Auch wenn wir es von Populisten in beiden Lagern gewöhnlich so hören, stehen sich hier nicht das Reich des Guten und des Bösen gegenüber. US-Amerikaner und Chinesen sprechen unterschiedliche Sprachen, aber Studenten und Wissenschaftler wechseln mühelos von einem Land zum anderen. Nachdem Englisch zur Lingua Franca wurde und die Chinesen die meisten ihrer Institutionen dem westlichen Vorbild anglichen, sind die Ähnlichkeiten zwischen ihnen bedeutend größer als alles Trennende. „Chinesen genießen heute nahezu völlige Bewegungsfreiheit. Sie können ein Haus erwerben, eine Ausbildung wählen, ein Job oder ein Geschäft beginnen, sich einer Kirche anschließen (solange es sich um Buddhismus, Daoismus, Islam, Katholizismus oder Protestantismus handelt), sich kleiden, wie sie mögen, offen homosexuelle Neigung bekunden, ohne in einer Strafkolonie zu enden, nach eigenem Belieben ins Ausland reisen und sogar Kritik an der Partei üben, solange sie deren Herrschaft nicht in Frage stellen. Selbst Unfreiheit ist nicht mehr das, was sie einmal war“ (Norberg).
Inzwischen gelten diese Freiheiten allerdings nur noch für Chinesen ohne negative Einträge auf einem Sozialkreditkonto, das für jeden Bürger des Reichs auf Abruf die Bilanz von Wohlverhalten und negativen Einträgen zeigt. Xi Jinping ist es gelungen, die orwellsche Vision des perfekten Überwachungsstaats über ein Milliardenvolk zu verhängen. Dabei haben 99 Prozent nichts zu befürchten sondern profitieren von Sicherheit, Wohlstand und Aufstieg. Das restliche ein Prozent hingegen, welches gegen die Vorschriften der Partei und deren Führung aufbegehrt, hat mit Unterdrückung und Verfolgung bis hin zu physischer Vernichtung zu rechnen. Das gilt für die Han-Chinesen selbst ebenso wie für die unterworfenen Uiguren und Tibeter. Die Partei ist überzeugt, den Menschen das Glück zu bringen (und hat dies in einem materiellen Sinne auch zweifellos getan). Wer sich ihr widersetzt, wird daher zu seinem Glück gezwungen. Eine überwältigende Mehrheit – wenn auch nicht gerade 99 Prozent – scheinen das System gutzuheißen, solange es ihnen und ihrem Land einen so sichtbaren Aufschwung beschert. Die Verfolgung einer kritischen Minderheit erscheint ihnen da als ein geringes Opfer. Im Westen haben wir uns dagegen den Schutz der Außenseiter, Systemkritiker bis hin zu den Systemgegnern verschrieben. Das ist ein Akt der Toleranz, der uns moralisch jedem Überwachungsstaat überlegen macht – allerdings nur so lange, wie die Freiheit der Kritiker und Außenseiter nicht die Freiheit einer staatlichen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit bedroht. In diesem Fall nämlich zerbrechen Staaten an inneren Widerständen. Leider ist genau das heute bereits der Fall.
Wie sich zum Beispiel an dem Vorgehen gegen die Seuche zeigt
Auch wenn die Regierung Chinas das aus propagandistischen Gründen in einem fort in die Welt posaunt, müssen wir anerkennen, dass sie imstande ist, die zum Wohl der Bevölkerung notwendigen Maßnahmen in kurzer Zeit zu ergreifen und durchzusetzen. Auch hier zeigt sich allerdings der für das Regime bezeichnende Gegensatz von verlogener Rücksichtslosigkeit und positiver Entschlossenheit. Als der Arzt Li Wenliang Ende 2019 seine Kollegen auf den Ausbruch einer neuen Seuche (später Covid19 genannt) aufmerksam machte, hielt die Partei das noch für ein Unruhe erzeugendes Gerücht, das sie sofort unterdrückte. Als die Fälle danach aber zu einer Lawine anschwollen und außer Kontrolle zu geraten drohten, handelte sie generalstabsmäßig nach den Vorschriften der Epidemiologen. Eine Millionenstadt wurde abgeriegelt, und die Menschen zunächst einmal in ihren Wohnungen eingesperrt: der Staat führe Krieg gegen das Virus, konnte drei Monate später aber auch den Sieg verkünden. Die Wirtschaft fand nach so kurzer Unterbrechung zu ihrem früheren Wachstum zurück und Chinas Menschen konnten sicher wieder frei und unbesorgt im ganzen Land bewegen.
Wie schmählich hat der Westen im Vergleich zu China versagt!
Statt eines kurzen aber entschiedenen Eingriffs hat er jahrelanges Siechtum in Kauf genommen, das heute wohl noch längst nicht beendet ist. Dabei war die Impfung gegen gefährliche Seuchen auch in den Ländern Europas einmal vorgeschrieben und konnte ohne Massenproteste durchgeführt werden. Im Jahr 1807 führte das Königreich Bayern als erster deutscher Staat eine Impfpflicht ein, der sich in den folgenden Jahrzehnten weitere Staaten anschlossen. 1874 wurden dann im Deutschen Reich alle Deutschen durch das Reichsimpfgesetz verpflichtet, ihre Kinder im Alter von einem und zwölf Jahren (Wiederholungsimpfung) gegen die Pocken impfen zu lassen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der DDR ab 1953 eine gesetzliche Impfpflicht, die bis 1970 sukzessive ausgeweitet wurde: Neben den Pocken wurde unter anderem gegen Tuberkulose (1953), Kinderlähmung (1961), Diphtherie (1961), Wundstarrkrampf (1961) und Keuchhusten (1964, dann in Form des DTP-Impfstoffes) verpflichtend geimpft, ab 1970 war auch die Impfung gegen Masern gesetzlich vorgesehen.
In der Bundesrepublik gab es von 1946 bis 1954 eine Impfpflicht gegen Diphtherie und Scharlach, zudem bestand in den Jahren 1949 bis Ende 1975 eine allgemeine Impfpflicht gegen die Pocken. Rechtsgrundlage der damaligen Pockenimpfpflicht war noch immer das Reichsimpfgesetz von 1874.
Einige der gefährlichsten Seuchen wurden dadurch ganz oder weitgehend ausgerottet, sodass dagegen heute nicht einmal mehr geimpft werden muss – ein lebensrettender medizinischer Erfolg, der ausschließlich der damaligen Impfpflicht geschuldet ist.
Die Chinesen, ein Milliardenvolk, haben fertiggebracht,
und zwar innerhalb weniger Monate, wozu auch westliche Länder noch im 19. Jahrhundert fähig waren (ich überlasse es dem Leser zu entscheiden, ob man damals in deutschsprachigen Ländern – mit Ausnahme der Schweiz – in Autokratien oder Diktaturen lebte). Warum sind wir dazu heute nicht mehr imstande? Warum gibt es im Augenblick in einem Milliardenvolk täglich allenfalls ein Dutzend Fälle von Corona (die meisten noch dazu von außen eingeführt), während wir uns damit abfinden müssen, dass uns bald die nächste Welle überrollen und viele töten wird? Der Gegensatz zwischen China und der westlichen Welt besteht nicht im Wissen. Unsere pharmazeutischen Firmen und epidemiologischen Experten sind den Chinesen vorläufig wohl noch überlegen. Der Unterschied besteht auch nicht wesentlich darin, dass es bei uns nur Freiheit, bei ihnen dagegen nur Unterdrückung gäbe. Ein Stich in den Arm, der mich und die meinen vor einem möglichen Tod oder einer wahrscheinlichen Krankheit schützt, stellt eine viel geringere Beeinträchtigung meiner Freiheitsrechte dar als zum Beispiel die Tatsache, dass in der westlichen Führungsmacht, den USA, jeder sich eine Schusswaffe zulegen darf und damit die Sicherheit der Gemeinschaft massiv beeinträchtigt. Auch Steuern, gegen die sich die Reichen mit einer Vielzahl legaler Tricks erfolgreich wehren können, bedeuten eine Einschränkung von Freiheitsrechten, aber sie erzeugen weit weniger Widerstand als obligatorisches Impfen. Selbst Zebrastreifen schränken meine persönliche Freiheit merklich ein, da sie mir verbieten, die Straße an beliebigen Stellen zu überqueren. Aber außer Anarchisten, deren höchster Wert in der eigenen möglichst schrankenlosen Freiheit besteht, hat sich darüber bisher noch niemand ernsthaft beschwert. Wie im heutigen China hatte man im Deutschland des 19. Jahrhunderts der Wissenschaft noch vertraut und ebenso dem Staat, wenn er deren Vorschriften folgte. Wenn die Experten (oder jedenfalls eine überwältigende Mehrheit unter ihnen) mit Fakten belegen können, dass im Fall einer Impfung weniger als einer von Tausend aufgrund der Impfung selbst sterben wird, während eine hundertfach größere Zahl ohne Impfung sicher zugrunde geht, dann galt es als ausgemacht, dass die Gegner dieser für die Gemeinschaft als ganze notwendigen Maßnahme aus moralischer Sicht egohungrige Populisten, aus politischer Sicht gefährliche Quertreiber und aus wissenschaftlicher Perspektive arme Irre (man könnte auch sagen: unwissende Idioten) sind.
Wenn der Westen den Kampf gegen China und die Autokratien verliert,
dann nicht, weil er die persönliche Freiheit zu einem Ideal verklärt – es könnte kein schöneres geben -, sondern weil er den Sinn und das Ziel von Freiheit nicht länger versteht. Er verwechselt sie mit der Ermächtigung seiner Bürger, zum eigenen Nutzen beliebig gegen die Interessen der Gemeinschaft zu handeln. Was den Besitz von Schusswaffen betrifft, so ist diese Verwechslung offenkundig (jedenfalls für Menschen außerhalb der USA). Es macht keinen Sinn, Toleranz gegenüber egomanischen Populisten, gefährlichen Quertreibern und unwissenden Idioten auch dann noch zu predigen, wenn dadurch die physische und mentale Stabilität einer Gesellschaft in Gefahr gerät. Auf ihrem Höhepunkt, der sich jeder Zeit wiederholen kann, hat die Seuche unsere Gesellschaften so stark gelähmt, wie das sonst nur in Kriegszeiten geschieht. Wenn die Mehrzahl der medizinischen Experten sich dafür verbürgen kann, dass wir den Feind – in diesem Fall unsichtbare Viren – auf eine so einfache Maßnahme wie obligatorisches Impfen wirksam besiegen können, dann sollte ein westlicher so wie jeder andere Staat darin die Verpflichtung sehen, das Impfen wieder obligatorisch zu machen wie er es in der Vergangenheit tat. China praktiziert das mit größtem Erfolg und hat schon jetzt nahezu seine ganze Bevölkerung durchgeimpft – immerhin mehr als ein Fünftel der Menschheit. Über den hilflosen Westen, der seine Menschen sterben lässt, gießt es seinen Hohn und seinen Spott aus.
Gerade jetzt springen die Zahl der Deltainfektionen
in Japan, England, den USA und Kanada neuerlich in die Höhe. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie das bei uns ebenso tun. Wenn wir nicht zu der Einsicht gelangen, dass im Fall eines temporären Kriegszustands der Schutz der Gemeinschaft, also einer überwältigenden Mehrheit, Vorrang gegenüber dem Willen von Populisten, Quertreibern, armen Irren und unwissenden Idioten hat, dann werden mit der Zeit immer größere Teile der Bevölkerung ein autokratisches Regime herbeiwünschen, das in Zeiten der Not mit Entschlossenheit zu handeln versteht.
Der Prozess ist bereits im Gange, und zwar gerade bei jenen, die wir am lautesten schreien hören: den Populisten, Quertreibern und armen Irren.
Prof. Michael Kilian, ehemals Landesverfassungsrichter, schreibt dazu:
Lieber Herr Dr. Jenner,
danke, ich denke ähnlich wie Sie. Und damals sagte man noch plastisch – und treffend – Reichs(=Bundes)seuchengesetz, und nicht – wie heute bei Gesetzesbezeichnungen üblich – Bundesinfektionsschutzgesetz. Ich wurde noch mehrmals gegen Kinderlähmung geimpft.
Beste Grüße,
Ihr Michael Kilian
Die Schriftstellerin Salomea Genin schreibt folgende Zeilen:
Guten Morgen Herr Jenner,
Soweit ich weiß, gab es bis Oktober 2019 ein Gesetz, dass vorschrieb, alle Impfungen mussten ein Jahr lang und auch an Tieren getestet, bevor sie bei Menschen angewandt werden. Dieses Gesetz wurde noch vor Corona außer Kraft gesetzt. Das erfuhr ich, von einer Person, die im Krankenhaus arbeitet. Die heutigen Impfungen wurden nur drei Monate getestet und auch nicht mehr an Tieren. Sind viele an den Impfungen gestorben und nicht an Corona?
Die Mutter und der Bruder eines guten Freundes kämpften lange mit Krebs und starben: Die Mutter drei Monate bevor Corona ausbrach und der Bruder mittendrin. Die Todeszertifikate durften ihm nicht ausgehändigt werden, weil sie alle plötzlich direkt ans Statistikamt abgeführt werden mussten. Da kam das Gerücht auf, dass die Krankenhäuser viel Geld dafür bekamen, dass sie nicht die wirkliche Ursache sondern immer nur Corona auf diese Zertifikate schreiben. Bekam er sie nicht, weil die Todesursache als Corona angegeben wurde und er wusste, dass das nicht stimmt?
In den letzten 18 Monaten sind 20 Krankenhäuser geschlossen worden – mitten in der Pandemie!
Diese ganze Pandemie begann mit einer Berichterstattung, wie ich sie in der DDR erlebt habe: Von einem Tag zum anderen waren alle Nachrichten-Sendungen zu 90 % voll von diesem einen Thema. Zuerst wurde gesagt, dass die Menschen an Corona sterben und nach einer Woche bis heute heißt es, dass sie „mit und an“ Corona sterben. Da ich diese Berichterstattung in Frage stelle, werde ich zum Corona-Leugner erklärt! Was ich nicht bin!
Ich habe weder die Kraft noch die Fähigkeit diese „Gerüchte“ zu überprüfen. Ich hätte noch andere Fragen, die kein Mensch mir beantworten kann. Ich lasse mich bestimmt nicht impfen.
Mit freundlichen Grüßen – Salomea Genin
Meine Replik:
Diese Zeilen sind bemerkenswert, weil sie ein tiefes Misstrauen gegen den Staat bezeugen, obwohl außer Zweifel steht, dass die Menschen in Europa immer noch sicherer leben als fast in allen anderen Staaten der Welt. Obwohl die Medizin gerade bei uns die größten Erfolge erzielen konnte, vertraut man den Experten nicht länger sondern schenkt lieber alle möglichen Gerüchten Gehör – so groß ist die Verunsicherung. Ich sehe darin eine innere Erosion. In Russland und China reibt man sich dabei die Hände und tut viel, um diesen Erosionsprozess des Westens noch zu befördern.
Herr Lehle aus Rothenburg schickt mir folgende Mail:
Sehr geehrter Dr. Gero Jenner,
mit Erschrecken las ich gerade Ihren Corona-Artikel.
Mein erster Impuls war, Ihnen Fakten beispielsweise über Schweden (keine Übersterblichkeit 2020, wenn wachsende Alterung der Gesellschaft letzten 10 Jahre berücksichtigt wird, absolute Zahlen der Verstorbenen täuscht daher) zuzuschicken, aber es dürfte sinnlos sein. Wenn Sie nach über einen Jahr die Fakten weiter nicht wissen, dann wollen Sie in ihrem Weltuntergangs-Kult verbleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Georg Lehle
Meine Replik:
Sehr geehrter Herr Lehle,
haben Sie sich nie Gedanken darüber gemacht, dass die Experten in China, Japan, Holland, England und den USA (Fauci) dann alle die falschen Daten haben und nur Sie – Sie sind mir freilich nicht als Epidemiologe bekannt – über die „wahren Fakten“ verfügen? Wollen Sie behaupten, dass diese Leute uns alle in voller Absicht betrügen?
Versuchen Sie doch bitte, sich selbst gegenüber etwas kritischer zu sein!
Alles Gute
Gero Jenner
Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. F. J. Radermacher schickt mir folgende höchst aufschlussreiche Nachricht:
Hallo Herr Jenner,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Beste Grüße
F. J. Radermacher