ersten Blick reiner Hörmann zu sein. Nur dass sie sich in Wahrheit auch in einem ganz anderen Sinn auffassen lässt. Darauf deutet zumindest der Zusatz hin, dass die Geschäftsbank den Kredit „in einem ersten Schritt“ selbst finanziere. Damit wäre nämlich nur die reichlich banale Wahrheit ausgesprochen, dass der Bankbeamte – zumal in großen Banken – nicht bei jeder Kreditvergabe vorher nachfragen wird, ob im gleichen Moment auch genügend Einlagen vorrätig sind. Er geht von einem bestimmten Tagesbetrag solcher Einzahlungen aus, und wird deshalb die erbetenen Kredite zunächst einfach als Zahl in die Bilanz eintragen – zumindest dann, wenn die ihm bekannte durchschnittliche Höhe täglicher Einzahlungen durch den gewährten Kredit nicht allzu weit überschritten wird. Sollte sich dann in den folgenden Tagen erweisen, dass die zugesagten Kredite die Summe der Einlagen übertreffen, dann ist das immer noch leicht zu verschmerzen, da die Bank ihre Kreditvergabe ja an den nächsten Tagen entsprechend drosseln kann. Es stimmt also, dass der Bankbeamte den gewährten Kredit, sagen wir einen kleinen Kredit von 10 000 Euro – momentan aus dem Nichts schöpft, weil er nicht nachschauen muss, ob eine entsprechende Einlage vorher erfolgte oder ob gar tausend Euro bar in der Kasse liegen. (8)

Ich hege den Verdacht, dass die ganze Hörmannsche Geistesverwirrung in dieser Banalität ihren Ursprung hat. Aus der durchaus zutreffenden, aber trivialen Beobachtung, dass Bankbeamte momentan einen Kredit als bloße Zahl im Konto eines Kreditnehmers eintragen und den Betrag in diesem stark eingeschränkten Sinn für eine kurze Zeit aus dem Nichts schöpfen können, leitet der Professor die tollkühne Behauptung ab, dass alle Kreditvergabe grundsätzlich keine Einlagen voraussetzt. Geschäftsbanken würden alles für Kredite benötigte Geld nach Belieben aus dem Nichts schöpfen können.

Warum schweigen Staat und Öffentlichkeit?

Würde ein Mitarbeiter der Bundesbank so etwas allen Ernstes behaupten, dann müsste er sich im selben Augenblick fragen, ob denn die Bundesbank auch nur einen einzigen Tag zu einem solchen Geschehen schweigen dürfte? „Wie“, fragt der Laie, „ein kleiner Geldfälscher bringt ein paar Blüten in Umlauf und verschwindet dafür ein Jahrzehnt hinter Gittern, und jede Geschäftsbank schöpft in einem fort Geld aus dem Nichts und niemand hält es für notwendig, sich darum auch nur zu kümmern, geschweige denn die Sache vor die Gerichte zu bringen?“ Haben die Geld-Esoteriker Recht, dann dürfte und sollte der Staat die kleinen Fälscherganoven getrost laufen lassen. Sie richten vergleichsweise unbedeutenden Schaden an. Die eigentlichen Verbrecher würden in den normalen Geschäftsbanken sitzen, die unkontrolliert und ungebremst Geld aus dem Nichts kreieren und die Geldmenge viel schlimmer als jede feindliche Macht inflationieren. Wäre auch nur etwas an diesen abstrusen Behauptungen wahr, dann müsste es uns schlicht unbegreiflich erscheinen, dass der Staat nichts gegen dieses Verbrechen tut, ja, dass bis heute in Deutschland nicht einmal Prozesse bekannt sind, in denen man Geschäftsbanken wegen ihres kriminellen Handelns verklagt und ihr Personal wie gemeine Verbrecher hinter Schloss und Regel bringt.

Bilanzverlängerung

Dennoch wird man einräumen können, dass eine Geschäftsbank zu einer derartigen Geldmanipulation theoretisch durchaus imstande ist: Die Deutung des zuvor besprochenen Bundesbankpassus räumt dies ja bereits ein. Man spricht dann von einer „Bilanzverlängerung“. Da wird einfach eine Zahl als Buchgeld hingeschrieben und die bestehende Geldmenge aufgebläht, sofern sie nicht durch Einzahlungen gedeckt ist. Nehmen wir an, sie sei nicht gedeckt. Die Geschäftsbank würde also wirklich nach Belieben Zahlen als Geld kreieren. Diese wären dann ganz und gar aus dem Nichts geschöpft ist, da ihr keine realen Werte entsprechen. Zweifellos kann eine Bank so handeln. Aber wird sie es auch tun? Die Antwort fällt eindeutig aus. Sie wird es ganz gewiss nicht tun, denn die Reaktion der Geschädigten ist von vornherein abzusehen und sie ist unausweichlich.

Die Reaktion auf kriminelle Geldfälschung durch eine Geschäftsbank

Sobald die anderen Banken von einem derartigen Vergehen erfahren, sind sie gezwungen, diese Bank ebenso anzuzeigen wie jeden anderen Fälscher, da sie sich ihnen gegenüber Vorteile verschafft, die sie ihrer eigenen Konkurrenzfähigkeit berauben. Welchen Sinn hat wirtschaftliches Verhalten seriöser Banken, wenn ihre Wettbewerber einfach ungedecktes Geld aus dem Nichts schöpfen können? Sie müssen einen kriminellen Konkurrenten anzeigen. Es geht um nicht weniger als um ihr eigenes Überleben. Von einem möglichen Abscheu gegenüber kriminellen Handlungen ist da noch gar nicht die Rede.

Könnte der Vorgang nicht völlig unbemerkt bleiben?

Nun könnte man allerdings den Einwand erheben, die anderen Banken würden ein solches Tun ja gar nicht bemerken. Keine Bank lasse sich von einer anderen in die Karten blicken. Das ist nicht richtig. Die Sache fliegt notwendig auf. Sofern die kriminelle Bank ihr aus dem Nichts geschöpftes Geld unmittelbar an einen Kreditnehmer weiterreicht, muss sie diesen auf jeden Fall mit Notenbankgeld auszahlen, denn Pseudogeld (eine bloße Zahl) wird in der Realwirtschaft nicht akzeptiert. In diesem Fall kann sie ihr selbst geschaffenes, aus bloßen Zahlen bestehendes Fälschungsgeld also ohnehin nicht verwenden.

Aber natürlich kann die Bank A ihre aus dem Nichts (aus der Bilanzverlängerung) willkürlich produzierten Zahlen als bloße Zahlen an einen Kreditnehmer weiterleiten, der sein Konto bei einer Bank B besitzt. Dann schiebt sie den schwarzen Peter eben zur Bank B hinüber, welche die betreffenden Zahlen als ungedecktes Geld in ihrer Bilanz vorfindet. Doch auch das schützt Bank A nicht vor Entdeckung. Genau um derartiges kriminelles Verhalten auszuschließen, werden die gegenseitigen Abrechnungen zwischen Banken am Ende des Tages in fälschungssicherem Notenbankgeld auf ihrem Zentralbankkonto abgewickelt. Bank B wird von Bank A am Ende des Tages eine Überweisung in fälschungssicherem Notenbankgeld verlangen, die genau der Höhe der vorher auf ihrer Bilanz eingetroffenen Zahlen entspricht. Wenn Bank A nicht in Notenbankgeld zahlen kann, fliegt der Schwindel spätestens in diesem Augenblick auf.

Das Kartell

Allerdings könnten mehrere oder auch alle Geschäftsbanken zusammen ein Kartell ins Leben rufen, so dass keiner die Konkurrenzfähigkeit des anderen herabsetzt, weil alle in gleichem Maße Pseudogeld schaffen. Dieser Fall ist theoretisch denkbar. Er würde sich aber nur in kriminellem Einverständnis mit der Bundesbank durchführen lassen. Darüber habe ich an anderer Stelle gesprochen. (9) Auf jeden Fall würde das von allen gemeinsam geschöpfte Pseudogeld die Geldmenge im Verhältnis zu den umlaufenden Gütern gewaltig aufblähen. Die dadurch bewirkte Inflation müsste dann eine empirisch nachweisbare Tatsache sein. Die tatsächliche Geldentwertung hat in der Bundesrepublik aber während der ersten fünfzig Jahre ihres Bestehens selten mehr als 2 bis 3 Prozent pro Jahr betragen, und dieses Ausmaß vermag die Notenbank restlos mit der jährlichen Ausgabe zusätzlichen Notenbankgelds zu erklären. Wenn Geschäftsbanken, wie von manchen Geld-Esoterikern behauptet, an die 95% des umlaufenden Geldes aus dem Nichts schöpfen würden, wäre längst eine Superinflation eingetreten. Doch davon hat bis heute niemand etwas bemerkt.

Banken sind zusammengebrochen und mussten gerettet werden

Das ist noch nicht alles. So wie der Fälscher sich selbst reich und alle übrigen ärmer macht, würden auch kommerzielle Banken, die scheinbar in hartem Wettbewerb miteinander stehen, in Wahrheit in einem kriminellen Kartell konspirieren, um sich selbst immer reicher und alle Bürger zunehmend ärmer zu machen. Das mag auf Investmentbanken zutreffen, aber es gilt ganz gewiss nicht für die traditionelle Geschäftsbank. Im Gegenteil, gerade weil sie zur Geldschöpfung aus dem Nichts eben nicht fähig sind, mussten viele von ihnen vor dem drohenden Kollaps mit dem Geld der Steuerzahler gerettet werden.

Zieht den Geldschleier weg und blickt auf die Wirklichkeit!

dann wird auf Anhieb klar, dass die Ersparnisse der Bürger heute noch wie zur Zeit der Ägypter eingefrorene Realüberschüsse sind, jenes mehr an Leistung, das sie nicht selbst verbrauchen, sondern anderen zur Verfügung stellen, die damit aufgrund innovativer Ideen den materiellen Wohlstand vermehren. So war es vor dreitausend Jahren, und so ist es noch heute. Gewiss, Geld schafft neue Möglichkeiten des Betrugs – und gewisse Bankensektoren wie Investmentbanken, Hedgefonds und einige andere mehr nehmen diese Möglichkeiten auch ausgiebig wahr. Aber die brave Geschäftsbank ist in ihrer Hauptfunktion (die anderen habe ich hier übergangen) nichts als eine vermittelnde Agentur, welche Überschüsse – nur eben in real gedecktem Geld – von Sparern entgegennimmt und sie an Kreditnehmer weitergibt. Mag das nun bilanztechnisch unmöglich sein – so wie es auch unmöglich sein soll, dass Achilles die Schildkröte jemals einholen wird -, das braucht uns nicht zu kümmern, weil die Wirklichkeit zählt und nicht die abstrusen Vorstellungen eines Herrn Hörmann und seiner nicht minder verwirrten Jünger.

Dieser Artikel ist dritter und letzter Teil einer Tetralogie:

I Multiple Kreditgeldschöpfung (Anm. 6)

II Giralgeldschöpfung nach Irving Fisher (Anm. 2)

III Geldschöpfung aus dem Nichts und die Realwirtschaft (der vorliegende Artikel)

IV Definition und Funktionenbeschreibung des Geldes (Anm. 10)

Appendix: Erklärende Auskunft gegenüber einem Leser, der den Artikel „Giralgeldschöpfung“ in Wikipedia gelesen hatte. Die „passive“ Giralgeldschöpfung besteht lediglich in einer Umschichtung und kommt für die Geldschöpfung aus dem Nichts daher von vornherein nicht in Frage. Die „aktive“ Giralgeldschöpfung ist identisch mit der sogenannten „Multiplen Kreditgeldschöpfung“ und der dabei ins Spiel kommenden Mindestreservenhaltung. Hierbei wird kein einziger Euro geschöpft.

Die für die Geldschöpfungs-Esoteriker einzig interessante Variante, die Fischersche Theorie der Giralgeldschöpfung, die auch mit Mindestreserven argumentiert, behandle ich speziell in meinem Artikel „Die Monetative – sind Banken kriminell?“

1 Das Ende des Geldes. Wien 2011. Und dazu meine Kritik „Die Causa Hörmann-Pregetter

2 Vgl. „Die Monetative – sind Banken kriminell?

3 Hörmann und Pregetter: Das Ende des Geldes. S. 147ff.

4 Das Konzept des Realüberschusses als unabdingbare Grundlage des Sparens und des für Eigentumsgesellschaften charakteristischen Wachstums ist ein Schlüsselbegriff in meinem Buch „Wohlstand und Armut“.

5 Vgl. Wikipedia „Giralgeldschöpfung“. Die dort beschriebene passive Giralgeldschöpfung besteht lediglich in einer Umschichtung, schafft also kein Geld aus dem Nichts.

6 Vgl. Jenner: „Der Mythos der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken“ in: EuroKalypse Now? Es gibt einen Weg aus der Krise. Marburg 2012. Oder auf Englisch: „The Money Multiplier – a dead end of economic theory“.

7 Vgl. „Die Monetative – sind Banken kriminell?

8 Inzwischen – aber das ist eine von der EZB aufgrund der Krise eingeführte Neuerung – kann der Bankbeamte auch ohne jede Rücksicht auf Einlagen Kredite vergeben. Die Bank leiht sich dann echtes Geld von der Notenbank zu einem Zinssatz nahe bei Null. Wenn dieses Geld von der EZB – wie gegenwärtig der Fall – auch dann in die Wirtschaft gepumpt wird, wenn diese keinesfalls wächst, dann inflationiert die Notenbank die Geldmenge wie ein Fälscher und enteignet die Bürger. Die eigentliche Schuld liegt hier nicht bei der Geschäftsbank, die zu diesem Tun von der EZB ermuntert wird, sondern bei der letzteren selbst.

9 Vgl. „Die Monetative – sind Banken kriminell?“

10 „Geld – was es ist und was es sein sollte