Globalisierung ist Heilsbotschaft: Wohlstand als unbegrenzter Konsum. Wer dagegen Einspruch erhob, mochte sich intellektuell noch so sicher fühlen, bei der Menge ist er damit nicht angekommen. Die Lust am Immer-Mehr, die inzwischen die Menschen des ganzen Globus erfasst, zumindest jene, die sich den neoliberalen Spielregeln unterwerfen, hat alle Kritik, wenn nicht zum Verstummen gebracht so doch zum unhörbaren Flüstern ohnmächtiger Statisten entwertet. Die Lust an der Ausweidung des Planeten zum Zweck eines nie endenden Wachstums ließ sich man sich nirgendwo durch die Gutmenschen verderben. Sie war und ist bis heute so übermächtig, dass sie aus chinesischen Steinzeitkommunisten innerhalb einer einzigen Generation die rabiatesten Praktikanten des Kapitalismus gemacht hat. Und bei uns im westlichen Lager hat sie genauso erstaunliche Verwandlungen bewirkt, zum Beispiel jene, dass linke und rechte Parteien in ihrer Politik nahezu ununterscheidbar wurden – beide fixiert auf ewiges Wachstum unter den Diktaten des Kapitals. Vor allem hat diese Lust, nein diese Gier nach dem Immermehr aus dem größten und ältesten demokratischen Staatswesen der Welt heute de facto eine Plutokratie gemacht, in der Präsidenten danach ausgesucht werden, ob sie die Weisungen einer sehr kleinen Schicht von HNWIs (ultra high net-worth individuals) jenen Charme zu verleihen vermögen, der immer noch nötig ist, um das geringe Volk bei Laune und in Gehorsam zu halten.
Angesichts dieser Fixierung auf das Immer-Mehr des großen Konsumpotlatsch ist die Devise gegenüber Warnern und anderen Gutmenschen überall gleich: Sie lautet „nicht einmal ignorieren“ oder – wie mit einer Reihe von NGOs geschehen – mit Zuckerln gefügig machen. Nur unter dieser Bedingung konnte die neoliberale Walze aus sozialer Kernspaltung und Umweltzerstörung den Globus widerstandslos überrollen. Ich bin überzeugt, dass dies erst der Anfang einer schließlich auch den letzten Winkel kolonisierenden Machtzugriffs wäre, wenn diese Walze nicht plötzlich auf ein Hindernis auflaufen würde. Auf einmal existiert eine Gegenkraft, die viel mächtiger ist als alle Warner und Gutmenschen zusammen. Nicht diese sind es, die die Walze zum Stehen bringen, sondern der unglaubliche Erfolg der globalen Wachstumsmaschine selbst. Was die Menschheit in den hunderttausenden Jahren ihres bisherigen Bestehens nicht fertig brachte, das hat sie innerhalb der lächerlich kurzen Zeitspanne von nur dreihundert Jahren geschafft. Die Menschheit steht heute vor den apokalyptischen Auswirkungen ihres eigenen, erstaunlichen, aber inzwischen leider nicht mehr bewunderungswürdigen Könnens. Besessen von dem manischen Zwang ewigen Wachstums ist es ihr bereits heute gelungen, die Rohstofflager für einige unter bisherigen Wirtschaftsbedingungen überlebenswichtige Rohstoffe so weit zu entleeren, dass deren völliger Verbrauch absehbar ist – ja, bei einigen von ihnen wie Öl und Gas innerhalb von nur einer Generation abgeschlossen sein wird. Das ist es, was die andernfalls unaufhaltsame Walze der Globalisierung zum Stehen bringt. Denn von diesem Versiegen ist nicht weniger als die Grundlage der weltweiten Produktions- und Konsummaschinerie betroffen. Der globale Countdown des industriellen Zeitalters ist schon im Gange. Es ist die Natur, die bei diesem größten Experiment in der Geschichte des Menschen nicht länger mitspielt.
Was das konkret bedeutet, ist dem hier anwesenden Publikum natürlich bekannt. Die Wissenschaft hat das nützliche Konzept des ökologischen Fußabdrucks geschaffen. Bis zum Beginn der fossilen Zeitenwende vor dreihundert Jahren hat die Menschheit durch ihre physischen Bedürfnisse weniger vom Planeten verbraucht, als dieser ihr durch nachwachsende Güter Jahr um Jahr zur Verfügung stellte. Der globale ökologische Fußabdruck der Menschheit war bis dahin also kleiner als ein Planet. Wenn der Mensch Wild erlegte oder Getreide pflanzte, so wandte er dafür weniger Energie auf, als er in Form von Nahrung zurückerhielt. Vor Beginn der fossilen Epoche hätte sich ein Wissenschaftler nicht einmal vorzustellen vermocht, dass es jemals anders sein konnte. Auf die Frage, wie viele Welten erträgt die Welt, hätte er nur die eine Antwort zu geben vermocht: natürlich nur eine einzige! Doch, wie wir inzwischen wissen, hätte er damit die industrielle Zukunft des Menschen ganz falsch eingeschätzt. Während der letzten dreihundert Jahre hat die Menschheit zu ihrem Erstaunen entdeckt, dass der Globus eine Schatzkammer ist, reich gefüllt mit energiehaltigen Stoffen in festem, flüssigen und gasförmigen Zustand. Mit einem Schlag wurde das bis dahin gültige eiserne Gesetz abgeschafft, wonach uns unsere Nahrung mehr Energie liefern muss, als wir vorher zu ihrer Gewinnung verausgabt haben. Seitdem können wir zehn Energieeinheiten bei ihrer Erzeugung verwenden, auch wenn wir nur eine einzige davon zurückerhalten. Die unterirdischen Schätze machen es möglich. Tatsächlich besteht heute im Schnitt etwa dieses Verhältnis: 10 Energieeinheiten input sind nötig, um eine Energieeinheit output zurückzugewinnen.
Und hier erweisen die Berechnungen des ökologischen Fußabdrucks ihre ganze Brisanz. Hatte die Menschheit noch vor dreihundert Jahren weniger als einen Planeten benötigt, um auf diesem auskömmlich leben zu können, so braucht sie inzwischen wesentlich mehr, dann nämlich, wenn ihr die fossile Energie ausgeht, wie das jetzt schon für die kommenden Jahrzehnte absehbar, spätestens aber für unsere Enkel eine unabwendbare Entwicklung ist. Wie viele Welten die Welt verträgt, ist damit natürlich durchaus nicht beantwortet. Faktum ist nur, dass sie gegenwärtig mehr als einen Planeten ertragen muss. Denn bei vorsichtiger, also eher untertriebener Schätzung verbraucht die Menschheit gegenwärtig insgesamt um ein Drittel mehr Ressourcen als die Natur bei nachhaltiger Bewirtschaftung bereitstellen kann. Viel schlimmer steht es noch, wenn wir unseren Blick auf Europa richten. Würden alle Länder so viel natürliche Ressourcen benötigen wie etwa Deutschland und Österreich würde die Menschheit zweieinhalb Planeten benötigen.
Solange die fossilen Schätze unerschöpflich schienen, brauchten wir uns darüber keine Gedanken zu machen. In der Tat hat sich auch bis zur Studie des Club of Rome im Jahre 1973 fast niemand darüber Gedanken gemacht. Die Verheißung auf unendlichen Reichtum wurde inbrünstig geglaubt, und der fossile Segen hatte auch unmittelbare demographische Folgen. Seit 1940, als das universal einsetzbare Öl zur vorherrschenden Energiequelle wurde, hat sich die Zahl der auf dem Planeten lebenden Menschen mehr als verdoppelt.
Was wird auf einem Planeten geschehen, der in absehbarer Zeit an den wichtigsten Rohstoffen so leer sein wird wie eine ausgequetschte Zitrone? Meines Erachtens kommen überhaupt nur drei Möglichkeiten in Betracht. Die erste besteht in Wundern der Wissenschaft, zum Beispiel in der Entwicklung von Fusionsreaktoren, die alle Probleme der Energie mit einem Schlage beseitigen würden. Warum ich darin eine nicht nur trügerische sondern gefährliche Hoffnung sehe, werde ich noch begründen. Die zweite besteht in radikalem Verzicht. Da die Weltbevölkerung insgesamt um ein Drittel mehr verbraucht als der Planet ohne fossile Quellen herzugeben vermag, müsste sie auf genau dieses Drittel verzichten. In spätestens dreißig Jahren darf sie also nur noch zwei Drittel der heutigen Energiemenge verbrauchen und muss um ein Drittel weniger Umweltgifte absondern als heute. In Europa wären wir aber darüber hinaus zu noch viel weiter reichenden Verzichtsmaßnahmen gezwungen. Da wir jetzt den Gegenwert von zweieinhalb Planeten verbrauchen, müssten wir unsere Ansprüche um den Faktor 2,5 reduzieren, also den Verbrauch fast auf ein Drittel des heutigen reduzieren bzw. ihn auf erneuerbare Quellen umstellen. Sollten wir dazu nicht in der Lage sein, dann bliebe nur noch die letzte und dritte Möglichkeit. Die Bevölkerung müsste weltweit um ein Drittel schrumpfen, nur dann würde ihr ökologischer Fußabdruck in der postfossilen Epoche wieder der Leistungsfähigkeit des Planeten entsprechen. Bei uns in Europa müsste sie sogar von derzeitig 491 Mio. auf knapp 200 Mio. Einwohner sinken, damit diese sich denselben üppigen Lebensstandard wie zuvor genehmigen könnten. Ihr seht, vor welchem Dilemma wir stehen. Damit die alten Menschen auch in Zukunft genug Rente bekommen, müsste der Zustrom arbeitsfähiger junger Menschen und damit die Bevölkerung sich noch vergrößern, damit wir nachhaltig überleben, müsste sie umgekehrt radikal zusammenschrumpfen. Ich brauche nicht zu betonen, dass in der Vergangenheit ein starkes Bevölkerungsschrumpfen fast immer gewaltsam erfolgte: durch Kriege und andere Katastrophen.
Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die hervorstechendsten Bereiche der Überbeanspruchung des Planeten. Da begegnen wir zunächst der Problematik des Wassers. Von der Wasserknappheit im Vorderen Orient und in Afrika haben die meisten von Ihnen gehört. Ebenso sehr muss es beunruhigen, dass diese inzwischen auch zu einem Hauptproblem für eine kommende Großmacht geworden ist. In China sind Dreiviertel aller Seen vergiftet und die Hälfte alles zur Verfügung stehenden Grundwassers ist für menschlichen Genuss nicht länger geeignet. Trotz allen äußerlich sichtbaren Fortschritts sind dort also bereits die Lebensgrundlagen bedroht. Manche werden vielleicht der Meinung sein, dass die Zustände im fernen China uns wenig angehen müssen. Immerhin können wir uns der besonderen Qualität der meisten heimischen Wasservorkommen rühmen. Aber die Zustände im fernen Osten gehen uns sehr wohl etwas an. Sie beruhen nämlich wesentlich darauf, dass wir einen so bedeutenden Teil unserer heimischen industriellen Produktion, und zwar gerade ihre schmutzigsten Bereiche, von Europa nach China verlagert haben. Vor dieser Auslagerung war auch das Wasser in China sauber. Nebenbei bemerkt haben wir auch keinen Grund uns darüber zu freuen, dass die Bilanz der Umweltvergiftung z. B. durch CO2 bei uns wesentlich günstiger ausfällt – auch diesen Vorteil verdanken wir vor allem der Auslagerung, die in diesem Fall natürlich auch zerstörerisch für uns selber ist. Mit dem Gift in ihren Gewässern müssen die Chinesen im eigenen Land fertig werden, der wachsende CO2-Ausstoß ihrer Industrien, der den des bisherigen Spitzenreiters USA in absoluten Zahlen bereits übertrifft, ist aber für das Weltklima insgesamt und damit für alle Erdbewohner eine akute Bedrohung, zumal er mit jedem Tag wächst und China 70% seiner Energie aus stark schwefelhaltiger Kohle gewinnt: dem ärgsten Umweltverschmutzer.
Wasser ist auch indirekt als Nahrungsquelle bedeutsam, nämlich als Lieferant von tierischem Protein. Hier macht sich der ungeheure Druck einer in kurzer Zeit explosionsartig angewachsenen Weltbevölkerung besonders bemerkbar. Nicht weniger als ein Viertel der Fischbestände sind existenzbedroht, fünfzig Prozent bis an die Grenze ausgebeutet. Die Schwarzfischerei hat in den letzten Jahrzehnten so stark zugenommen, dass sich der Fang jeden dritten Fisches mittlerweile überhaupt jeder Kontrolle entzieht. Wenn es nicht gelingt, in den kommenden Jahren hier die Notbremse zu ziehen, sehen Wissenschaftler einen Kollaps dieser für viele Völker lebenswichtigen Nahrungsquelle voraus.
Dass die derzeitige Produktion von Nahrungsmitteln mit einem Verhältnis von zehn zu eins für Input zu Output nicht zukunftsfähig sein kann, davon war schon die Rede. Wir essen Öl. Ohne Öl (bzw. Gas) werden wir wieder gezwungen sein, Landwirtschaft in weit arbeitsintensiverer Form zu betreiben. Und das ist noch keinesfalls alles. Auf Kosten der Landwirtschaft geht in Deutschland, um nur ein Beispiel zu nennen, eine Emission von 133 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten – fast ebensoviel wie auf den gesamten Autoverkehr mit 152 Mio. Tonnen. Der Hauptverursacher dieser Klimabelastung ist unserem Luxus geschuldet, nämlich der Tierhaltung, die daran einen Anteil von drei Vierteln trägt. Rinder geben an beiden Enden beständig Methan von sich, und das ist 21-mal klimaschädlicher ist als CO2. Schlimmer ist aber, dass die für ihre Ernährung erforderlichen Düngemittel Lachgas absondern, ein Umweltkiller, der ganze 310-mal klimaschädlicher ist als CO2. Diese Problematik haben wir, nebenbei bemerkt, in der EU noch zusätzlich dadurch verschärft, dass wir fast sämtliche Sumpfgebiete entwässert haben – Sümpfe aber sind die größten Saugkissen für CO2.
Nicht nur Nahrung ist überlebenswichtig, sondern in unseren Gesellschaften ist es inzwischen ebenso die Mobilität. Wir haben die Produktions- und Versorgungsstätten (sprich Supermärkte) so weit von unseren Wohnstätten fortgerückt, dass sie weitgehend nur noch mit dem Auto erreichbar sind. Weltweit fließen daher an die 60 Prozent des geförderten Öls in den Verkehr. Und dieses Modell einer auf Mobilität angewiesenen Gesellschaft wird gegenwärtig auch auf China und Indien und bald den Rest der Welt übertragen. Die Folgen sind schon jetzt zu spüren: Ein Run auf die letzten Ressourcen hat eingesetzt, begleitet von überall drohender Kriegsgefahr. Weitsichtige Politiker und Philosophen wie Kurt Biedenkopf oder Friedrich von Weizsäcker hatten schon vor Jahrzehnten davor gewarnt, das westliche Modell des Individualverkehrs auf den Globus zu übertragen. Es sei nicht verallgemeinerungsfähig. Niemand hat bis heute auf die warnenden Stimmen gehört.
Diese unsere Verdrängungsbereitschaft angesichts unmittelbar bevorstehender Bedrohungen hat einen Klimawandel in Gang gesetzt, der sich neuerdings in dramatischem Tempo vollzieht. Das Schmelzen des Grönlandeises, schon einmal für die Zeit vor 100 000 Jahren bezeugt und damals von einem um drei bis fünf Meter höheren Meeresspiegel begleitet, schreitet gegenwärtig in solchem Tempo voran, dass selbst die Prognosen vom vergangenen Jahr sich als hinfällig erweisen: Alles scheint darauf hinzudeuten, dass Grönland bereits in etwa zehn Jahren wieder völlig eisfrei wird. Daher ist jetzt schon abzusehen, dass die meisten von uns noch erleben werden, wie eine Flüchtlingswelle von fünfzig Millionen Menschen sich von dort her in Bewegung setzt: Die Hälfte von Bangladesh wird dann unter Wasser stehen.
Lassen Sie mich zum Thema der Ausweidung des Planeten noch von den realen oder vermeintlichen Wundern der Wissenschaft reden. Das war eine der drei immerhin möglichen theoretischen Bedingungen, wodurch die Katastrophe abwendbar erscheinen könnte. Im Einzelnen ist es der Wissenschaft ja gerade während der vergangenen Jahre gelungen, spektakuläre Verbesserungen zu erzielen. Unsere Autos und Flugzeuge, unsere Leuchten und Elektrogeräte verbrauchen im Vergleich zur Vergangenheit nur noch einen Bruchteil der Energie. Pro Einheit Volkseinkommen setzen die modernen Unternehmen Europas viel weniger Energie ein als etwa vor einem halben Jahrhundert. Das ist die gute Nachricht, die schlechte besteht erstens darin, dass ein bestimmtes Minimum an Energie nicht weiter abgesenkt werden kann, und dass zweitens – und das ist entscheidend – all diese qualitativen Einsparungen durch quantitative Ausweitung mehr als wettgemacht werden. Unsere Autos verbrauchen weit weniger Sprit als früher, aber immer mehr von ihnen rollen auf einem immer dichteren Straßennetz und fast alle, die es sich leisten können, bevorzugen stärkere Motoren. Allen Fortschritten zum Trotz, die im Einzelnen erreicht worden sind, nimmt, global gesehen, die Umweltbelastung nicht ab, sie nimmt im Gegenteil auf erschreckende Weise zu.
Die Wunder zunehmender Energieeffizienz sind also, global gesehen, ohne Wirkung verpufft. Umso mehr rechnen viele Menschen mit dem eigentlichen Wunder. Ihr versteht schon, wovon ich spreche. Sie hoffen auf das Wunder einer unbeschränkten Energieversorgung durch Kernfusion. Die Aussichten dafür stehen möglicherweise nicht einmal schlecht, zumal die westliche Welt gewaltige Mittel in die entsprechende Forschung pumpt. Aber wäre uns damit wirklich geholfen? Um es geradeheraus zu sagen: Ich glaube, diese Perspektive ist nicht nur trügerisch, sie wäre sogar die gefährlichste von allen. Natürlich nicht in kurzfristiger Sicht, da würde eine derartige Energiebonanza im Gegenteil viele Probleme beseitigen. Kein Mangel an energetischer Kraft würde uns dann noch hindern, jede beliebige Menge an Maschinen und Apparaten zu erzeugen. Nur leider würde ein solches Füllhorn insgesamt verheerende Folgen haben. Umsatz und Verbrauch aller übrigen Rohstoffe würden sich dann auf rasante Art ausweiten und beschleunigen. Oder anders gesagt: Der auf programmierter Nicht-Nachhaltigkeit beruhende Kollaps würde sich auf der Basis von Kernfusion zwar etwas verzögern, aber am Ende umso dramatischer ausfallen.
Die vermeintlichen Wunder der Wissenschaft helfen uns nicht. Die Globalisierungswalze wird knirschend zum Stehen kommen, nicht ohne weite Teile des Globus vorher beschädigt zu haben. Und dieses Totlaufen durch den eigenen Erfolg, der in einer sich zuspitzenden Rohstoffkrise seinen dramatischen Ausdruck findet, wird auf das Verhältnis der Staaten tiefgreifende Auswirkungen haben. Die Rohstoffproduzenten, vor allem Russland, werden als Gegenleistung für unsere Abhängigkeit nicht mehr nur unsere Waren kaufen, sondern den Zugriff auf unsere Industrien verlangen. Dann sind es nicht nur, wie jetzt schon, die Regeln eines globalen Kapitalismus, die bei uns über Lohn und Arbeit entscheiden, sondern politische Mächte, die uns ihren Willen aufzwingen. Auch dass der Westen gegenüber schwächeren Ländern die Sicherung seines Rohstoffbedarfs unter Einsatz militärischer Mittel betreibt, ist für den Frieden sicher die schlechteste Lösung. Wenn die Kriegsgefahr nicht weiter anwachsen soll – was sie mit zunehmender Knappheit unfehlbar tut – dann gibt es nur einen Ausweg: die schnellstmögliche Befreiung von Öl- und Gasabhängigkeit durch den Übergang zu erneuerbaren Energien.
Gegenwärtig ist die Finanzkrise in aller Munde. Verglichen mit dem Schmelzen der Polkappen, der Verheerung der Meere oder auch nur der Vernichtung der letzten großen Wälder scheint die Erschütterung unseres Bankensystem ein unerhebliches Ereignis zu sein. Doch die allgemeine Wahrnehmung sieht es genau anders herum. Die Apokalypse der Natur erscheint vielen Menschen als ein fernliegendes, sie nicht unmittelbar betreffendes Ereignis, während die Angst vor dem Arbeitsverlust, dem Konjunktureinbruch, der Kernschmelze des Bankensystems ihnen die größte Angst einflößt. Diese Verschiebung der Perspektiven ist nicht ganz unberechtigt, denn es steht durchaus zu befürchten, dass die drohende Erschütterung des internationalen Bankensystems die Bestrebungen zum Umstieg auf erneuerbare Energien und zur Reduzierung unseres ökologischen Fußabdrucks mehr als nur hemmt – Massenarmut und –arbeitslosigkeit könnte sie ganz aus dem Bewusstsein verdrängen. Der in den USA bereits eingeleitete Konjunktureinbruch bedroht uns mit Wirkungen, die denen vom Ende der zwanziger Jahre vergleichbar sein werden. Und auch die Ursachen sind den damaligen zum Verwechseln ähnlich. Kein Geringerer als der erste Mann nach dem amerikanischen Präsidenten, Marriner Eccles, der damalige Notenbankchef unter Roosevelt, hat die Finger in die Wunde gelegt. Er sagte, was man bei uns nur von heillosen Gutmenschen hörte, gegen die man dann prompt den Vorwurf erhob, dass sie nur eine Neiddebatte entfachen. Die Worte des ehemaligen FED-Präsidenten sind deutlicher als alles, was über die damalige Krise gesagt worden ist, und sie gelten wortwörtlich für unsere heutige Situation. Ich zitiere:
Bis 1929 und -30 /also bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise/ hatte eine gewaltige Saugpumpe einen zunehmenden Anteil des erzeugten Reichtums in wenige Hände umgeleitet… und so die Kaufkraft aus den Händen der Mehrheit genommen… Die Massenproduktion /der modernen Industriegesellschaft/ beruht aber auf einem Massenkonsum, und dieser setzt die Verteilung des Reichtums voraus… um die Menschen mit einer Kaufkraft auszustatten, die der Menge der von der Wirtschaft produzierten Güter und Dienstleistungen entspricht.
Zitatende. Das ist in wenigen Sätzen eine Aussage von größter Einfachheit, die doch genau den Kern des Problems berührt. Denn dieselbe gigantische Umverteilung von unten nach oben im Anschluss an eine Zeit stürmischen Wachstums findet bei uns schon seit den achtziger Jahren statt. In Deutschland erreicht sie, wie ich in meinem Buch »Das Pyramidenspiel« zeigte, ziemlich exakt die Höhe der größten Massensteuer, also der Steuer auf Löhne. Ohne dass die meisten es auch nur ahnen, zahlen sie diese größte Steuer in Wirklichkeit zweimal, das erste Mal an den Staat, der sie ihnen in Form von Dienstleistungen wie Straßenbau, Bildungssystem etc. zurückgibt, ein zweites Mal an die reichsten zehn Prozent der Mitbürger ihres Landes – von denen sie nichts zurückerhalten, sondern Jahr um Jahr immer stärker ausgequetscht werden. Diese ungeheure Umverteilung hat dazu geführt, dass viele Gemeinden unter der Last der Schulden zusammenbrechen, dass Universitäten, früher einmal bestens ausgestattet, überall den Rotstift ansetzen und dass der Staat und die Mehrheit der Bürger an allen Ecken und Enden sparen müssen. Sie hat dazu geführt, dass die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse mit dürftigen Löhnen in den vergangenen zwanzig Jahren sprunghaft gewachsen ist, während andererseits die großen Flugunternehmen die Nachfrage nach Privatjets nicht mehr befriedigen können. In Österreich allein gibt es an die zwanzig Superreiche, die ihre eigenen Airbusse fliegen, wohlgemerkt Airbusse nicht etwa nur kleine Privatjets.
Etwa seit Ende der achtziger Jahre hat man die Bürger dazu konditioniert, an die wohltuenden Auswirkungen der Ungleichheit zu glauben. Macht die Reichen noch reicher, so wurde uns immer ungenierter gepredigt und auch von vielen geglaubt, dann fallen die Brosamen von ihren Tischen in die offenen Münder der Armen. Wie das Zitat des amerikanischen Notenbankchefs beweist und ebenso meine Untersuchungen im Pyramidenspiel trifft genau das Gegenteil zu. Die Armen und Arbeitslosen müssen sich mit Brosamen begnügen, weil die Reichen an üppig gedeckten Tafeln speisen. Das lässt sich übrigens auch mikroökonomisch belegen. Nirgendwo gibt es so viele Millionäre wie in Hamburg und Frankfurt, nirgendwo auch so viele Menschen, die von Sozialhilfe leben.
Wir müssen endlich zu der Einsicht gelangen, dass eine Ökonomie, die derartige ökologische und soziale Verwerfungen produziert, keine Zukunft hat und keine mehr haben darf. Die Therapie kann meines Erachtens nur darin bestehen, dass wir bei uns die Grundlagen für ein besseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem errichten. Wir haben der Welt ein falsches Modell angeboten – eines das in absehbarer Zeit die schlimmsten Katastrophen beschwört. Jetzt sind wir aufgerufen, ein besseres, nachhaltiges und menschlicheres zu entwickeln. Wohlhabend genug sind wir dazu auch heute noch. Es muss ein Modell sein, das andere übernehmen können, weil es im Unterschied zum jetzigen verallgemeinerungsfähig ist. Wenn Europa, ein Quell des Ideenreichtums in seiner ganzen Geschichte, hier einen neuen Beginn setzt, dann braucht es nicht länger eine Festung zu sein, denn Nachhaltigkeit ist so beschaffen, dass jeder größere Wirtschaftsraum unabhängig von anderen das Auskommen mit den eigenen erneuerbaren Ressourcen erlangt.
Die Frage bleibt allerdings, ob Warner und Gutmenschen eine Chance haben oder ob wir warten müssen, bis das System an seinem Erfolg endgültig scheitert. Ich habe eine eher pessimistische Prognose abgegeben, aber gerade solche Prognosen können ihr eigenes Eintreten verhindern. Marx hat, wie wir wissen, die völlige Verelendung des Proletariats unter den Bedingungen des Kapitalismus vorhergesagt. Ohne seine Prophezeiung hätte eine derartige Entwicklung wohl auch tatsächlich stattgefunden. Doch weil Marx das Schreckgespenst der Verelendung auf so überzeugende Weise an die Wand zu malen verstand, hat sich das kapitalistische Lager ganze hundert Jahre die größte Mühe gegeben, den großen Warner zu widerlegen. In den ehemaligen Wohlfahrtsstaaten des Westens – vor allem während der drei goldenen Dekaden nach Ende des großen Krieges – hat eine soziale Marktwirtschaft den für alle sichtbaren Beweis geliefert, dass ein gezähmter Kapitalismus durchaus vereinbar mit hohem Wohlstand der Mehrheit ist. In diesem Sinne hoffe ich, dass meine und ähnlich pessimistische Voraussagen anderer Kassandras die gleiche apotropäische Wirkung haben. Ich hoffe, dass wir angesichts der Alternative eines langfristig zerstörerischen oder eines zukunftsfähigen Lebensstils den letzteren wählen werden. Das wird sich dann freilich nicht nur auf unser Verhältnis zur Natur auswirken müssen sondern ebenso auf unsere Einstellung zu Mensch und Gesellschaft. Die uns bis heute beherrschende kapitalistisch-fossile Wirtschaft konnte es sich leisten, den Menschen einzutrichtern, dass Egoismus eine ökonomisch und daher auch sozial wertvolle Eigenschaft sei: produziere und konsumiere soviel du nur kannst, bereichere dich ohne Rücksicht auf andere, damit dienst du dir selbst und letztlich genauso den anderen. Damit ist es vorbei. Die Philosophie des Egoismus, die mit Adam Smith und der Ausbeutung fossiler Schätze vor gut dreihundert Jahren zu ihrem Siegeszug antrat, ist heute ein Wegweiser in den Abgrund. Die Gesellschaft der Zukunft wird grundlegend anders sein – oder sie wir nicht mehr sein. Oder um es anders zu sagen: Grelle soziale Ungerechtigkeiten, ökologische Ausbeutung des Planeten und einen zum Imperativ ökonomischen Handelns aufgeblasenen Egoismus: diese vielen Welten verträgt unsere Welt nicht mehr. Ich danke für eure Aufmerksamkeit.