Das Publikum – selbst jenes, das von Politik gewöhnlich nichts wissen will – ist reizbar geworden, wenn es um Fragen der exorbitanten Einkommen von Bankchefs, Konzernherren, Politikern und anderen Magnaten von Wirtschaft und Politik geht. Ein Sturzbach von Steuergeldern, der zur Abwendung der Bankenkrise die Mittel aus den Händen der Ärmeren in die der Reichen und Superreichen (Gläubiger) geschwemmt hat – viele sehen darin ein amoralisches Menetekel. Die Leute empören sich, wenn sie von Attac oder aus anderen Quellen hören, dass gerade Österreich innerhalb Europas zur Oase für die Superreichen geworden ist, oder wenn man ihnen sagt, dass sich hier – wie auch in Deutschland – 60% das Volksmögen in den Händen einer finanziellen Oberschicht von 10% der Bevölkerung konzentriert.
Was könnte also mehr verdiente Aufmerksamkeit und Beifall erregen als die Ankündigung eines österreichischen Kanzlers, das man nun ernsthaft entschlossen sei, einen Schritt in Richtung größerer sozialer Gerechtigkeit zu wagen, sprich die großen Vermögen zu besteuern? Gewiss, eine Minderheit wird dadurch verärgert, aber bei einer überwältigenden Mehrheit macht man sich auf der Stelle beliebt. Leider hat die Sache gleichwohl einen Haken. Sie erscheint vielen, und zwar mit Recht, als bloßer Theaterdonner. Wenn ein und dieselbe Partei die Vermögenssteuer erst abschafft und sie dann mit viel Tam Tam wieder einführen will, dann ruft das berechtigte Skepsis hervor. Haben sich die Bedingungen, die zu ihrer Abschaffung unter dem Finanzminister Ferdinand Lacina führten, denn inzwischen wirklich geändert? Damals stellte man eine einfache Rechnung an. Was bringt dem Staat mehr: Die Beibehaltung oder gar Verschärfung einer Steuer, die schwer zu erheben ist, weil die großen Vermögen die Kunst ihrer legalen wie illegalen Verschleierung inzwischen bis zur Virtuosität beherrschen? Oder ihre vollständige Abschaffung, die sogleich mit einem Zustrom an Betrieben und Arbeitsplätzen nach Österreich belohnt wird? Der damalige Finanzminister hat sich – sekundiert von den nüchtern rechnenden Realpolitikern im linken Lager – für die zweite Alternative entschieden.
Wie die anderen Staaten der Europäischen Union hat sich auch Österreich ganz den Zwängen der Globalisierung gefügt. Diese hat inzwischen eine klar umrissene Bedeutung: Jeder Staat ist eifersüchtig darum bemüht, den eigenen Standort für das internationale Finanzkapital attraktiv zu machen, sprich, es mit immer neuen Vergünstigungen zu ködern. Das weiß die österreichische Sozialdemokratie natürlich genauso gut wie ihr Koalitionspartner, die Volkspartei (ÖVP). Diese hat die Forderung nach Wiedereinführung einer Vermögenssteuer denn auch mit unwilliger Gebärde zurückgewiesen, wohl wissend, dass hier nur Propaganda im Spiele ist. Denn unter den herrschenden Umständen kann sich keine Partei erlauben, die Reichen und Superreichen ernsthaft zur Kasse bitten. Wenn das trotzdem geschehen sollte, machen sich die letzteren mit der Kasse unter dem Arm eben einfach auf und davon – und zwar zugleich mit Betrieben und Arbeitsplätzen. Der daraus resultierende Schaden ist ungleich größer als der überschaubare Nutzen der betreffenden Steuer. Das ist den führenden politischen Parteien schon deshalb bewusst, weil sie sich im Laufe der Jahre ja freiwillig immer abhängiger von diesen äußeren Zwängen machten. Daher drängt sich der Schluss auf, dass hier nur ein Sommerloch gefüllt worden ist. Aber bekommt es der Demokratie wirklich gut, wenn die Politik nur Theaterdonner verbreitet?
Gewiss, eine richtig bemessene Vermögenssteuer ist ein wichtiges Instrument, um die Gesellschaft vor dem Zerfall in wenige Superreiche und ein wachsendes Prekariat zu bewahren. Und mindestens ebenso wichtig ist für eine demokratische Gesellschaft, dass sie die Ausübung privater Macht aufgrund exorbitanter individueller Vermögen verhindert. In finanzieller Hinsicht darf man aber selbst dann nicht zu viel von einer solchen Steuer erwarten, wenn ein Staat sie unabhängig von äußeren Zwängen auch jetzt noch einführen könnte. Das beweist eine einfache Überschlagsrechnung. Die gesamten Schulden von Staat und Unternehmen sowie die ihnen entsprechenden Guthaben belaufen sich in Deutschland auf ein Vierfaches des BIP (8000 Mrd Euro). Davon befinden sich etwa 60% in den Händen der oberen 10%, also ca. 4800 Mrd (ganz genau weiß das niemand, weil Milliardäre und Millionäre aus begreiflichen Gründen kein Interesse daran haben, das Geheimnis ihrer Vermögen im Gegenzug für ein paar lumpige Euro Entgelt an die Beauftragten von wissenschaftlichen Forschungsinstituten zu verraten, die sich bei ihnen mit den entsprechenden Fragebögen anmelden. Am verlässlichsten sind immer noch die Erkenntnisse großer Vermögensverwalter wie Merrill Lynch/Cap Gemini Ernst & Young). Zwischen 40 bis 50% der genannten Guthabensumme von 8 Bio Euro werden allein von den reichsten 5% Deutschen gehalten. Das sind etwa vier Mio Menschen. Angenommen diese verfügen über 50% der Summe, dann nennen vier Millionen Deutsche insgesamt ein Gesamtvermögen von 4000 Mrd Euro ihr eigen. Auf alle Köpfe gleichmäßig verteilt, würde jeder von ihnen 1 Mio Euro Privatvermögen besitzen.
Das ist viel Geld. Doch wenn wir keinen Zwangs- und Ameisenstaat erstreben, in dem alle in dieselben blauen Kittel gekleidet sind und der Wohn- und Lebensbedarf strikt auf das gleiche Ausmaß zurechtgestutzt wird, dann dürfen wir nicht das Vermögen an sich in Frage stellen, sondern nur dessen Übermaß. In demokratischem Einverständnis sollte der Staat eine Obergrenze bestimmen, die er dort ansetzen wird, wo das Vermögen nicht mehr dem Konsum – so großzügig wir ihn auch bemessen -, sondern allein dem Zweck der privaten Machtausübung und Machtdemonstration dient. Ich habe vorgeschlagen, diese Obergrenze bei 2 Mio. Euro anzusetzen – und zwar zuzüglich zum eigengenutzten Vermögen an Wohnraum, Grundstück und Fahrzeug, welche der Staat bei minimaler Größe überhaupt nicht besteuert, bei wachsendem Umfang aber progressiv belastet.
Das oberste Prozent der Deutschen (ca. 800 000 Personen) liegt mit seinen Pro-Kopf-Guthaben weit über dem Maximum von 2 Mio, da es innerhalb der reichsten fünf Prozent wiederum über den Löwenanteil verfügt. Würde der Staat allein diesen Überhang abschöpfen, so könnte er mit einem Schlag einen wesentlichen Teil seiner Schulden von 80% des BIP (oder weniger als 2000 Mrd Euro) annullieren. Danach würde die Vermögenssteuer dem Staat allerdings keine weiteren Einnahmen bescheren, weil jeder sich hütet, über die maximale Grenze von 2 Mio Euro hinauszugeraten. Überschüssiges Geld würde – eine sehr wünschenswerte Entwicklung – in den aktuellen Konsum abströmen.
Doch, wie gesagt, äußere Zwänge machen die Einführung dieser oder anderer Vermögenssteuern gegenwärtig unmöglich. Alle Eingriffe, die das große Vermögen belasten oder auch nur verschrecken, verbieten sich, weil sie der Bevölkerungsmehrheit mehr Schaden als Nutzen brächten. Marionettengleich hängt die Politik heute an genau jenen Fäden, die sie während der vergangenen zwei Jahrzehnte selber geflochten hat. Dennoch. Sie ist keineswegs dazu verdammt, nur noch Theaterdonner zu inszenieren. Es gibt immer noch ungenutzte Handlungsspielräume! Wenn es dem Staat gelingt, mit einer radikalen Reform die Situation der Unternehmen entscheidend zu verbessern – und damit Kapital anzuziehen – und zur gleichen Zeit die Forderungen der Bevölkerungsmehrheit nach größerer sozialer Gerechtigkeit zu erfüllen, dann hätte er einen Ausweg aus einer Situation gefunden, die andernfalls wie eine Quadratur des Zirkels erscheint. Eine solche Reform ist möglich. Sie liegt in der Befreiung der unternehmerischen und der abhängigen Arbeit von aller Besteuerung. Die Folge ist eine Entfesselung von Kreativität und Leistung.
Diese Maßnahme setzt freilich voraus, dass der Staat zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben weiterhin über ein mindest gleich großes Steueraufkommen verfügt. Wenn er auf die Besteuerung von Kreativität und Leistung verzichtet, dann muss er im Gegenzug auf den Verbrauch zugreifen. Unternehmen werden für ihren Verbrauch an Rohstoffen besteuert sowie für eventuelle von ihren Produkten verursachte Umweltschäden (gemäß einem Vorschlag von Prof. Gerhard Scherhorn könnte jedes Unternehmen ein anderes wegen Wettbewerbsschädigung klagen, wenn es sich durch die Externalisierung von Kosten unerlaubte Wettbewerbsvorteile verschafft). Endkunden entrichten Steuern auf ihren individuellen Konsum, und zwar mit einer echten Verbrauchssteuer, wie sie bisher noch nicht konzipiert, geschweige denn realisiert worden ist. Denn die Mehrwertsteuer besteuert gerade nicht den Verbrauch, obwohl viele Ökonomen sie fälschlicherweise immer noch als Verbrauchssteuer bezeichnen. Sie ist eine Steuer auf die Leistung von Unternehmen, die von diesen auf den Endverbraucher abgewälzt wird. Eine echte Besteuerung des Konsums richtet sich ausschließlich nach dem individuellen Verbrauch und belastet diesen in progressiver Weise (direkte progressive Verbrauchssteuer). Der einzelne dient dem Gemeinwohl mit umso größeren Beträgen, je mehr er diesem durch seinen privaten Verbrauch entzieht. Solange er nur ein Minimum an Grundstück, Wohnfläche, Fortbewegungs-, Nahrungs- und Kommunikationsmitteln für seinen privaten Konsum in Anspruch nimmt, entrichtet er keine Steuer, jenseits dieses Lebensminimums aber tritt eine Steuer in Kraft, die in einstellbarem Steilheitsgrad progressiv zunimmt, so dass jene, die über Luxusimmobilien verfügen und ein halbes Leben auf ihren Yachten verbringen, ein gutes Gewissen haben: Für ihren Luxus entrichten sie auch ein Vielfaches an Steuern.
Im Hinblick auf das Steueraufkommen sind beide Steuerarten, die direkte progressive Einkommens- und die direkte progressive Endverbrauchsteuer, streng symmetrisch. Die Steuer wird nur von der Seite der individuellen Leistung auf die des individuellen Konsums verlagert. In ihrer Wirkung auf den sozialen Körper aber unterscheiden sie sich diametral. Die Besteuerung von Kreativität und Leistung ist ein sozialpsychologisches und ökonomisches Übel, da sie den Einzelnen für das bestraft, was er der Allgemeinheit gibt, und zwar umso stärker, je mehr er ihr gibt. Die neue Steuer ist auf evidente Weise gerecht, weil jeder ausschließlich dafür belastet wird, was er der Allgemeinheit nimmt, und zwar umso stärker, je mehr er ihr nimmt. Diese Steuerrevolution hat noch eine weitere höchst wünschenswerte Folge. Während die unheilvollen Zwänge der Globalisierung nationale Alleingänge in vielen Bereichen verbieten, gehört die Umstellung auf eine reine Besteuerung des Verbrauchs noch einem Freiraum an, den ein Staat, ohne das Finanzkapital gegen sich aufzubringen, für sich zu nutzen vermag. Die Industrie kann nämlich gegen eine solche Reform kaum Einspruch erheben, da sie schlagartig von gewaltigen administrativen Lasten befreit wird (hierzu vgl. „Wohlstand und Armut“ und „Neuer Fiskalismus“ auf meiner Website). Die Bevölkerung aber fühlt sich zum ersten Mal gerecht behandelt: Lohn- und andere Einkommenssteuern entfallen, die sozial ebenso wie ökologisch schädliche Mehrwertsteuer gehört der Vergangenheit an. Jeder Staat, der hier als Pionier vorangeht, erteilt der Wirtschaft einen gewaltigen Stoß nach vorn.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Umstellung auf eine reine Besteuerung des Verbrauchs ist selbstverständlich keine Maßnahme zur Rettung des Euro. Wir wohnen gegenwärtig einer griechischen Tragödie bei, in der das angekündigte Unheil allen Beschwörungen zum Trotz erst einmal seinen unabwendbaren Gang antritt. Doch die längst überfällige Beseitigung des staatlichen Zugriffs auf Kreativität und Leistung ist sehr wohl ein Rezept, um nach dem teilweisen Zusammenbruch der bisherigen Wirtschaftsordnung einen Neubeginn einzuleiten, der dann wieder einen echten Aufschwung ermöglicht! Das wäre ein Thema abseits des üblichen Sommertheaters, ein Thema für die Zeit nach der Krise.
(( Postskriptum
Gerechterweise möchte ich an dieser Stelle einmal bemerken, dass einige der in meinen Aussendungen vertretenen Ideen direkt oder indirekt auf Anregungen beruhen, die ich durch meine zeitweise Zugehörigkeit zu zwei Wiener Vereinigungen empfing – die eine der sogenannte Wiener Wirtschaftskreis, die andere der ebenfalls in Wien beheimatete Föhrenbergkreis. Der ersten dieser beiden Diskussionsgruppen gehörten so illustre Namen wie die Wirtschaftsprofessoren Kazimierz Laski und Kurt Rothschild sowie der ehemalige österreichische Finanzminister Ferdinand Lacina als aktive Mitglieder an. Es war für den Geist dieser beiden Vereinigungen bezeichnend, dass sie sich mehr an den gewichtigen Problemen der Zeit als an ideologischer Zugehörigkeit orientierten. Nur so wird der bemerkenswerte Umstand verständlich, dass teilweise dieselben Leute (Erhard Glötzl, Günther Robol, der Wirtschaftsprofessor Stefan Schleicher und ich) im linken Kreisky Haus, dem Treffpunkt des Wienerwirtschaftskreises, zusammenkamen wie in der rechtsorientierten Industriellenvereinigung. Meiner früheren Zugehörigkeit zum Föhrenbergkreis ist übrigens zu verdanken, dass man mir freundlicher- wenn auch wohl unfreiwilligerweise die Liste der eMail-Adressen interessierter Sympathisanten zukommen ließ.
Es verdient hier bemerkt zu werden, dass Dr. Glötzl ebenso wie ich selbst seit mehr als einem Jahrzehnt die von übermäßiger Verschuldung ausgehenden Gefahren erkannten. Beide sind wir in dieser Hinsicht Helmut Creutz verpflichtet, der die Schulden- und Guthabenproblematik zum Angelpunkt seines „Geldsyndroms“ machte. Im Nachhinein darf wohl behauptet werden, dass in diesen beiden Kreisen die Gefahr der uns heute drohenden Krisen deutlicher als anderswo vorhergesehen und abgeschätzt wurde. Allerdings gingen die Vorschläge zur Therapie der so deutlich vorausgesehenen Übel weit auseinander. Helmut Creutz orientiert sich an den Forderungen von Silvio Gesell und befürwortet daher eine Ablösung des herrschenden Zinssystems. Nach Veröffentlichung des „Pyramidenspiels“ konnte ich ihm darin nicht länger folgen, und zwar nicht, weil ich diese Vorschläge für unrichtig halte, sondern weil Zinsen nur eines von mehreren Instrumenten zur Anhäufung großer Vermögen sind. Die Tendenz einer stetigen Konzentration von Reichtum in wenigen Händen beseitigt man nicht durch Eingriffe in das bestehende Geldsystem.
Zu dieser Einsicht muss wohl auch Erhard Glötzl gelangt sein, der daher eine Reduktion der Verschuldung durch den Abbau der ihnen entsprechenden Guthaben verlangt – und das vor allem durch eine Besteuerung der großen Vermögen. Dieser Weg ist zweifellos richtig, aber er ist, wie oben gesagt, undurchführbar, solange die Möglichkeit der Kapitalflucht besteht.
Ich kann mich erinnern, dass Herr Robol in eher beiläufiger Weise einmal die Forderung nach einer Aufhebung von Unternehmenssteuern in die Debatte warf. Könnte man ihn einfach dem neoliberalen Lager zurechnen, so würde diese Anregung keines weiteren Kommentars bedürfen. Aber Herr Robol ist ein sehr scharfsichtiger Kritiker des gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Was er sich bei seiner damaligen Äußerung dachte, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht wollte er die Unternehmen nur für ihren Verbrauch an Rohstoffen etc. besteuern. Dann hätte er mit diesem Gedanken einen ersten Schritt auf einem richtigen Weg gewagt. Nur muss man dann auch den Mut besitzen, den zweiten Schritt zu vollziehen. Es genügt nicht, den Unternehmern ein weiteres Geschenk anzubieten – davon haben sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon genug bekommen. Vielmehr kommt es darauf an, Angestellte, Arbeiter und Unternehmer gemeinsam von allen Steuern auf Kreativität und Leistung zu befreien. Den entscheidenden und doch so naheliegenden Schritt zu einer Umstellung des geltenden Steuersystems auf den Verbrauch hat man weder im Föhrenbergkreis noch im Wiener Wirtschaftskreis vollzogen.))