von Friedrich Müller-Reissmann
Verstellung und Verblendung: Die Selbstimmunisierung der Verschwörungstheorie
Wer wollte bezweifeln, dass es Verschwörungen gibt, geheime Pläne und Absprachen, um bestimmte (politische) Ziele zu erreichen, z.B. eine Regierung zu stürzen oder umgekehrt um deren Macht zu stabilisieren? Es gehört zum Wesensmerkmal einer Verschwörung, dass die Verschwörer alles tun werden, um den Eindruck zu erwecken bzw. zu erhalten, dass es gar keine Verschwörung gäbe. Und hier hat das Verwirrspiel der Verschwörungstheoretiker seine Wurzel, hier liegt gewissermaßen für sie das „gefundene Fressen“. Man kann alle möglichen Verdächtigungen aufbringen und Behauptungen über die Existenz einer Verschwörung aufstellen, ohne sich davon irritieren zu lassen, dass die Beweise dafür fehlen. Das Fehlen der Beweise zeigt doch nur, dass die Verschwörer sie beseitigt haben, und dass sie das so perfekt konnten und kein Journalist, keine Behörde, kein Spitzel etwas wirklich Handfestes gefunden hat, zeigt, wie weit der Arm der Verschwörer schon reicht und wie gefährlich die Verschwörung ist. Wir haben hier, die „sich selbst beweisende Behauptung“, die typische Denkfigur der Verschwörungstheorie, die sich gegenüber Kritik und Zweifel an ihr auf die denkbar wirkungsvollste Weise immunisiert: indem sie die Existenz von Kritik und Zweifel in eine Bestätigung der Theorie ummünzt. Beweist sich hier doch, wie effektiv die Verschwörer ihre wahren Absichten tarnen und sich verstellen. Im Begriff der „Verstellung“ kulminieren die moralische Minderwertigkeit und die beängstigenden Fähigkeiten der Verschwörer. Und selbst wenn kluge und informierte Leute diese Gefahr in Abrede stellen, umso schlimmer: es zeigt; wie heimtückisch und raffiniert die Verschwörer agieren, dass es ihnen gelingt, selbst die Klügsten einzulullen und zu täuschen. So kommt es zu dem paradoxen Sachverhalt: je mehr die Verschwörung bezweifelt wird, desto fester ist der Verschwörungstheoretiker von ihrer Existenz überzeugt.
In dieser unterstellten Perfektion der Verschwörer, ohne die die Verschwörungstheorie nicht auskommt, zeigt sich schon ihre Realitätsferne. Denn menschliches Handeln ist niemals perfekt. In allen Projekten unterlaufen Fehler, kommt es zu Pannen, nicht selten geht es stümperhaft und chaotisch zu. Die Unterstellung der Perfektion bedeutet die Unterstellung allmachtartiger Fähigkeiten.
Verschwörungstheorien sind gegenüber allen Argumenten völlig resistent und dabei paradoxerweise zugleich ganz offen – den zustimmenden sowieso und den Gegenargumenten erst recht. Das funktioniert, indem der Verschwörungstheoretiker nach Belieben von der Metaebene, auf der über die Theorie diskutiert wird, in die Objektebene seiner Theorie springt und seinen kritischen Gesprächspartner zum Objekt seiner Theorie macht. Stimmt B der Verschwörungstheorie von A zu, so wird er von A auf der Metaebene als eigenständig denkende Person akzeptiert. Lehnt er sie ab, wird er in die Objektebene versetzt. A hat in seiner Verschwörungstheorie die Erklärung dafür parat, warum B widerspricht: er ist ein von den Verschwörern „Verblendeter“.
Für eine Verschwörungstheorie sind zwei Unterstellungen charakteristisch, an denen sie leicht und eindeutig als solche zu erkennen ist: die Verschwörer sind abgrundtief böse (verfolgen böse Ziele bzw. fügen der Allgemeinheit schlimmen Schaden zu) und sie besitzen dazu allmachtähnliche Fähigkeiten. Erst dadurch gewinnt die Verschwörung die von den „Verschwörungstheoretikern“ beschworene beängstigende Dimension. Zu den Fähigkeiten, über die die Bösen verfügen, gehört, dass sie ihre Gefährlichkeit vor den Augen selbst kritischer Menschen tarnen und verstecken können. Dazu müssen die Verschwörer nicht nur in der Lage sein, sich selbst zu verstellen, sondern auch die Dinge insgesamt so zu arrangieren (was vor allem einen entsprechenden Einfluss auf Wissenschaft, Medien, Politik, Finanzwelt usw. voraussetzt), dass die Zeitgenossen unbekümmert ihr normales Mainstream-Weltbild pflegen, in dem eine derartige Verschwörung undenkbar ist. So können die Verschwörer unbemerkt von der Mehrheit einen nach dem anderen in ihr „finsteres Reich“ hinüberziehen, bis die Zeit reif ist, um aus der Deckung herauszutreten und die Macht zu übernehmen.
Die Theorie der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken
Es gibt eine Reihe von Geldtheoretikern, die den Geschäftsbanken unterstellen, Kredite „aus dem Nichts schöpfen“ zu können, d.h. Kredite zu vergeben, ohne sich um entsprechende Einlagen zu kümmern. Den Zinseinnahmen der Banken für die vergebenen Kredite würden durch keinerlei Zinskosten für Einlagen geschmälert. Da Kredite getilgt werden müssen, bekämen also die Banken ein Geld real zurück, was sie niemals gehabt haben. Eine Art Lizenz zum Gelddrucken mit der schönen Zugabe, dass diese Lizenz, anders als es sonst üblich ist, nichts kostet, sondern noch durch Zinseinnahmen vergoldet wird.
Diese Theorie unterstellt den Banken Handlungen zu ihrer eigenen Bereicherung mit dem „Nebeneffekt“, dass ein unkontrollierbares Inflationspotential aufgebaut wird. Die Banken nehmen also für ihre Selbstbereicherung eine äußerst problematische, schwerwiegende Schädigung der Allgemeinheit in Kauf. Banken handeln kriminell, sind „abgrundtief böse“.
Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage, warum der Staat, der Vertreter des Allgemeinwohls, nichts gegen eine solche Bankpraxis unternimmt. Die Antwort kann nur lauten: weil die Banken den Staat in der Hand haben! Aus der Unterstellung des kriminellen Geldschöpfung folgt logisch das zweite typische Grundmerkmal einer Verschwörungstheorie: die Banken verfügen über allmachtartige Fähigkeiten.
Üblicherweise lässt das Wort „Verschwörung“ an ein heraufziehendes Unheil denken, zu dessen Verhinderung Gegenkräfte mobilisiert werden sollen. Die Geldschöpfungstheorie hingegen richtet den Blick auf ein Unheil, das bereits voll im Gang ist, und auf Verschwörer, die längst die Macht an sich gerissen haben. Ihnen gilt es, endlich das Handwerk zu legen. Die Idee der MONETATIVE von Bernd Senf u.a. wird als Mittel dazu propagiert.
Seit Jahren, ja seit Jahrzehnten wird nun immer wieder die Behauptung von der Geldschöpfung durch die Banken aufgewärmt und diejenigen Geldtheoretiker, die ihre Skepsis nicht aufgeben wollen, als in einem „überholten Paradigma gefangen“ hingestellt.
Kürzlich meinte ein Bekannter: „ Mir ist diese endlose Streiterei der Theoretiker darüber, ob die Banken Kredite ohne entsprechende Einlagen vergeben können oder nicht, völlig unverständlich. Warum fragt man nicht einfach mal die Praktiker, wie es ist?“ „Ha“, würde der Geldschöpfungstheoretiker sagen, „gerätst du mit der Frage an einen eingeweihten Banker, so wird der dir gerade die Wahrheit sagen! Da kannst du auch gleich den Teufel fragen, ob es Hexen gibt oder nicht. Und gerätst du an einen uneingeweihten, dann beweist das nur, dass die Verschwörer über so raffinierte Vertuschungsmethoden verfügen, dass sie ihre Machenschaften sogar vor ihren eigenen Leuten verbergen können“. Und schon ist man mitten im Gedankendschungel einer ganz typischen Verschwörungstheorie.