Sinn und Unsinn einer Reform des Geldsystems (Anmerkungen zu Silvio Gesell, Helmut Creutz, Bernd Senf)

(auch erschienen in: fbkfinanzwirtschaft)

Dass Außenseiter nicht selten über die wichtigsten Fragen eines Sachgebietes mehr wissen und zu sagen haben als dessen zünftige Vertreter, ist kein Geheimnis, sondern vielfach bewiesene Tatsache. Wissenschaft war daher immer gut beraten, wenn sie über den Tellerrand ihrer eigenen Gemeinde und Vorurteile hinaus auf die Anregungen blickte, die sie von außen empfangen konnte. Wer sich mit der Wirklichkeit befasst, mag sie Natur oder Gesellschaft heißen, sollte zur Kenntnis nehmen, was andere an Bedenkenswertem darüber sagen – ganz gleich, ob sie von Staats wegen (z.B. durch einen Professorentitel) dazu legitimiert worden sind oder nicht. In diesem Sinne hat der Außenseiter Karl Marx unser Wissen über Staat, Ökonomie und Gesellschaft tiefgreifend beeinflusst. Professorale Gesellschafts- und Wirtschaftstheoretiker seiner und späterer Zeiten wie Max Weber und Joseph Schumpeter sind denn auch deutlich von ihm beeinflusst, auch wenn sie sich distanzieren. Wenn andererseits die neoklassische Schulökonomik die Einsichten eines Marx beflissen verdrängte, so als hätte es Das Kapital niemals gegeben, so tat sie das offensichtlich zu ihrem Schaden. Ihre diffizilen Indifferenz-, individuellen Nachfragekurven und Haushaltsoptima bezahlen den hohen Grad an mathematischer Exaktheit mit praktischer Irrelevanz. Die Wirtschaft ist für den Menschen da, aber die Wirtschaftswissenschaft schien oft genug nur noch für die theoretischen Spielereien von Professoren zu existieren.

Die Guru-Pose

Für die großen Geister innerhalb einer Zunft war der Blick über den Tellerrand von jeher selbstverständlich, weil die intensive oder gar leidenschaftliche Beschäftigung mit einem Sachgebiet eben auch größte Neugierde bedeutet – und diese macht sich alle Anregungen zunutze, selbst wenn diese von verdächtiger Seite kommen. Denn jenseits der wissenschaftlichen Zunft tummeln sich viele zwielichtige Gestalten, deren hervorstechendes Merkmal meist darin besteht, dass sich das strenge Denken des Wissenschaftlers mit der religiösen Inbrunst des Gurus verbindet. Davor schreckt der Fachmann wie vor einer ansteckenden Krankheit zurück. Schon Saint Simon, Auguste Comte und nach ihm Karl Marx waren in der Pose des Apostels aufgetreten, bei dem Deutsch-Argentinier Silvio Gesell ist es nicht anders. So wird begreiflich, dass John-Maynard Keynes von einer gewissen Überwindung berichtet, die es ihn gekostet habe, in dessen Schriften hineinzublicken. In den Augen der Wissenschaft war Silvio Gesell mit dem Ruch des Sektenführers behaftet. Keynes war allerdings souverän und ehrlich genug, um offen einzugestehen, dass sich das Wagnis in diesem Fall lohnte. Der Mann sei ernst zu nehmen!

Silvio Gesell

Allerdings. Eine ganze Reihe bemerkenswerter Ideen und Vorschläge gehen auf diesen Kaufmann und Sozialreformer zurück. Ihm wird die Methode zugeschrieben, das Verhältnis von Gütern und Geld an einem repräsentativen Warenkorb zu messen und damit Inflation, Stabilität oder Deflation zu bestimmen. Sein Vorschlag, die Versorgung der Wirtschaft mit Geld direkt von der Notenbank (in seinen Worten vom Währungsamt) vornehmen zu lassen statt wie heute auf dem Umweg über das Geschäftsbankensystem, ist noch immer bedenkenswert, weil der Geldzu- bzw. -abfluss sich dabei auf recht einfache Art mit der Höhe der Steuern verrechnen ließe. Doch mehr als alles andere hat sein Aufruf zur Reform des bestehenden Geldsystems zu seiner Zeit Aufsehen erregt. Gesell wollte das umlaufende Geld mit einer Gebühr belegen (Schwundgeld), um privates Horten zu unterbinden. Damit sollte ein für alle Mal das Übel der Zinsen beseitigt werden und die damit verbundene Bereicherung ohne eigene Leistung.

Der Appell verhallte ungehört

Trotz der lobenden Worte Keynes haben die Ideen Silvio Gesells im Mainstream der ökonomischen Wissenschaften so gut wie keine sichtbare Spur hinterlassen. Die breite Öffentlichkeit hat zwar von Karl Marx gehört, aber von einem Silvio Gesell kennt sie in aller Regel nicht einmal den Namen. Wesentlich dazu beigetragen hat der erwähnte Umstand, dass Erkenntnis und quasi-religiöse Inbrunst sich hier bis heute auf enge Weise vermengen. Die Gesellianer (INWO) sind eine verschworene Gemeinschaft, die das Werk ihres Lehrers wie eine Monstranz und seine Einsichten wie Glaubensartikel verehren. Nach Art aller Sekten versprechen sie sich von deren Verwirklichung nicht weniger als den Anbruch eines kommenden goldenen Zeitalters. Das gilt ganz besonders für die sogenannte Umlaufgebühr – ein für profane Ohren eher nichtssagender Begriff, der aber unter Gesellianern das Dogma aller Dogmen ist und den Gläubigen vom Ungläubigen scheidet. Natürlich reicht dieser Umstand allein völlig aus, um die profunde Abneigung zu erklären, der die Lehre Gesells von Seiten der nüchternen Wissenschaft begegnet.

Helmut Creutz

Missionarisches Auftreten und Sektierertum sind den Gesellianern seit der Zeit ihres Gründers geblieben. Kein Wunder, dass man in diesen Kreisen nicht nur über Geld philosophiert, sondern auch esoterische Anregungen für das persönliche Lebensglück im Handgepäck führt – ein weiterer Grund, warum die Wissenschaft vor dieser Sekte zurückschreckt. Und doch tut sie es zu ihrem Schaden, denn es gibt bemerkenswerte Ausnahmen von der Regel. Helmut Creutz zum Beispiel ist wie der Meteorit eines fernen Sterns unter die Gesellianer geraten. Noch in vorgerücktem Alter hat dieser bemerkenswerte Autodidakt sich mit den Problemen von Geld und Wirtschaft befasst. Mit einer Hartnäckigkeit ohnegleichen hat er die Fakten befragt, vor allem das Zahlenmaterial, das die Deutsche Bundesbank monatlich über das Kreditsystem liefert. Dabei hat Creutz nie die Meinungen anderer unkritisch übernommen – auch wenn es sich um die Äußerungen von Professoren und Autoritäten handelt. Von Anfang an hat er sich ausschließlich auf Fakten und das eigene Urteil verlassen, auch wenn er stets bereit war, auf Einwände einzugehen. In einer Zeit, wo es selbst unter Wissenschaftlern durchaus üblich ist, fertige Meinungen zu übernehmen, wenn nicht gar – manchmal wortwörtlich – von anderen abzuschreiben, zeugt allein diese Selbständigkeit des Urteils, die das ganze Geldsyndrom – sein Hauptwerk – charakterisiert, von der Originalität seines Denkens. Sie ist umso höher einzuschätzen, als man bei Creutz nicht eine Spur des in den Kreisen der Gesellianer üblichen Guru-Gehabes bemerkt. Creutz hat mit norddeutscher Nüchtern- und Gründlichkeit immer nur gesagt, was ihm die Fakten und sein eigenes Denken als unabweisbar nahe legten. Nie hat er es nötig gehabt, seine Aussagen in die Aura des erleuchteten Gurus zu hüllen. Als Außenseiter und Autodidakt steht Helmut Creutz neben der Wissenschaft, und doch ist dieser hartnäckig und leidenschaftlich um die Wahrheit bemühte Mann in höherem Grade Wissenschaftler als viele, die aufgrund ihrer Titel als solche gelten und ihn schon deswegen ignorieren, weil er es nie für nötig befand, sich durch den arkanen Jargon der ökonomischen Wissenschaft bei ihnen anzubiedern. Wenn Creutz sich irrt, dann nicht, weil er die Wahrheit aufgrund von Vorurteilen in seinem Sinne verdreht, sondern weil er aus Fakten und Denken keine besseren Antworten zu gewinnen vermochte.

Bernd Senf

Mit diesem Berliner Wirtschaftsprofessor, der sich in seinen Schriften mit großem Einsatz an Wissen und Scharfsinn darum bemüht, den Gedanken von Silvio Gesell unter seinen Kollegen und in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, geraten wir in ein Fahrwasser ganz anderer Art. Die wissenschaftliche Wahrheitsvermittlung wirft sich das auffällige Sektengewand des Inspirierten und Erleuchteten über. Hier haben wir es mit einem Professor zu tun, den die Aura des Charismas und des Mystizismus umweht – eine Verbindung von Geld und Esoterik, die sich als höchst publikumswirksam erweist! Während der durchschnittliche Ökonom ein Leben zwischen kahlen Seminarräumen fristet, blicken gläubige Schüler und Jünger ehrfurchtsvoll zu dem neuen Zinsapostel und Geldguru auf. Senf bietet seinen Bewunderern mehr als eine blutleere Theorie von Geld und Umlaufsicherung – für die notleidende Menschheit hat er gleich ein vollständiges Glückspaket, bestehend aus den drei folgenden Posten, geschnürt:

1. Geldreform

2. Saharasia und

3. die längst fällige Sprengung unseres Charakterpanzers.

Das Glückspaket eines Wirtschaftsprofessors

Die zünftige Ökonomie hat der Berliner Wirtschaftsprofessor damit weit hinter sich gelassen, aber auch einem Reformer wie Marx läuft er mit Riesenschritten davon. Seiner Meinung nach braucht die Gesellschaft von heute die Umlaufsicherung nach Silvio Gesell, wenn sie den sozialen Frieden verwirklichen will; sie braucht den Ausbruch aus dem Charakterpanzer nach Wilhelm Reich, damit jeder seinen eigenen individuellen Frieden findet; und schließlich braucht sie noch die Rückkehr nach Saharasia gemäß den Vorstellungen von James DeMeo, damit die Menschheit wieder ihre ursprüngliche Unschuld erlangt, die sie nach einer Umweltkatastrophe vor sechstausend Jahren leider verloren habe, denn damals wurde das einst blühende Land zur dürren Wüste der heutigen Sahara. Gewalt – und mit ihr alles Böse auf dieser Welt – wurde, so DeMeo und Senf, erst durch und mit dieser Katastrophe geboren. Vorher gab es das Paradies. Das jedenfalls gehe unzweideutig aus den aus jener Zeit erhaltenen Höhlenzeichnungen hervor, wo niemals Gewalt von Menschen gegen andere Menschen gezeigt wird.

DeMeo und Senf revolutionieren mit dieser Behauptung die wissenschaftliche Anthropologie. Ich halte es nicht für unmöglich, dass sie demnächst auch noch die Zoologie neu erfinden. Sollte Prof. Senf etwa entdecken, dass die Zeichnungen jener Epoche keinerlei Hinweis darauf enthalten, dass die Löwen damals schon Antilopen schlugen, so wird er uns bald triumphierend beweisen, dass die Ahnen der heute so grimmigen Riesenkatzen zu jener Zeit harmlose Vegetarier waren, die sich friedlich von Gras und Karotten ernährten. Das würde das Bild des einstigen Gartens Eden, wo der Löwe ein Streicheltier von Eva und Adam war, natürlich erst richtig vollenden!

Ein weltüberlegener Weiser

Senf ist bekennender Esoteriker, der die Landwirtschaft mit Gesundbeterei durch das Reichsche Orgon revolutionieren möchte und uns überhaupt mit höchst eigenwilligen Vorstellungen für die Verbesserung der Conditio humana überrascht. In den Augen seiner Bewunderer hat er sich damit den Rang eines Gurus und weltüberlegenen Weisen verschafft. Hingegen neigen seine Kritiker eher zu der Befürchtung, der negative Einfluss seiner häufigen Bäder in den trüben Wässern des Unbewiesenen und Unbeweisbaren könnte sich auch auf seine ökonomischen Analysen erstrecken. (1) Dass dem tatsächlich so ist, werde ich unter dem Titel von Denkfehlern an den Hauptthesen der Gesellianer speziell im Hinblick auf Prof. Bernd Senf erläutern. Doch möchte ich gleich zu Anfang betonen, dass nur die übertriebenen (Heils-)Erwartungen, mit denen diese Thesen von den meisten ihrer Anhänger befrachtet werden, aus ihnen wirkliche Fehler machen. Denn sie bergen auch einen wahren und wichtigen Kern, mit dem es sich zu beschäftigen lohnt (vgl. auch http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Bernd_Senf.html).

Die Denkfehler der Gesellianer

Nr. 1: Zu Recht betonen die Anhänger dieser Lehre, dass Geld an und für sich nicht „arbeiten“ könne – keine Geldnote hat jemals in einem Banktresor Junge geworfen. Vielmehr wird Geld (z.B. in Form von Zinsen) stets durch die Arbeit von Menschen geschaffen. Die Vermehrung von Geld geschieht also nicht auf der Ebene des Geldes, sondern reflektiert nur eine zugrundeliegende Vermehrung in der Realwirtschaft. Zehn Prozent Geldzinsen müssen daher immer mit zehn Prozent Realzinsen erwirtschaftet werden, dass heißt mit zehn Prozent zusätzlicher Arbeit. (2) Folgerichtig gelangt die Schulökonomie – ganz wie auch Karl Marx – zu dem Schluss, dass Geld hier nichts als ein Schleier über der Realwirtschaft sei.

Nicht so die Gesellianer. Sie sagen zwar A, aber nicht B. Sie widersprechen sich selbst, wenn sie der Geldwirtschaft nicht nur eine unabhängige Stellung zusprechen, sondern ihr gegenüber der Realwirtschaft sogar einen Vorrang einräumen. Denn nur aufgrund dieser Annahme gelangen sie zu der andernfalls ganz abwegigen Behauptung, dass man mit Änderungen am Geldsystem die reale Wirtschaft verändern könne.

Denkfehler Nr. 2: Zu diesem Schluss kommen sie, weil Geld aufgrund seiner Unverderblichkeit tatsächlich einen Unterschied gegenüber einer Mehrzahl verderblicher Waren aufweist. Ein Bäcker kann nicht darauf warten, dass seine Brötchen irgendwann einen besseren Preis erzielen. Er muss sie noch am selben Tag verkaufen. Der Geldbesitzer hingegen kann Gold oder Scheine solange horten, bis der Zinssatz für ihn stimmt. Dieser Unterschied ist real und nur mit dem Geld verbunden. Er beweist aber nicht, was die Gesellianer damit beweisen wollen, nämlich dass die Sphäre des Geldes grundsätzlich einen Vorrang gegenüber der Sphäre der Waren besäße. Er beweist nur, dass die Akkumulation von Vermögen auch aufgrund einer spezifischen Eigenschaft des Geldes erfolgen kann, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen (wie sie z.B. in China bis vor kurzem noch nicht vorhanden waren, siehe Denkfehler 5; oder wie sie in gesättigten Volkswirtschaften nicht länger vorhanden sind, siehe Denkfehler 6).

Denkfehler Nr. 3: Die Gesellianer glauben mit Eingriffen in die Geldwirtschaft, speziell mit einer Umlaufgebühr, die Vorgänge in der Realwirtschaft steuern zu können. Die Idee einer Umlaufsicherung des Geldes ist (neben der Bodenreform) das Evangelium dieser Bewegung. Von deren Einführung versprechen sie sich eine mindestens so tief reichende Reform der Gesellschaft wie die Marxisten von der Aufhebung des Privateigentums. Denn mit dieser Maßnahme würden die Zinsen ihre Bedeutung verlieren. Die Menschheit wäre schlagartig von einem der größten Übel befreit: der Akkumulation leistungslos erworbener Vermögen. In diesem Punkt haben die Gesellianer ein überzeugendes Argument vorzubringen: Zins und Zinseszins sind ein gewaltiges Übel.

Sie sind auch durchaus im Recht damit, dass das Geld nicht wie im heutigen System mit der Karotte der Zinsen in den Umlauf gelockt werden muss. Genauso wirksam kann man es mit der Peitsche einer Umlaufgebühr aus den Tresoren locken. Doch wenn sie glauben, damit auf die Realwirtschaft zu wirken, dann stellen sie das tatsächliche Verhältnis zwischen Geld- und Realwirtschaft neuerlich auf den Kopf. Innerhalb eines geschlossenen Wirtschaftsraums kann der Geldzins nie über dem Realzins liegen, mit anderen Worten kann ich mein Geld nie zu einem höheren Preis verleihen, als das beste Unternehmen mit Hilfe dieses Geldes real erwirtschaften kann. Die Realwirtschaft legt daher die Geldgrößen fest und nicht etwa umgekehrt.

Andererseits kann der Geldzins zwar durch eine Umlaufgebühr gegen Null gedrückt werden, aber die verschiedenen Manifestationen des Realzinses, z.B. Mieten, Gewinn, Dividenden, lassen sich nicht von der Geldsphäre her manipulieren. Nur innerhalb der Realsphäre selbst können diese gebändigt werden, am wirksamsten immer durch eine Bekämpfung von Oligo- und Monopolen. Nur ein idealer Wettbewerb unter Hausbesitzern, Hausbauern und deren Zulieferern vermag die Mieten zu drücken!

Wenn die Jünger Gesells sich von einer Reform des Geldsystems ein Ende der geldzinsbewirkten Akkumulation der Vermögen versprechen, dann ist ihnen in diesem Punkt zuzustimmen. Und es trifft auch zu, dass dies eine großartige Errungenschaft wäre! Aber ihre Erwartungen erfüllen sich ausschließlich für das Geldsystem selbst – nicht darüber hinaus. Der Realzins bleibt davon unbeeinflusst.

Denkfehler Nr. 4: Der eigentliche Fehler der Gesellianer liegt mithin darin, dass sie ihren Blick ausschließlich auf die Geldsphäre richten. In Deutschland spielt die Bankenwirtschaft tatsächlich eine sehr große Rolle, noch vor wenigen Jahrzehnten haben die Bürger ihr Erspartes fast ausschließlich zur Bank gebracht. Die wenigstens haben damit Aktien und andere Wertpapiere erworben. Es bedarf aber keiner besonderen Fantasie, um sich eine reine Börsenwirtschaft vorzustellen, wo das gesamte Sparvolumen statt zu den Banken in die Börsen getragen wird und den Menschen dann ausschließlich Dividende statt Zinsen beschert. (3) An die Stelle von Zinseszinsen würden dann Dividendendividenden treten – die Bereicherung würde auf analoge Weise erfolgen. (4)

Denkfehler Nr. 5: Die Gesellianer gehen davon aus, dass die Einführung einer Umlaufgebühr grundsätzlich heilsam auf die Wirtschaft wirken würde. Doch das ist ein Irrtum. In Zeiten eines stürmischen Wirtschaftswachstums (wie etwa in Schwellenländern) ist eine Umlaufgebühr nur ein lästiges Hindernis. In den staatlich beaufsichtigten Banken Festlandchinas wurde der Zins ohnehin nahe bei Null gehalten, und der chinesische Arbeiter konnte mühelos an der Hortung überschüssigen Geldes gehindert werden. Dazu brauchte man nicht den keineswegs unbedeutenden administrativen Aufwand einer Umlaufgebühr.

Und wurde dadurch etwa die Akkumulation großer Vermögen verhindert? Nicht im Geringsten! Die chinesische Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren eine gewaltige Schar von Millionären und Milliardären hervorgebracht, die ihr Vermögen durchaus nicht dem Zinssystem, sondern ihren realen (und manchmal auch irrealen) Leistungen in einer mächtig aufstrebenden Realwirtschaft verdanken. Das Geldssystem hatte daran zunächst keinen Anteil.

Denkfehler Nr. 6: Die Gesellianer gehen davon aus, dass eine Umlaufgebühr die Akkumulation der großen Vermögen in einer gesättigten (kaum noch wachsenden) Wirtschaft wesentlich einschränken würde. Wiederum erliegen sie einem Irrtum. In Zeiten der Finanzspekulation, wo eine große deutsche Bank noch bis vor wenigen Jahren ihren reichsten Kunden eine Eigenkapitalrendite von bis zu 25% versprechen konnte, ist eine Umlaufgebühr von 2 oder 3% nicht mehr als eine Spielerei ohne jede praktische Wirkung. (5) Gewiss hält sie die kleinen Verdiener vom Horten ab, aber die großen Vermögensbesitzer sind davon gerade nicht betroffen. Sie denken gar nicht ans Horten, solange ihnen die Finanzwirtschaft so prächtige Renditen beschert. Die Kluft zwischen Arm und Reich könnte sich also nach der Einführung einer solchen Gebühr eher noch erweitern (da sie nur die kleinen Sparer wirklich trifft und ihnen daher einen zusätzlichen Nachteil verschafft). Hemmen lässt sich eine solche Entwicklung nur auf ganz anderem Weg: nämlich dem einer wirksamen Besteuerung der großen Privatvermögen. (6)

Denkfehler Nr. 7: Die Gesellianer begehen einen Fehler, wenn sie die Ursache für leistungslos erworbene Einkommen im Gegensatz zu Marx allein oder auch nur vorrangig im Geldsystem lokalisieren. Doch selbst bei dieser Einschränkung auf das Geldsystem übersehen sie, dass der Zins allein als Ursache für leistungslose Bereicherung nicht ausreicht. Seine Wirkung ist nämlich gleich null, wenn Guthaben und Schulden gleichmäßig über die Bevölkerung gestreut sind. Dann können die Zinsen noch so hoch sein, jeder empfängt als Gläubiger gleich viel, wie er als Schuldner hergeben muss. Anders gesagt, lässt sich die Umlaufgebühr durch die Forderung nach einer möglichst gleichen Verteilung der Guthaben ersetzen. Beide Maßnahmen wären in ihrer Wirkung identisch!

Die Umlaufsicherung ist also ein höchst unvollkommenes Instrument. Mit einer Obergrenze für das personengebundene Vermögen würde man die Wirkung des Real- ebenso wie die des Geldzinses beherrschen!

Saharasia und die Umlaufgebühr

Professor Senf ist einer der gegenwärtig wortmächtigsten Befürworter einer Umlaufsicherung des Geldes. Diesem Gedanken wird leider dadurch geschadet, dass er in die Hände von Eiferern und Esoterikern geriet, die ihn mit wenig kühlem Verstand dafür aber mit umso größerer Inbrunst vertreten. So gut und richtig der Gedanke in eingeschränktem Bereich auch ist, so bitter müsste seine Verwirklichung die daran geknüpften Hoffnungen enttäuschen. Denn damit würde man die Akkumulation großer Vermögen allenfalls entschleunigen – aber keinesfalls aufhalten können, da sie sich dann eben den alternativen Weg der Realwirtschaft wählt. Aus den oben genannten Gründen muss es überdies als außerordentlich unwahrscheinlich gelten, dass eine Umlaufgebühr jemals in großem Maßstab (d.h. außerhalb von Tauschringen etc.) realisiert wird. (7) Darin gleicht dieser Vorschlag jener zweiten Glücksverheißung des Berliner Professors, die er uns mit der Rückkehr zum Garten Eden von Saharasia verspricht. Auch dahin wird die Menschheit wohl nie gelangen – und zwar aus einem einfachen Grund: Es ist leider höchst zweifelhaft, ob sie sich je dort befand!

Mögen sie selig werden!

Die große historische Leistung von Karl Marx bestand darin, die inhärente Tendenz der Eigentumsgesellschaft (des „Kapitalismus“) zur Selbstzerstörung aufgrund fortschreitender Konzentration der Vermögen hellsichtig erkannt zu haben. Sein historisches Versagen liegt darin, dass er dieses Übel mit einer Therapie bezwingen wollte, die noch gefährlicher ist als die Krankheit, die sie bekämpft. Die radikale Beseitigung der Eigentumsgesellschaft hat als quasi-religiöse Erlösungslehre einen Teil der Menschheit in längst vergangene Zeiten zurückgeworfen: Sie wurden zu zentralistisch dirigierten Feudalsystemen.

Das große Verdienst Silvio Gesells bestand darin, den Anteil des Zinssystems an der Vermögenskonzentration unmissverständlich hervorzuheben. Dagegen war und ist es der Fehler dieser Bewegung, dass sie diesen Anteil nicht nur überschätzt, sondern absolut gesetzt hat und dadurch hinter die Einsichten von Marx wieder zurückfällt. Geld entfaltet eine eigenständige Wirksamkeit, aber dadurch wird der Primat der Real- gegenüber der Geldwirtschaft nicht in Frage gestellt. Wie Marx selbst ist auch Gesell von der Wissenschaft in den Mystizismus abgeglitten.

Ich weiß, solche und andere Argumente erschüttern den typischen Gesellianer ebenso wenig wie dogmenhörige Jünger von Marx. Denn Dogmen sind gegen die Einsprüche der Vernunft auf wundersame Weise gefeit. Was Herrn Professor Senf betrifft, so hat dieser noch dazu einen kostbaren Besitz zu verlieren: seine Charaktermaske als Guru und Glücksapostel. Die Gesellianer aber werden ihrerseits kaum auf die Tröstungen ihres Glaubens verzichten. Sollen sie damit selig werden!

1 Wie sehr dass tatsächlich der Fall ist, beweist Prof. Senf unter anderem mit seinen Ausführungen zur Geldschöpfung. Nachdem er die Multiple Kreditschöpfung (zu Recht, aber ohne seine Meinung mit entsprechenden Beweisen zu untermauern) als inexistent zurückweist, erfindet er eine neue, die, wie ich in Wohlstand und Armut zeigte, der Logik und den Fakten gleichermaßen entzieht. Ich werde darauf bei Gelegenheit noch zurückkommen.

2 Wenn jemand mit einer bestimmten Summe Anlagen kauft, um damit Produkte für den Markt herzustellen, dann ist sein Erlös Realzins: von ihm selbst mit eigener Arbeit und eigenen Ideen erwirtschaftet. Wenn er die gleiche Summe an einen Dritten verleiht, der in ähnlicher Weise vorgeht, dann bezieht er von diesem – meist auf dem Umweg über eine Bank – einen Geldzins.

3 Um diesen Punkt herauszustreichen, unterscheide ich in Wohlstand und Armut zwischen den beiden Idealtypen reiner Banken- bzw. Börsenwirtschaften.

4 In meinem Buch Die Arbeitslose Gesellschaft spielt das Geldsystem keine Rolle, während ich diese Problematik im Ende des Kapitalismus ausführlich berücksichtige. Im Pyramidenspiel bekenne ich mich ausdrücklich zu den Analysen von Helmut Creutz (daran hat sich bis heute nichts geändert), spreche mich aber nur noch halbherzig für die von ihm vorgeschlagene Therapie einer Geldreform aus. In Wohlstand und Armut habe ich mich von diesem Gedanken distanziert. Dort fasse ich im Kapitel über das Geld die wichtigsten Argumente zusammen, die gegen die Wirksamkeit einer ausschließlich auf das Geld beschränkten Reform sprechen. Dabei bin ich in meinen folgenden Arbeiten (Von der Krise ins Chaos und EuroKalypse Now? Es gibt einen Weg aus der Krise!) geblieben.

5 Man vergesse nicht: Das Experiment in der Kleinstadt Wörgl, das mit einer Umlaufsicherung so erstaunliche Wirkungen erzielte, fand unter Bedingungen statt, wo ein solches Ausweichen in den Finanzsektor so gut wie unmöglich war!

6 Wesentlich kommt es dabei auf die Unterscheidung von produktivem betrieblichen und unproduktivem individuellen Vermögen. Ein österreichischer Finanzminister, Ferdinand Lacina, hatte Anfang der 90er Jahre die Vermögenssteuer in Österreich mit dem Argument abgeschafft, dass sie in erster Linie mittelständische Unternehmen treffen und manche von ihnen in die Insolvenz treiben würde. Dies ist ein stichhaltiges Argument. Einen möglichen Ausweg bietet die genannte Unterscheidung zwischen produktivem und unproduktivem Vermögen (siehe „Neuer Fiskalismus„.

7 Auf Tauschringe und deren Versuche mit verschiedenen Arten der Umlaufsicherung geht Bernd Senf meines Wissens nicht ein. Helmut Creutz spricht in diesem Zusammenhang von einer Selbstausbeutung, da die Mitglieder solcher Ringe ja auf die (zumindest noch vor zehn Jahren) weit höheren Zinsen des Bankensystems freiwillig verzichten. Ich halte Tauschringe dennoch für eine gute Sache, da sie Solidargemeinschaften mit gegenseitiger Hilfe ins Leben rufen, die – wenn sie gut funktionieren – im kleinen Maßstab sogar gegen Arbeitsverlust wirksam sind. Allerdings liegen ihre Vorteile allein auf der ökonomischen Mikroebene. Für die Makroebene gelten die zuvor angestellten Überlegungen.