(Auch erschienen in „Humane Wirtschaft“)
Wie Unternehmen funktionieren und welche Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen, das weiß man heute ziemlich genau. Produzierende Betriebe sind auf eine Infrastruktur angewiesen, die eine verlässliche Zufuhr von Energie und Grundstoffen (oder Vorprodukten) erlaubt. Hinzukommen muss in der Regel noch ein staatliches Ausbildungssystem, das dem Unternehmen ein entsprechendes „Humanmaterial“ anbietet. Unternehmen verfügen über einen Entscheidungsspielraum, was die Aufteilung des erwirtschafteten Gewinns unter Mitarbeitern und Eigentümern betrifft, hier kann der Staat lenkend eingreifen, aber das gilt nicht im Hinblick auf das Verhalten eines Betriebs zu seiner Umwelt. Hier ist der Entscheidungsspielraum so eng wie bei einem Motor, der nur dann verlässlich und dauerhaft läuft, wenn er konstant mit Energie und Rohstoffen gefüttert wird. Da gibt es keine Abstimmung und keine Demokratie. Im wesentlichen wird Unternehmenspolitik daher auf monarchische bis diktatorische Art betrieben. Einzig der japanische Kapitalismus beschritt mit dem sogenannten Ringi-System, wo alle wichtigen Entscheidungen den einzelnen Abteilungen zur Abstimmung vorgelegt wurden, zeitweise einen anderen Weg – gerade solange wie die japanischen Betriebe so billig produzierten, dass sie der Konkurrenz gegenüber einen bedeutenden Preisvorsprung besaßen – da konnten sie sich ein so schwerfälliges System noch leisten. Inzwischen gehört die innerbetriebliche Demokratie auch in Japan der Vergangenheit an.
Moderne Industriestaaten gleichen großen Konzernen
Für die Zufuhr an Energie und mineralischen Rohstoffen sind sie auf ein weltweites Versorgungsnetz angewiesen, das möglichst reibungslos funktionieren muss. Eine Störung, wie sie etwa die Ölkrise von 1973 auslöste, bringt jede Wirtschaft spätestens dann zum Absturz, wenn auch die heimischen Speicher leer sind. Um das zu verhindern, unterhalten die USA nicht nur Militärbasen überall in der Welt – insgesamt zwischen 800 und 1000 -, sondern sorgen zudem dafür, dass nach Möglichkeit freundlich gesinnte Regime an den neuralgischen Punkten des Globus für Ordnung sorgen. Diktaturen scheinen sich zu diesem Zweck am besten bewährt zu haben.
American Way of Life
Diese grundsätzliche Ausrichtung der amerikanischen Politik steht außerhalb jeder demokratischen Debatte, denn es geht ja um nichts Geringeres als den amerikanischen Way of Life, der ohne unablässigen Zustrom an Rohstoffen und Energie eben nicht denkbar ist (auch wenn die Abhängigkeit durch die Schieferölförderung zeitweise gemildert wurde). Über diese Ausrichtung entscheidet nicht länger das Volk, sondern der Deep State, wozu der Militärisch-Industrielle Komplex und das eine Prozent der reichsten Amerikaner gehört, die bekanntlich durch ihre Wahlspenden darüber entscheiden, wer in ihrem Land auch nur die Chance erhält, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Die USA sind eine Plutokratie mit dem formalen Apparat einer Demokratie. Sie sind es nicht deswegen, weil der Staat von einer neuen Aristokratie in einem Staatsstreich gekapert wurde, sondern weil das Land sich zu einem Mega-Unternehmen entwickelte, das nur dann reibungslos funktioniert, wenn es den weltweiten Güterstrom, auf dem sein Reichtum beruht, rund um die Uhr überwacht und jede Störung sofort beseitigt. So gesehen ist der Präsident der US nichts anderes als der Aufseher eines großen Konzerns, allerdings ausgestattet mit ungleich größerer Macht, denn um seine Unternehmenspolitik durchzusetzen, steht ihm der mächtigste Militärapparat der Welt zur Verfügung.
In China springt die Parallele von Staatsapparat und Unternehmen noch mehr in die Augen
In keinem anderen Land wird so rational, so wissenschaftlich orientiert, so systematisch geplant wie im Reich der Mitte. Das angestrebte Ziel ist eindeutig definiert und deswegen sind es auch die Methoden, mit denen man es erstrebt. Seinen Bürgern will China materiellen Wohlstand, seinem Militär Überlegenheit, seiner Politik größtmögliche Mitsprache auf der Weltbühne sichern. Der „Sozialismus chinesischer Prägung “ – tatsächlich handelt es sich um einen zentral gelenkten Kapitalismus -, hat sich bis heute glänzend bewährt. Nicht anders als ein erfolgreiches Unternehmen nutzt und fördert die Partei die Eigeninitiative der Bürger, wenn es um produktive Ideen und Erfindungen im Rahmen der zu realisierenden Ziele geht, diese selbst aber werden grundsätzlich von oben festgelegt, und zwar diktatorisch über die Köpfe der Betroffenen hinweg. So kann dieses System mühelos Flughäfen, Bahnlinien, Straßen nach eigenem Ermessen an jedem Punkt des Landes aus dem Boden stampfen, ohne auf Proteste Rücksicht zu nehmen. Die Parallele zu modernen Industrieunternehmen ist unübersehbar, denn auch dort gibt es einerseits die zentrale Planung, andererseits wird die freien Entfaltung der privaten Initiative gefördert. China ist nichts anderes als die ins Gigantische projizierte Inkarnation des vorherrschenden Betriebsmodells. Nur in einem Punkt geht die chinesische Führung anders vor als der Manager eines westlichen Konzerns. Mitarbeiter, die sich seinen Zielen nicht fügen, setzt Letzterer nur auf die Straße – der chinesische Staat lässt sie in Arbeitslagern verschwinden oder bringt sie auch einfach um.
Das Großunternehmen China hat in kürzester Zeit atemberaubende Fortschritte zu verzeichnen
Das Regime Xi Jin Pings (dem Mann mit dem sympathischen Gesicht eines gutmütigen Großpapas) ist brutal, aber sein Erfolg lässt sich nicht bestreiten. Nicht nur, dass es der Regierung gelang, gleichsam über Nacht ein funktionierendes Rentensystem aus dem Boden zu stampfen, welches den größten Teil der Bevölkerung umfasst; in unüberbietbarem Tempo hat es zugleich eine moderne medizinische Versorgung bereitgestellt, das größte und modernste Eisenbahnnetz der Welt installiert und mittlerweile macht es der NASA mit seinen Weltraumplänen ernsthafte Konkurrenz. China – Jahrtausende lang ein Staat von philosophierenden Literaten, die für das Militär nichts als Verachtung übrig hatten – ist zudem im Begriff, zu einer der großen Militärmächte aufzurücken, und zwar schneller auf als jeder andere Staat. Das gilt vor allem für seine Flotte, die neue Kriegsschiffe in immer schnellerem Takt vom Stapel lässt.
Xi Jin Ping und Donald Trump gleichen sich darin,
dass sie beide die CEOs von Staaten sind, die sie nach Art von Konzernen verwalten. Kein Zweifel kann allerdings daran bestehen, dass der Konzern China mittlerweile viel erfolgreicher vorgeht, da die Bevölkerung mit jedem Jahr wohlhabender wird. In den Küstenregionen hat sich längst eine Mittelklasse gebildet, die sich Reisen in alle Welt leisten kann und dabei erfährt, dass ihr Land mittlerweile einen Platz gleich neben den USA und vor Russland behauptet – ein weltweit geachteter Staat. Der ‚chinesische Traum’ ist zwar dem amerikanischen abgeschaut, aber mittlerweile glaubt eine Milliarde von Menschen daran, während den meisten US-Amerikanern das Träumen vergangen ist. Dort stagniert das Einkommen der Bevölkerungsmehrheit schon seit den Achtziger Jahren. Die Weltmacht USA ist zudem hoch verschuldet, die Infrastruktur des Landes – Eisenbahnen, Straßen, Brücken – befindet sich in rapidem Verfall und – bei weitem das alarmierendste Zeichen – die Bevölkerung ist zutiefst gespalten. Für gut die Hälfte der Amerikaner ist Donald Trump nicht „ihr“ Präsident.
Die gegenläufige Entwicklung der beiden Staaten
hat tiefreichende ideologische Gründe. Bis heute wird das moderne China von seiner Tradition, dem Konfuzianismus, geprägt. Ein Herrscher genießt nur so lange die Gnade des Himmels, wie er den Bauch der Untertanen füttert, denn darin liegt seine Verantwortung. Eine Mehrheit der Chinesen findet sich mit der diktatorisch regierenden Staatspartei ab, weil diese sich offenbar im Besitz solcher Himmelsgnade befindet. Vor einem halben Jahrhundert noch bitterarm, ist China längst kein Entwicklungsland mehr, sondern ein mächtiger und in den Küstenregionen auch schon opulent reicher Staat. Die paternalistisch regierende Staatspartei genießt das Vertrauen einer überwiegenden Mehrheit.
In den USA behauptet sich dagegen eine ganz andere, ebenfalls aus der Geschichte erwachsene Ideologie: der „rugged individualism“, welcher es den Wirtschaftstreibenden erlaubt, ihre eigenen persönlichen Interessen über das Staatswohl zu stellen. Im selben Augenblick, als amerikanische Konzernherren erkannten, dass sie ungleich größere Profite erzielen, wenn es nicht die teuren heimischen Arbeiter sind, welche die im eigenen Land verkauften Güter herstellen, sondern die weit billigeren Arbeitskräfte in China, haben sie im großen Maßstab mit der Auslagerung der Industriebetriebe begonnen. Das Resultat ist landesweit zu besichtigen. Zwischen Florida und Kalifornien sind seit dieser Zeit Rostgürtel entstanden zusammen mit einer Bevölkerung, die in Regierung und Wallstreet nicht ohne Grund den größten Feind erblickt. Denn es sind amerikanische Konzerne, die auf diese Art China zur Werkbank für die ganze Welt gemacht haben (die Chinesen haben sich dieses Angebots nur dankbar bedient). Ein Prozent der Amerikaner – mit Trump als einem ihrer Repräsentanten – haben das eigene Wohl dem Staatswohl vorangestellt und die künftige Stellung der USA als Weltmacht in Frage gestellt.
Putins Russland nimmt eine Sonderstellung ein
nach Energie und Rohstoffen braucht das Land nicht außerhalb der eigenen Grenzen zu suchen, denn beides besitzt es selbst in Hülle und Fülle. Im Ausland muss es daher auch keine Rohstoffquellen absichern und nicht einmal Absatzmärkte, denn die Kunden für Öl und Gas stehen ohnehin an seiner Tür. Russland ist ein Riesenreich und in hohem Maße autark.
Xi Jin Ping und Donald Trump gleichen sich darin, dass die von ihnen geführten Wirtschaftsmegamaschinen ihre saugenden Tentakel über den ganzen Globus ausstrecken. Dabei ist das rohstoffarme China sogar noch in höherem Maße als die USA auf die Versorgung durch anderer Länder angewiesen. Seine Interessen in Südamerika und vor allem in Afrika zwingen es, den USA nachzueifern und eine ähnlich militante Großmachtpolitik zu betreiben. Die kürzlich errichtete Militärbasis in Djibouti markiert da nur den Beginn einer absehbaren Entwicklung. Nur Putins Russland kommt ohne eine solche Politik der Rohstoffsicherung aus. Das ist ein bemerkenswerter Unterschied sowohl zu den USA als auch zu China.
Die Drohung, die von Russland ausgeht
geht aus anderen Ursachen hervor. Sie ist auf der Demütigung dieses Landes begründet, wie es sie in seiner jüngeren Geschichte erlebte. Unter dem kommunistischen Regime, das alles Wirtschaftsleben von oben dirigierte und die individuelle Initiative – die wichtigste Ressource des kapitalistischen Systems – völlig erstickte, geriet das Land soweit ins Hintertreffen, dass es schließlich zusammenbrach. Die kapitalistische Rosskur der Neunziger Jahre, die der Westen ihm auferlegte, brachte die Wirtschaft des Landes vollends zum Absturz und schuf eine Oligarchie von Superreichen, welche die Ölquellen Russlands an den Westen verschachert hätten, wäre Wladimir Putin dem Ausverkauf nicht entgegengetreten.
Der Westen nutzte die Schwäche Russlands zudem noch dazu aus, um nach dem Textbuch von Brzezinski („Das große Schachspiel“) die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich zu lösen und den für Russland strategisch wichtigen Schwarzmeerhafen Sewastopol auf diese Art unter die eigene Kontrolle zu bringen. Auch das hat Putin verhindert.
Im Rückblick muss man wohl sagen, dass der Westen einem Land in Not nicht geholfen, sondern es zusätzlich gedemütigt hat. Statt es durch Hilfe zu einem Bundesgenossen zu machen, nutzte er Russlands Schwäche aus, um es noch schwächer zu machen. In diesem Sinne ist Putin ein Produkt falscher westlicher Politik.
So gesehen sind die gegen Russland verhängten Sanktionen zwar auch eine Reaktion auf Akte der Aggression. Wenn ein Krieg nicht in Frage kommt, was bleibt dann anderes als wirtschaftliche Maßnahmen übrig, da man das Vorgehen Russlands in Krim und Ukraine ja nicht einfach stillschweigend akzeptieren konnte? Aber Putins aggressives Vorgehen war eben auch eine Reaktion auf das vorangegangene Fehlverhalten des Westens.
Die Sanktionen sind allerdings so gut wie erfolglos. Den Handel haben sie nicht wesentlich zu beeinträchtigen vermocht, sondern Russland lediglich den Zugang zu Krediten durch westliche Banken versperrt. All jene, die glaubten, dass Putins Reich unter den Sanktionen nach spätestens drei, vier Jahren kollabieren würde, haben sich gründlich geirrt. Es spricht für das staatsmännische Talent des russischen Präsidenten, dass er die westlichen Sanktionen sogar für sich zu nutzen versteht, indem er sie als eine gegen Russland gerichtete Verschwörung interpretiert. Sie dient ihm als willkommener Vorwand, seine Landsleute bei jeder Gelegenheit auf die Liebe zum Vaterland einzuschwören, für das kein Opfer zu groß sein dürfe. Dabei hat er es verstanden, mit weit geringeren Mitteln als sie den USA oder China zur Verfügung stehen, die Militärmaschinerie erneut so zu modernisieren, dass ein Erstschlag gegen sein Land für jeden Aggressor ein Selbstmord wäre. Wenn man Putins eigenen Angaben trauen darf, dann ist Russland den USA in entscheidender Hinsicht sogar überlegen. Es hat Raketen von angeblich über zehn Mach Spitzengeschwindigkeit entwickelt, die jedes Abwehrsystem ungehindert durchbrechen können. Der ganze in Europa, den USA bis hin zu Japan installierte Abwehrschirm wäre dann wirkungslos.
Der Westen hat Russland bestrafen wollen
Tatsächlich sieht es ganz danach aus, dass Putin in seinem Land einen Willen zur Selbstbehauptung auslöste, welcher eine ähnliche Entwicklung wie in China initiieren könnte. Russland wird alle Kräfte auf das einzige Ziel konzentrieren, den industriellen Fortschritt zu forcieren, um einerseits Stärke und Unabhängigkeit nach außen und andererseits nach innen die Solidarität der eigenen Bevölkerung mit der Verheißung auf wachsenden Wohlstands zu gewinnen. Tatsächlich scheint Russland inzwischen weniger nach Europa zu blicken, das ja ein vergleichsweise äußerst bescheidenes Wachstum aufweist, als auf China, das mit Raten von 5 bis 6 Prozent der ganzen übrigen Welt weit vorauseilt. Dass Putin sich auch als Oberhaupt einer Scheindemokratie eher an Fernost orientiert, braucht da nicht zu verwundern. Zwar verschwinden weit weniger politische Gegner im heutigen Russland als in Fernost, aber die Presse wird mittlerweile gleich stark an die Kandare genommen.
Dabei zeugt es von der großen Intelligenz dieses Mannes
dass er den Westen mit dessen eigenen Waffen bekämpft. Russia Today ist ein beliebtes Forum für westliche Intellektuelle und Außenseiter, die keine Chance erhalten, im eigenen Land gehört zu werden. Denn es ist zwar richtig, dass in den USA oder in England niemand wegen seiner Meinung im Gefängnis verschwindet oder auf Betreiben der Regierung ermordet wird. Das unterscheidet die amerikanische Plutokratie immer noch auf rühmliche Weise von den russischen und chinesischen Autokratien. Ein Mann wie Noam Chomsky, der sein eigenes Land und dessen Regierung als „Schurkenstaat“ bezeichnet, hätte in China oder Russland sein Todesurteil längst unterschrieben.
Aber solche Außenseiter werden eben auch nicht in den offiziellen Medien ihres Lands gehört, denn die befinden sich im Besitz jenes einen Prozents, welches das Land in Politik und Wirtschaft beherrscht. Das ist einem Mann wie Putin natürlich bestens bekannt, und so bietet er den Außenseitern anderer Länder in RT ein demokratisches Forum, obwohl er im eigenen Land allen Widerstand bricht – ein meisterhafter Schachzug, der die Polarisierung innerhalb westlicher Länder noch weiter vorantreibt.
Wenn es stimmt, dass das Modell des Privatunternehmens
inzwischen auch von Staaten übernommen wird, so dass diese sich wie Megakonzerne verhalten, dann werden natürlich auch die in ihnen lebenden Menschen, die Staatsbürger, den Belegschaften von Unternehmen zunehmend ähnlich. Mit einem chinesischen Mandarinen oder einem indischen Brahmanen hätten wir nicht zu kommunizieren vermocht. Die lebten in völlig andersartigen Welten, aber Wissenschaftler und CEOs reden überall auf der Welt dieselbe Sprache, da gibt es kaum noch Unterschiede zwischen Engländern, Franzosen, Chinesen oder Russen.
Diese Entwicklung ist an sich zu begrüßen, aber es wäre ein Irrtum, sie nur für positiv zu halten. In einer Firma ist man nur angestellt, jederzeit ersetzbar und reduziert auf eine Funktion. Je mehr sich Staaten so verhalten wie Firmen und dabei zu bloßen „Standorten“ mutieren, in desto höherem Grade vermitteln sie ihren Bürgern das Gefühl, auch im eigenen Land nur als eine Art von Angestellten geduldet zu sein, jederzeit ersetzbar und reduziert auf ihre jeweilige Funktion. Die Folgen einer solchen Entwicklung sind bedrohlich. Der Mensch möchte mehr sein als nur das funktionierende Rädchen in einem großen Getriebe. Er möchte sich begeistern, lieben, genießen können, das aber ist eine andere Dimension als das Funktionieren in einem Betrieb, wo Gefühle nichts zu suchen haben, weil man ihn dort auf seine technische und ökonomische Intelligenz reduziert. In einem Betrieb werden Gefühle an der Garderobe zurückgelassen.
Wenn Staaten insgesamt sich wie Unternehmen verhalten und dabei die Rückzugsgebiete des Privaten zunehmend beschneiden, dann besteht die Gefahr, dass der Platz für diese fundamentale menschliche Dimension immer geringer wird, ohne dass sich aber das Bedürfnis danach verringert. Also suchen Staaten nach künstlichem Ersatz. Da bietet sich dann an erster Stelle der Nationalismus an. Er füllt die Leere im Innern der bloß noch funktionierenden Rädchen, indem er primitive Gefühle in ihnen anheizt und auf diese Art eine Art von künstlicher Gemeinschaft erzeugt. Ich sehe durchaus keinen Zufall darin, dass der Nationalismus in China und Russland und seit Trump auch in den USA eine so starke Steigerung erfährt.
Die Menschen werden einander überall auf der Welt zwar immer ähnlicher
weil Wirtschaft und Wissenschaft global nach denselben Prinzipien funktionieren, aber die Distanz zwischen ihnen nimmt deswegen keineswegs ab. Diese Hoffnung ist leider unbegründet, weil die staatlichen Megakonzerne das gar nicht wollen. Wissenschaftliches, technisches und ökonomisches Wissen bedeutet Stärke, deshalb wird es sowohl privat wie auch in staatlichem Auftrag ja von konkurrierenden Staaten mit allen Mitteln der modernen Industriespionage abgesogen. Wissenschaftler, Forscher, Ingenieure sind Faktoren der Macht in einem Unternehmen, wo man sie von Gesetz wegen zur Wahrung der Betriebsgeheimnisse verpflichtet, aber sie sind es in noch höherem Grade für den modernen Unternehmens-Staat. Natürlich arbeiten sie in chinesischen Militärunternehmen ausschließlich für China, in amerikanischen ausschließlich für die USA, in russischen ausschließlich für Russland. Alles andere bewerten die Regierungen, denen sie dienen, als Landesverrat. So werden Menschen, die einander immer ähnlicher werden, durch ihre staatliche Zugehörigkeit zur gleichen Zeit weit voneinander entfernt.
Das alles brauchte uns nicht zu beunruhigen,
wenn die USA, China und Russland Eilande wären oder jede dieser Mächte den Globus allein beherrschen würde. In diesem Fall würden die Menschen ihres einseitigen Strebens nach immer größerem materiellen Reichtum schnell überdrüssig werden und eine Machtdemonstration nach außen wäre ja ohnehin überflüssig. Sie würden sich der Verzauberung durch die Kultur überlassen, denn Kultur bedeutet Freiheit zur Selbstgestaltung, während die technische Zivilisation eine große Maschine ist, wo jeder wie ein Rädchen funktionieren muss. Kultur ist der Inbegriff all dessen, was der Mensch jenseits der technischen Zwänge zu schaffen und zu erkennen vermag. Sich selbst überlassen, strebt jede Gesellschaft über die materiellen Dinge hinaus, auf eine Ebene, wo der Mensch zur Freiheit findet.
Unser Unglück ist nur, dass die drei Supermächte nicht auf Inseln leben, sondern China und die USA Kraken mit weltweit ausgreifenden Tentakeln sind und sich dabei mehr und mehr in die Quere kommen. Mit nur fünf Prozent der Weltbevölkerung konsumieren die USA an die fünfundzwanzig Prozent der fossilen Ressourcen, weil sie meinen, den amerikanischen Traum anders nicht verwirklichen zu können. Im Reich der Mitte leben an die fünfzehn Prozent der Weltbevölkerung. Werden sie, um den chinesischen Traum zu verwirklichen, irgendwann 75 Prozent der Ressourcen für sich verlangen, weil ihre Bevölkerung 3 mal größer ist?
Hier liegt der Grund, warum die Supermächte das Wettlaufen um größere militärische und politische Macht nicht beenden können; deswegen muss die ökonomisch-militärische Megamaschine auf immer höheren Touren laufen. Ganz allein Putin hätte die Chance, sich aus diesem Wettlauf auszuklinken, zumindest jetzt, da Russland stark genug ist, um jedem äußeren Feind gewachsen zu sein. Aber Putin ist fixiert auf die äußere Welt. Beständig misst er sich und das eigene Land an den anderen, will von ihnen geachtet werden und, falls das nicht möglich ist, wenigstens gefürchtet. Dafür scheint er bereit, mindestens so hohe Risiken einzugehen wie der unberechenbare Donald Trump oder der viel vorsichtigere Xi.